Talken (und Musik hören) in der Krise

In der Coronakrise ist es um diesen Blog ja wieder etwas ruhiger geworden, was zum einen an meinem laufenden Buchprojekt liegt, zum anderen daran, dass ich zwar „Soloselbstständiger“, aber zum Glück durch die aktuellen Einschränkungen nicht arbeitslos geworden bin. Andere haben es da momentan weitaus schwieriger, und das sind nicht nur Musiker, Schauspieler und andere künstlerische Berufe. Betroffene Selbstständige sind zum Beispiel aus meinem Beraterumfeld alle, die primär von Coaching, Training, Vorträgen oder Veranstaltungsmanagement leben. Und, ja, im vergangenen Jahr gab es tatsächlich auch immer wieder Veranstalter, die bereit waren, für einen Vortrag über Quantenquark oder Verschwörungsmythen zu bezahlen. Diese Veranstaltungen sind in diesem Jahr erst mal alle abgesagt oder mehr oder weniger unbestimmt verschoben, was sicher richtig ist, aber auch ärgerlich, weil ich ganz abgesehen von der Bezahlung einfach auch gerne vor Publikum erzähle und nicht immer nur in einen Rechner tippen möchte. In der Summe muss ich aber sagen, solange mein Hauptberuf noch läuft, habe ich sicher keinen Grund, mich zu beschweren.

Sollte hier übrigens in letzter Zeit jemand ein bisschen den ursprünglichen Quantenquark vermisst haben –  in den kommenden Tagen sollte auf Welt online ein Artikel über Bioresonanztherapie erscheinen, zu dem ich meinen Senf dazugeben durfte. Falls der Redakteur meine Zitate so verwendet, wie ich hoffe, könnt Ihr da erfahren, was Bioresonanztherapie mit Fußwippen vor der Disco zu tun hat.

Ein Nebeneffekt der Krise ist, dass plötzlich ein paar unheimlich gute Leute, die normalerweise abends auf irgendwelchen Bühnen stehen, nichts besseres zu tun haben, als sich per Videochat mit mir zu unterhalten. Wenn dann auch noch die richtigen Technikleute dazukommen, wie zum Beispiel André Reitz von CB-Akustik Wetzlar, der eigentlich auch Veranstaltungen macht, dann kommen dabei Livestreams mit tollen neuen Talkformaten heraus, an denen ich viel Freude habe, auch wenn ich den Beteiligten doch eher Events mit Publikum im Saal gönnen würde.

Den Anfang gemacht hat am 26.3. Frank Mignon, mit der ersten Folge seines wöchentlichen „frank & frei bewegt“, das man über Facebook oder Youtube verfolgen kann. Bei dem Format wechseln sich längere Videointerviews ab mit Livemusik von Frank und seiner Bühnenpartnerin Anita Vidovic. Die Musik ist so, dass auch die ältere Generation nicht abschaltet, aber Anitas Stimme kann man finde ich auch dann mit Freude zuhören, wenn man die meisten Stücke noch als Kindheitserinnerungen kennt. Die Livestream-Reihe ist als Spin-Off von Franks gleichnamiger Kolumne in der Wetzlarer Lokalpresse angelegt, so dass Mittelhessen bei den Interviewpartnern durchaus überwiegt. Die Themen sind aber durchweg von überregionalem Interesse.

Mit mir hat sich Frank vor allem über Corona-Verschwörungsmythen unterhalten, und bemerkenswerterweise fällt mir nach vier Wochen noch nichts in dem Interview auf, was schon vollkommen überholt wäre. Dass Frank mich als „großartigen Wissenschaftler“ ankündigt (ich bin seit fast 20 Jahren kein Wissenschaftler mehr, und ich habe mich in der Physik immer als ziemlich durchschnittlich erlebt), möge man ihm nachsehen…

Die aktuelle Folge, an der ich nicht beteiligt war, ist übrigens weitaus weniger regional besetzt.

Ein völlig anderes Format mit mir kam dann in dieser Woche: Das „Ferngespräch“ von Tommy Krappweis sind satte eineinhalb Stunden geballter Talk – auch alles per Videochat, und, nein, mit Tommy sind auch eineinhalb Stunden alles andere als langweilig. Was will man auch mit jemandem Erwarten, in dessen Wikipedia-Artikel im ersten Satz steht: „ist ein deutscher Autor, Komiker, Regisseur, Produzent, Stuntman und Musiker“. Seine Gesprächspartner waren im „Ferngespräch“ auch schon Wigald Boning und Bernhard Hoëcker, aber zu skeptisch-wissenschaftlichen Themen bestand die Besetzung bisher neben Tommy aus den Hoaxillas Alexa und Alexander Waschkau, Kriminalpsychologin Lydia Benecke und GWUP-Multikanalkommunikator Bernd Harder. Am 21.4. durfte ich Lydias Platz übernehmen, und am 28.4. will Tommy uns irgendwie zu fünft auf den Schirm quetschen. Dann geht es um den aus den USA stammenden, aber gerade im Umfeld deutscher Reichsbürger immer populärer werdenden QAnon- Verschwörungsmythos.

Am 21. haben wir dagegen über die bizarre Vorstellung gesprochen, die aktuelle Covid-19-Pandemie hätte etwas mit 5G-Mobilfunk zu tun. Tommys Grundidee für die Talkrunde war wohl, dass ich etwas zur technischen Seite sagen könnte, Bernd zu Mobilfunkgeschwurbel der letzten 20 Jahre und die Hoaxillas zu den historischen und psychologischen Hintergründen, aber es war natürlich vorauszusehen, dass sich daran nach 10 Minuten keiner von uns mehr halten würde. Wer jetzt noch wissen möchte, was das ganze mit Pornos zu tun hat, der muss sich eben das Video ansehen.

Anzusehen sind die Ferngespräche jeweils live und später als Aufzeichnung unter dem Kanal WildMics auf twitch.tv, das für mich neu war und vom Look and Feel ziemlich an Youtube erinnert, mit dem Unterschied, dass man neben dem Livestream ein (in diesem Fall auch sehr aktiv genutztes) großes Chatfenster für die Zuschauer hat. Dafür sehe ich keine Kommentarfunktion, wie man sie von Youtube kennt. Die wird aber auf Youtube meiner Erfahrung nach hauptsächlich dafür genutzt, dass Leute, die sich die ersten fünf Minuten eines zwei Jahre alten Videos angesehen haben, dort ihre Hasskommentare absondern. Für mich persönlich muss ich sagen, während ich in Facebook eigentlich keiner Diskussion ausweiche, weigere ich mich strikt, auf die ganz überwiegend unterirdischen Youtube-Kommentare zu reagieren.

Für die coole Musik, die Tommy Krappweis eben auch macht, war in dem Format natürlich kein Platz, also reiche ich sie bei der Gelegenheit gleich mal nach. Aus skeptischer Sicht fallen mir da natürlich vor allem zwei Stücke ein, die Tommy über die Jahre gemacht hat und die man ganz gut mal in einer Onlinediskussion verlinken kann, die man… sagen wir, nicht weiterführen möchte. Da wäre zum Beispiel sein wunderbarer Dunning-Kruger-Blues:

Sollte man es nun aber mit jemandem zu tun haben, bei dem das nicht hilft, weil er zum Beispiel keine Ahnung hat, was der Dunning-Kruger-Effekt ist… naja, dann hilft eben nur noch eins:

Für die Freunde der eher elektronischen Klänge (da habe ich mich hier ja auch schon mal geoutet) ist mir vor ein paar Tagen noch etwas zum Thema in meine Inbox geflattert:

In einem kleinen Making-of dazu betreiben Manuel Volk und seine Conerdy-Partnerin auch gleich noch etwas geschicktes Product Placement (ich hab davon nix gewusst und kannte die beiden auch gar nicht, ich schwör’s):

So, und ganz zum Schluss, und um das Wirrwarr von Musikrichtungen perfekt zu machen, habe ich dann noch ein Musikvideo, das nur ganz am Rande (oder vielleicht doch nicht ganz so am Rande…) mit meinen Themen zu tun hat und eine Art von politischer Agitation ist, für die dieser Blog eigentlich überhaupt nicht gedacht ist. Aber… naja, ich finde es einfach nur treffend und saulustig, und die Musik (in der Version der Tokens natürlich) fand ich schon als kleines Kind gut. In diesem Sinne, auf die Raging Grannies of Mendocino…

Sind Impfstoffe der Goldesel einer globalen Pharmaverschwörung?

„Eine Sache, die bei mir einen Groschen hat fallen lassen, ist, dass die Impfungen gar nicht so einen großen Anteil am Gewinn der Pharmakonzerne ausmachen.“ Diese Aussage einer Mutter, die jahrelang Impfungen abgelehnt hatte, auf meine Frage, was sie denn schließlich zum Umdenken gebracht habe, ließ mir erst einmal den Mund offen stehen. Wenn man sich wie ich seit mehr als 15 Jahren immer wieder beruflich und privat mit der Wirtschaftlichkeit von Krankenversicherungen, Apotheken und Pharmaunternehmen beschäftigt hat, erscheint einem diese Erkenntnis so selbstverständlich, dass man sie gar nicht mehr erwähnen möchte.

Die vermeintlichen Riesenprofite mit Impfstoffen kommen aber immer wieder in der Argumentation von Impfgegnern vor, und das nicht nur in einigen geschlossenen Facebookgruppen, in denen Verschwörungsglauben mit allem Eifer einer Religion zelebriert und Ketzer sofort exkommuniziert werden. Wenig überraschen dürfte noch, dass die MasernverbreiterWaldorfschul-Postille „Erziehungskunst“ die Entscheidung der sächsischen Impfkommission, Grippeimpfungen für Kleinkinder zu empfehlen mit Investitionen der Pharmaindustrie in Dresden erklärt. Im „Naturheilmagazin“ schafft es eine Autorin, sich einerseits für die Masernimpfung auszusprechen, ihre Ablehnung einer Impfpflicht aber mit einem ironischen Verweis auf die Schweinegrippe-Epidemie 2009/2010 zu begründen: „Wir glauben es, 2010 ist lange her. Es wird quasi plötzlich nur noch zum Wohl der Gesundheit und reinen Herzens geforscht.“ Der marxistische Ärtze-ohne-Grenzen-Abklatsch Medico International beruft sich ebenfalls auf die Schweinegrippe-Impfung und behauptet: „Impfungen, die ehemals zum Kern gesundheitlicher Prävention zählten, stehen im Verdacht, womöglich nur noch in zweiter Linie die Menschen im Blick zu haben.“ In dem Buch „Die Virenlüge“ von Marita Vollborn und Vlad Georgescu, erschienen in einem der großen Publikumsverlage, geht es wieder um die Grippeimpfung: „Das Resultat der letzten Grippehysterie – gefüllte Kassen der Pharmakonzerne, verunsicherte Patienten und eine blamierte Politik – scheint vergessen. Wieder wird Angst geschürt: der lukrative Motor, mit dem Pharmakonzerne Milliarden von Euro verdienen.“ In Martin Hirtes scheinheilig betiteltem „Handbuch für die individuelle Impfentscheidung“ heißt es: „Insgesamt ist also der Impfmarkt hochattraktiv, zumal in Zeiten, wo die Umsätze bei den konventionellen Medikamenten zurückgehen – wegen auslaufender Patente, fehlender Neuentwicklungen und kostendämpfender Eingriffe der Gesundheitsbehörden.“ Implizit wird hier also behauptet, bei Impfstoffen gäbe es keine kostendämpfenden Eingriffe. Nicht jeder dieser Autoren hängt selbst Hardcore-Verschwörungsglauben an, aber alle tragen dazu bei, ihn zu befeuern.

Werfen wir also einen Blick auf die angeblichen Milliardenprofite, die die Pharmariesen motivieren sollen, Impfkommissionen und Gesundheitspolitiker zu korrumpieren, um uns alle mit Aluminium, Wirkverstärkern und abgeschwächten Krankheitserregern vollzupumpen. Wieviel Geld verdient eigentlich wer mit Impfungen? Ich versuche dabei mal bewusst nicht auf Branchenwissen oder Meldungen der entsprechenden Verbände zurückzugreifen, sondern auf öffentliche Quellen und Abschätzungen, die für jeden, der die Grundrechenarten beherrscht, nachvollziehbar sein sollten.

Wer überhaupt Impfstoffe verkauft, ist für Deutschland leicht nachlesbar auf der Seite des Paul-Ehrlich-Instituts, die für jede impfpräventable Krankheit alle jeweils zugelassenen Impfstoffe mit Zulassungsinhaber und Zulassungsdatum auflistet. Die Liste ist einigermaßen unübersichtlich, weil viele Impfstoffe neben dem eigentlichen Hersteller noch von mehreren Importeuren wie Kohlpharma zugelassen sind, deren Geschäftsmodell darauf beruht, die unterschiedlichen Preise zu nutzen, zu denen Originalhersteller ihre Produkte auch innerhalb der EU anbieten. Diese Preisunterschiede, bei denen beileibe nicht immer Deutschland am teuersten ist und die es nicht nur bei Impfstoffen gibt, beruhen einerseits auf Kaufkraftunterschieden von z.B. Deutschland oder Skandinavien gegenüber Griechenland oder Rumänien, andererseits auf der von Land zu Land und oft auch von Krankheit zu Krankheit unterschiedlichen Preisregulierung durch die jeweiligen Regierungen. Streicht man diese Importzulassungen (in den Tabellen des Paul-Ehrlich-Instituts in der ganz rechten Spalte zu erkennen) weg, dann erhält man eine gute Übersicht, wer Impfstoffe herstellt.

Dabei sollte einem zunächst einmal auffallen, dass die drei großen forschenden Pharmaunternehmen aus Deutschland (Bayer, Boehringer Ingelheim und Merck KGaA) unter den Impfstoffherstellern genauso wenig vorkommen wie große Generikahersteller wie Stada oder Hexal. Für die deutschen Pharmariesen sind Impfstoffe also ganz offensichtlich uninteressant. Von den internationalen Pharmakonzernen tauchen Pfizer (die weltweite Nr. 1 der Branche), AbbVie (Nr. 7) und AstraZeneca (Nr. 9) jeweils nur mit einzelnen Impfstoffen auf, die sie zum Teil aus unternehmenshistorischen Gründen noch im Portfolio haben, weil sie einmal zu den Pionieren bei der Entwicklung von Impfungen gegen die jeweilige Krankheit gehört haben. Ähnliches gilt für den australischen Biotechnologiekonzern CSL, der über seine Tochtergesellschaft Sequirus ausschließlich Grippeimpfstoffe herstellt. Seit dem Verkauf der heutigen Sequirus an CSL stellt Novartis (weltweit Nr. 3) gar keine Impfstoffe mehr her, ebensowenig Roche (Nr. 2) und Johnson & Johnson (Nr. 4). Der weit überwiegende Teil der zugelassenen Impfstoffe kommt von drei Unternehmen: Merck Sharp & Dohme (MSD, nicht zu verwechseln mit der deutschen Merck KGaA), Sanofi und GlaxoSmithKline (GSK), somit Nr. 5, 6 und 8 unter den weltgrößten Herstellern verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Auch bei diesen drei Unternehmen machen Impfstoffe allerdings jeweils nur zwischen 15 und 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus.

Falls Sie den Zahlen der Unternehmen nicht glauben, hilft auch eine ganz einfache Abschätzung weiter. Nehmen wir der Einfachheit halber an, jeder Deutsche würde pro Jahr einmal geimpft. Bei Kleinkindern kommt das natürlich deutlich häufiger vor; die meisten Erwachsenen kommen aber nicht annähernd in diese Größenordnung. Für meinen letztjährigen Grippeimpstoff habe ich in der Apotheke 23 Euro bezahlt. Seltenere Impfungen, zum Beispiel Reiseimpfungen wie Typhus (28,88 Euro), Cholera (51,68) oder Tollwut (60,24 – alle vor meinem letzten Indienurlaub), sind teurer, aber… naja, eben seltener. Rechnen wir der Einfachheit halber mit einem Durchschnittspreis von 50 Euro. Die Marge von Apotheken und Großhandel variiert mit dem Preis, und es gibt die schon erwähnten Importeure, aber ganz grob kann man dann rechnen dass davon 30 Euro beim Hersteller ankommen. Bei 80 Millionen Einwohnern ergäbe das einen Gesamtumsatz mit allen Impfstoffen von 2,4 Milliarden Euro im Jahr. Ich habe diese Zahl nicht gegenrecherchiert, aber ich bin mir sicher, diese Abschätzung ist noch zu hoch. 2,4 Milliarden Euro klingt nach einem Haufen Geld, aber wenn man bedenkt, dass allein die gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Jahr rund 40 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgeben werden, wozu ja noch die privaten Versicherungen und die Selbstzahler kommen, wird deutlich, dass die Pharmaindustrie, wenn sie uns mit unnützen Medikamenten vollpumpen wollte, bei anderen Themenbereichen weitaus bessere (und zudem weniger umkämpfte) Aussichten hätte.

Dass sich nur wenige Hersteller überhaupt mit Impfstoffen beschäftigen, liegt neben dem insgesamt eher kleinen Marktvolumen vor allem an der aufwendigen Herstellung. Anders als synthetisch hergestellte, kleine Moleküle (ganz grob gesagt alles, was man schlucken oder inhalieren kann) müssen Impfstoffe, vor allem gegen Viren, biologisch in Tieren, Eiern oder Zellkulturen gewonnen werden und sind danach nur begrenzt lagerfähig. Für forschende Pharmaunternehmen, bei denen normalerweise Forschung und Vertrieb (vor allem die Schulung der Ärzte in der Anwendung der neuen Mittel) die wichtigsten Kostenblöcke sind, haben Impfstoffe ungewöhnlich hohe Produktionskosten. So können auch ältere Impfstoffe ohne Patentschutz nicht einfach von Generikaherstellern kopiert werden. Mit der immer größeren Rolle anderer biologischer Arzneimittel (z. B. aus Antikörpern) könnten diese Unterschiede allerdings in Zukunft etwas an Bedeutung verlieren.

Kommen wir abschließend zu zwei Themenbereichen, bei denen die Pharmaindustrie besonders häufig als Rechtfertigung für Impfverweigerer herhalten muss: Die Masern-Impfpflicht und die Grippeimpfung vor allem im Zusammenhang mit der Schweinegrippe.

Um es vorweg zu schicken: Ich halte eine Impfpflicht gegen Masern für keine gute Idee. Ja, ich weiß, Masern können tödliche Folgen haben, und auch eine normal verlaufende Erkrankung ist alles andere als eine anthroposophisch-naturromantische Bergtour. Ich durfte das vor ein paar Jahren miterleben: Ein Zeltcamp, 60 Kinder aus Osteuropa, ein hörbehinderter kleiner Junge aus Odessa, der von der wahrscheinlich größten und spannendsten Reise seines Lebens erst einmal mehrere Tage im Krankenhaus verbringen musste, eine ukrainische Gebärdendolmetscherin, die es mit ihm auf der Isolierstation aushalten musste, sich dort aber mangels Deutsch- und Englischkenntnissen selbst kaum verständigen konnte, die bange Frage, wo wir die 60 Kinder unterbringen, wenn das Gesundheitsamt eine Schließung des Camps anordnet… Das braucht alles kein Mensch. Ich will, dass so viele Menschen wie möglich gegen Masern geimpft werden. Die Frage ist, ob eine Impfpflicht dazu ein notwendiges und  geeignetes Mittel ist:

  • Uns fehlen nur ein paar Prozent Impfquote in klar abgrenzbaren Milleus, um die Masern in Deutschland auszurotten.
  • Bei Kleinkindern, die man mit der Pflicht hauptsächlich erreicht, sind die Impfquoten ohnehin gut.
  • Der angestoßene Widerstand könnte den Impfquoten bei eigentlich gut akzeptierten Impfungen wie Kinderlähmung, Keuchhusten und Diphterie schaden.
  • Im Internet findet jeder, der das will, Umgehungsstrategien und Ärzte, die diese unterstützen.
  • Gefälschte Impfausweise, vorgetäuschte Impfhindernisse und eingebildete Impfschäden werden dramatisch zunehmen und der Gesundheitsprävention insgesamt schaden.

Außerdem wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der staatlicher Zwang immer das letzte Mittel ist. Die Chancen finanzieller Anreize und von Reihenimpfungen in den Schulen durch den öffentlichen Gesundheitsdienst („Das Gesundheitsamt ist da, heute ist Schluckimpfung gegen Kinderlähmung“ war zu meinen Schulzeiten noch ganz normal) sind noch nicht einmal ausprobiert worden – und das in einem Land, in dem Leute, die eigentlich genug Geld haben, die absurdesten Dinge tun, wenn sie dadurch 10 Euro Steuern oder Gebühren sparen können und wo bis heute viele Impfungen einfach aus Bequemlichkeit ausgelassen werden. Kurz gesagt, die Impfpflicht zeigt, dass die Politik zwar das Problem erkannt hat, aber eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme wichtiger findet als eine durchdachte Lösung.

Dient die Impfpflicht also, möglicherweise ausschließlich, den Interessen der Hersteller? Rechnen wir einmal nach: Wenn von 800.000 Kindern pro Jahr zwei Prozent mehr die Erstimpfung und sechs Prozent mehr die Zweitimpfung bekämen (das ist unrealistisch hoch; dann hätten wir fast 100% Impfquote), dann wären das pro Jahr 64.000 Impfungen mehr. Selbst wenn man davon ausgeht, dass dabei immer der neue Vierfachimpfstoff mit Windpocken zum Preis von 111 Euro anstatt des nicht mal halb so teuren Mumps-Masern-Röteln-Dreifachimpfstoffs verwendet würde, wäre das ein Gesamtumsatz von gerade mal 7 Millionen Euro. Die müssen sich die beiden Hersteller GSK und MSD noch mit den Apothekern, dem Preisabschlag der gesetzlichen Kassen, dem Großhandel und den Importeuren teilen – und den Impfstoff natürlich auch noch produzieren. Wer ernsthaft glaubt, ein Weltkonzern mit 30 Milliarden Pfund Jahresumsatz würde sich wegen drei Millionen Euro freiwillig in einen imageschädigenden politischen Grabenkampf verwickeln lassen, bei dem kann ich mir auch alle weiteren Erklärungen sparen.

Kommen wir abschließend zur Grippeimpfung und zu der angeblich von der Pharmaindustrie inszenierten Schweinegrippepanik des Winters 2009/2010. Beim Grippeimpfstoff potenziert sich alles, was ich oben über die Probleme bei der Impfstoffproduktion geschrieben habe. Gegen Grippe geimpft wird typischerweise von Oktober bis Januar. Da sich jedes Jahr neue Virenstämme von Ostasien aus über die Welt verteilen und die Stämme sich auch in der Ausbreitung noch verändern, muss der Impfstoff jedes Jahr angepasst werden. Die europäische Arzneimittelagentur EMA legt daher nach Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO im Frühjahr die genaue Zusammensetzung der Impfstoffe für den Herbst fest. Die Hersteller müssen also für einige Monate Produktionskapazitäten aufbauen, die zumindest für Teile der Produktionskette den Rest des Jahres brach liegen. Zur Produktion der Impfstoffe müssen zunächst die Viren vermehrt werden. Da Viren sich, anders als Bakterien, nicht selbst vermehren können, benötigt man dazu lebende Zellen, die infiziert werden. Dies ist inzwischen in Zellkulturen möglich, allerdings relativ teuer, so dass zur Herstellung des größten Teils der heute verwendeten Grippeimpfstoffe immer noch Millionen Hühnereier angebrütet werden müssen. Zu dieser aufwendigen saisonalen Produktion kommt die schlechte Planbarkeit der Nachfrage: Während man für gängige Kleinkindimpfungen einfach von der Zahl der Neugeborenen ein paar Prozent abziehen kann, um eine gute Abschätzung der in einem halben Jahr benötigten Impfdosen zu bekommen, hat die Zahl der nachgefragten Grippeimpfungen in Deutschland in den vergangenen Jahren zwischen 15 und 25 Millionen geschwankt. Zu viel produzierte Dosen können nur noch vernichtet werden. Die (nicht ganz korrekt so bezeichnetete) Schweinegrippe H1N1 wurde Ende April 2009 erstmals isoliert. Im Juni 2009 erfolgte die Pandemiewarnung der WHO – da war die Produktion des normalen Grippeimpfstoffes für diese Saison schon in vollem Gange. Deutschland hatte für solche Notfälle eine Vereinbarung mit GSK. Ende Juli bestellten die deutschen Bundesländer bei GSK Impfstoff für 25 Millionen Menschen im Wert von anfangs geschätzten 700 Millionen Euro. Hinzu kam eine kleinere Menge eines anderen Impfstoffs bei der damals noch in diesem Markt aktiven Firma Baxter. Nachdem sich die Grippe doch nicht so ausbreitete wie befürchtet und die meisten Erkrankungen relativ mild verliefen, ließen sich jedoch nur 5,7 Millionen Deutsche impfen, und trotz Stornierungen und Weiterverkaufsversuchen blieben die Länder auf einem Verlust von 236 Millionen Euro sitzen. In der für den Kontakt zum Gesundheitssystem zuständigen Market-Access-Abteilung bei GSK muss die Riesenbestellung sicher ein Grund zur Freude gewesen sein – für die Produktion ist so etwas ein absoluter Albtraum, zumal ähnliche Panikbestellungen ja auch aus allen anderen Industrieländern kamen. Innerhalb kürzester Zeit mussten Kapazitäten für das doppelte der normalen Jahresproduktion an Grippeimpfstoffen zusätzlich bereitgestellt werden, von denen vorher klar war, dass man sie nach wenigen Monaten nie wieder brauchen würde, und als die zusätzliche Produktion endlich lief, begannen schon die Stornierungen. Dennoch haben die Impfstoffhersteller von der Schweinegrippepanik natürlich profitiert – kurzfristig. Langfristig dürften zumindest in Deutschland die negativen Folgen überwiegen:  Unter Verweis auf die zuletzt so hohen Kosten wurde GSK 2012 auf Grippeimpfstoff ein Rabatt für gesetzliche Krankenkassen von 67 Prozent aufgezwungen. Zudem ließ die Bereitschaft zur Grippeimpfung im Nachgang der Schweinegrippe deutlich nach und hat nie wieder die hohen Werte von vor 2009 erreicht.

Impfstoffe sind also nur für einen kleinen Teil der Pharmaunternehmen überhaupt ein Thema und auch für diese jeweils nur ein Geschäftsfeld von mehreren – zudem eins mit besonderen Tücken.

Trotzdem haben auch für die anderen Pharmaunternehmen im Allgemeinen ein Interesse daran, dass möglichst viele Menschen einen möglichst guten Impfschutz haben – allerdings aus einem ganz anderen Grund, als Sie wahrscheinlich glauben. Die Pharmaindustrie möchte nämlich, dass Sie gesund bleiben. So absurd das klingt, dadurch verdient die Branche insgesamt das meiste Geld. Am besten geht es der Pharmaindustrie, wenn Sie gesund und lange arbeiten können, viel Geld verdienen und entsprechend viel in Ihre gesetzliche oder private Krankenversicherung einzahlen, gesund und fit das Rentenalter erreichen und dann noch ein langes Leben vor sich haben. Die wirklichen, großen Umsatzbringer der Pharmaindustrie, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Diabetes, Schlaganfälle, Krebs, Demenz, Nierenschäden und so weiter – die bringt das Alter von ganz allein.

Alle paar Jahre grüßt das 11.-September-Murmeltier

18 Jahre nach den Anschlägen des 11. September gehört es schon fast zu den regelmäßigen Ritualen, dass es alle paar Jahre die Verschwörunsmythen-Community aufs Neue verkündet: Dieses Mal wäre nun wirklich, echt, ganz unzweifelhaft, eindeutig unwiderlegbar der Beweis erbracht, dass die Anschläge in Wirklichkeit gar keine Anschläge wären, sondern ein perfider Plan der amerikanischen Regierung, der CIA, des Mossad, der Uno, der Freimaurer, der Juden – oder eben von allen zusammen. Normalerweise kann man das alles getrost ignorieren, weil dabei nun wirklich nie irgendetwas Relevantes Neues herauskommt, und Quantenquark im engeren Sinne ist es auch nicht. Da ich dem 11. September aber im Verschwörungsmythen-Buch ein ganzes Kapitel gewidmet habe, möchte ich doch in der Art eines Online-Nachtrags auf die aktuelle Sau eingehen, die dazu durchs globale Dorf getrieben wird. Vorgehen werde ich dabei von der Frage, wer das verbreitet, über ein paar Hintergründe zu der Untersuchung, auf die sich die Meldungen beziehen und einige ganz grundsätzliche Fragen zu den Behauptungen, die in der Untersuchung aufgestellt werden, hin zu ein paar Schlaglichtern auf Details, die angeblich herausgefunden wurden. Das ganze 114seitige Werk auseinanderzunehmen, übersteigt sowohl meine Fachkompetenz in bauingenierwissenschaftlichen Detailfragen als auch meine verfügbare Freizeit, und es würde auch den Rahmen eines Blogartikels sprengen. Lang wird er trotzdem werden. Sollten Sie irgendwann das Gefühl haben, Sie hätten genug gelesen, steigen Sie jederzeit gerne aus – Sie verpassen keine Schlusspointe. Sollten Sie am Ende immer noch nicht genug haben, dann werden Sie sicherlich zu so ziemlich jedem der angesprochenen Themenbereiche detailliertere Analysen vor allem auf amerikanischen Seiten wie Metabunk finden. Dort werden in einer Forumsstruktur Informationen kollaborativ zusammengetragen, ausgewertet und diskutiert, was logischerweise weit über das hinausgeht, was ich als Einzelner an ein paar Abenden meiner Freizeit leisten kann.

Sensationsmeldungen von den üblichen Verdächtigen

„Die Sprengung“ titelt Daniele Ganser im Verschwörungsmythenblog Rubikon News und erklärt, „die ganze Geschichte zum Terroranschlag vom 11. September 2001“ müsse „neu geschrieben werden“. Das Problem mit Ganser ist, dass ihn gerade deutsche und schweizer Linke oft immer noch für einen seriösen Wissenschaftler halten. Der Grund ist offenbar, dass er einst in seiner Doktorarbeit öffentlich bekannte Informationen und Verschwörungsdenken in einer Weise zusammengerührt hat, die möglicherweise geeignet ist, gegen die NATO zu agitieren – wenn man bereit ist, den historischen Kontext der Bedrohung durch den Warschauer Pakt komplett zu ignorieren. Heute tritt Ganser auf Veranstaltungen des rechtsesoterischen Kopp-Verlags auf und veröffentlicht seine Artikel bei Rubikon News, wo sich auch Peter Frey (nicht der vom ZDF) verständnisvoll in die verletzte Seele des jungen Adolf Hitler einfühlen darf und zum Fazit gelangt, Hitler sei kein Unmensch gewesen, sondern ein Gebrochener. So ist es denn auch wenig verwunderlich, dass die gleiche Geschichte wie von Ganser auch von den russischen Auslandspropagandamedien RT Deutsch und Sputniknews verbreitet wird, wobei sie gelegentlich auch in Onlinemedien wie das Technologie-und-Vermischtes-Sammelsurium Telepolis und in die britische Boulevardpresse überschwappt. Als Quelle dieser neuen Erkenntnisse gibt eine Seite mit dem bezeichnenden Titel Grenzwissenschaft-aktuell eine Studie der University of Alaska Fairbanks (UAF) an.

Die Sensation: Ein „Entwurf“ für eine Veröffentlichung

Dass sich ausgerechnet die UAF an der Verbreitung von Verschwörungsmythen beteiligen soll, ist zumindest pikant: Diese Universität betreibt auch das Atmosphärenforschungszentrum HAARP, von dem unter anderem die Innsbrucker Professorin Claudia von Werlhof behauptet, es sei dazu geeignet, als Waffe gezielt Erdbeben in fernen Erdteilen auszulösen. Die UAF wird also selbst oft genug zur Zielscheibe derselben Szene, die sich jetzt auf eine Studie dieser Universität beruft. Es lohnt sich daher auf jeden Fall ein Blick auf diese Studie, die als „Entwurf“ von einer Unterseite der Universitätswebsite herunterzuladen ist. [Nachtrag 27. März 2020: Inzwischen ist aus dem „Entwurf“ ein „Final Report“ geworden, was nicht etwa heißt, dass da etwas in einem seriösen Journal veröffentlicht worden wäre, sondern einfach nur, dass der Autor meint, er sei jetzt fertig.] Sie trägt den Titel „Eine strukturelle Neubewertung des Einsturzes von World Trade Center 7“ und beschäftigt sich ausschließlich mit diesem kleineren Wolkenkratzer etwas abseits der Zwillingstürme. Zum World Trade Center 7 (WTC 7) hatte ich schon vor einigen Jahren einen Artikel im Skeptiker verfasst, der auch als Dreiteiler im GWUP-Blog veröffentlicht ist. Das Gebäude ist 2001 durch Brände eingestürzt, die beim Zusammenbruch der Zwillingstürme ausgebrochen waren. Genau diesen Zusammenhang zwischen den Bränden und dem Einsturz bestreitet die „Neubewertung“ aus Alaska.

Ein Autor im Ruhestand und Finanzierung aus der Schwurbelszene

Der Entwurf gibt drei Autoren von unterschiedlichen Institutionen (darunter einen außerordentlichen Professor der Technischen Universität Nanjing in China) an, was den Eindruck einer institutsübergreifenden Zusammenarbeit erweckt. Tatsächlich waren die beiden Koautoren zum Zeitpunkt ihrer Beteiligung jedoch Doktoranden des Hauptautors Leroy Hulsey an der UAF. Beide stammen aus China und sind  erst nach ihrem Bachelorabschluss in die USA gekommen, direkt an die UAF. Der Entwurf war für die beiden auch nicht Teil ihrer Doktorarbeiten, sondern allenfalls eine Nebentätigkeit: Einer hat über die Feuerbeständigkeit von Gipsplatten promoviert, der andere über die Überwachung von Schäden an Brücken. Ob ihr Beitrag zu dem Entwurf über eine reine Datencodiertätigkeit hinausgeht, bleibt also unklar. Hulsey ist an der UAF offiziell Dozent und betreut laut Homepage auch noch wissenschaftliche Arbeiten, befindet sich jedoch mit 78 Jahren schon weit im Ruhestandsalter. Es handelt sich bei dem Text also nicht um eine Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Journal oder um eine offizielle Stellungnahme der Universität, sondern um die Forschungsfreiheit eines Pensionärs, der aufgrund seiner früheren Arbeit noch die Einrichtungen der Universität dafür nutzen darf. Ähnlich wie bei emeritierten Professoren in Deutschland ist es in den USA nicht unüblich, dass solche Professoren keine Lehrverpflichtungen mehr haben, die Ressourcen der Universität aber noch für eigene Forschungen nutzen können, bei deren Themenauswahl ihnen in der Regel niemand mehr hineinredet. Angesichts der katastrophalen Finanznot dieser Universität dürfte das erst recht für Projekte gelten, die aus Drittmitteln finanziert werden. Im Fall der „Neubewertung“ stammen diese Drittmittel ausgerechnet von der Verschwörungsgläubigen-Organisation Architects & Engineers for 9/11 Truth, womit das Ergebnis der Untersuchung dann auch nicht mehr sonderlich überraschend ist. Natürlich ist der Ausgang einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht vom Geldgeber abhängig, solange sie seriös durchgeführt und veröffentlicht wird, aber dieser Propagandaverein hätte seine  von besorgten Bürgern eingesammelten Spenden wohl kaum einem Wissenschaftler anvertraut, bei dem das Ergebnis der Untersuchung in Frage gestanden hätte.

Wie seine beiden Doktoranden ist Hulsey tatsächlich Bauingenieur. Es deutet jedoch nichts darauf hin, dass er irgendwelche Erfahrung im Bau oder der Untersuchung von Wolkenkratzern hätte: Seine Veröffentlichungsliste dreht sich, abgesehen von ein paar Arbeiten über Straßenbeläge, fast ausschließlich um die Konstruktion von Brücken unter subarktischen Bedingungen. Hulseys Arbeitsschwerpunkt bei eher horizontalen, frei tragenden Kontruktionen lässt sich in der „Neubewertung“ durchaus wiedererkennen: Mit großer Akribie wird die Modellierung einzelner tragender Teile in den vermutlich zuerst abgestürzten unteren Etagenböden beschrieben, und ihre Eigenschaften unter thermischer Belastung werden detailliert diskutiert. Wo es um die Statik des Gebäudes insgesamt geht, rezitiert er jedoch eher fahrig die Ergebnisse seiner Modellrechnung, ohne auf die Implikationen einzugehen oder auch nur ihre Plausibilität zu hinterfragen.

Der Wissensstand zu World Trade Center 7

Wie bereits erwähnt, geht es in der Studie ausschließlich um das Gebäude WTC 7. Es wurde am 11. September 2001 beim Einsturz des Nordturms schwer beschädigt und geriet in Brand. Nachdem die mit der Gesamtsituation überforderte Feuerwehr die Brände kaum bekämpfen konnte, wüteten diese über mehr als sechs Stunden, bis das Gebäude schließlich einstürzte. Dass Stahlkonstruktionen durch die Hitzeentwicklung bei längeren Bränden an Stabilität verlieren, war schon vor dem 11. September nichts Neues, einerseits weil Stahl bei Temperaturen über 600° weich wird, andererseits wegen der thermischen Ausdehnung von Bauteilen. Da so ein Hochhaus aber eben so unverrückbar stabil aussieht, ist das für viele Leute schwer zu verstehen, und die Behauptungen von Ganser & Co fallen auf fruchtbaren Boden. Die derzeit gründlichste Analyse, was in diesem Fall genau passiert sein dürfte, findet sich im Bericht der amerikanischen Standards- und Eichbehörde NIST aus dem Jahr 2008. Der dreiteilige, rund 920-seitige Bericht, an dem mehr als 100 Personen mitgearbeitet haben, stützt sich neben Bild- und Videoaufnahmen sowie Brandanalysen vor allem auf eine detaillierte Finite-Elemente-Simulation des gesamten Gebäudes. Bei einer solchen Simulation wird ein Bauteil oder ein ganzes Gebäude in eine Vielzahl fiktiver kleiner Einzelteile zerlegt, die sich durch einfache Kennzahlen wie Gewicht, Bruchfestigkeit und Elastizität beschreiben lassen. Diese notwendigen Vereinfachungen sind schwierig und niemals perfekt, weshalb schon im Titel des Abschlussberichts ausdrücklich von einem wahrscheinlichen Einsturzverlauf die Rede ist. Danach brachen durch thermische Ausdehnung vermutlich zuerst Deckenträger in den brennenden unteren Stockwerken aus ihren Halterungen, und durch die abstürzenden Decken verloren einzelne senkrechte Säulen im Gebäude ihre Stabilität. Daraufhin kollabierte zuerst der Gebäudekern und ein paar Sekunden später die Fassade. Etwas ausführlicher beschrieben ist das im entsprechenden Kapitel des Verschwörungsmythen-Buchs.

Jetzt also noch ein Versuch mit der gleichen Methode

Hulseys Studie kontrastiert sich in erster Linie mit dem NIST-Bericht und verfolgt das offensichtliche Ziel, diesen zu diskreditieren. Daneben vergleicht Hulsey seine Ergebnisse auch mit zwei weniger umfassenden Simulationen aus gegensätzlichen Gutachten zu einem Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2013: Der Stromversorger Con Ed als Betreiber einer beim Einsturz zerstörten Transformatorstation unter dem Gebäude hatte gegen die Erbauer wegen vermeintlicher Baumängel geklagt. Beide Gutachten kamen zu abweichenden, aber im Grundsatz ähnlichen Ergebnissen wie das NIST, welche Deckenträger genau aus welchem Grund abgestürzt sind und den weiteren Einsturz ausgelöst haben. Hulsey nutzt ebenfalls Finite-Elemente-Simulationen und betont mehrfach, von gleichen Annahmen wie das NIST ausgegangen zu sein – er kommt aber zu ganz anderen Ergebnissen. Danach hätten weder die Etagenböden abstürzen noch deren Absturz den Einsturz der zentralen Gebäudesäulen auslösen sollen, und auch bei einem Einsturz dieser Säulen hätte nach Hulseys Simulation das Gebäude nicht in der beobachteten Form einstürzen dürfen. Hulsey schreibt, er hätte seine Berechnungen parallel mit zwei unterschiedlichen Simulationssoftwares vorgenommen, aber weitgehend gleiche Ergebnisse erhalten. Das ist nicht weiter überraschend: Die Hauptfehlerquelle bei Finite-Elemente-Berechnungen ist nicht die Simulation selbst, sondern die Modellierung der Eingangsparameter mit den unvermeidlichen Vereinfachungen. Bei identischer Modellierung sollten unterschiedliche Softwarepakete sehr ähnliche Ergebnisse liefern. Insgesamt ist die Methode jedoch mit hohen Unsicherheiten behaftet: Im Zusammenhang mit meiner Doktorarbeit hat ein sehr erfahrener Ingenieur solche Simulationen zur Deformation der relativ einfachen Aluminiumstruktur eines Detektorgerüsts unter seinem eigenen Gewicht ausgeführt. Dazu erinnere ich mich an Abweichungen von den später gemessenen Werten um rund ein Viertel. Da in solchen Softwarepaketen in der Regel zum Beispiel die Tragkraft eines Bauteils unabhängig von seiner Ausdehnung und seinem Gewicht definiert werden kann, ist es, wenn man nicht aufpasst, auch durchaus möglich, Modelle zu konstruieren, die grundlegenden Gesetzen der Physik widersprechen. Grundsätzlich gilt für die Finite-Elemente-Methode das einfache Prinzip jeder Simulationsrechnung: Shit-in – Shit-out. Das betrifft die NIST-Berechnung wie die anderen erwähnten Simulationen: Sie sind fehlerbehaftet und immer nur so gut wie ihre Annahmen.

Zumindest in Teilaspekten sollte Hulsey kompetent sein

Zur Qualität der Modellierung von Hulsey in ihren Details und im Vergleich zu den drei anderen Simulationen kann ich nichts sagen. Dazu fehlen mir nicht nur die Fachkompetenz und die Zeit, sondern auch die Detailinformationen, was er in seiner Modellierung eigentlich genau gemacht hat. Das grundsätzliche Problem der Konstruktion von Etagenböden und ihrer Träger erscheint mir jedoch durchaus Ähnlichkeiten zu Hulseys Fachgebiet, dem Brückenbau, zu haben. Man muss also davon ausgehen, dass er und seine Doktoranden grundsätzlich Ahnung hatten, was sie da taten. Der betreffende Teil der Arbeit ist im Text auch einigermaßen gut dokumentiert, wenngleich bei weitem nicht in dem Detailgrad wie im Bericht des NIST. Sofern er nicht bewusst manipuliert hat, sollten die Bewegungen der einzelnen Bauteile durch den Brand durch sein Modell also nicht völlig abwegig berechnet werden. Dasselbe gilt aber eben auch für die Simulationen der beiden Gutachterbüros aus dem Gerichtsverfahren und vor allem für die des NIST, das vor mehr als zehn Jahren zwar noch nicht die heutigen Rechner hatte, aber für Recherche und Modellierung auf wesentlich mehr Ressourcen zugreifen konnte. Hulseys Modellierung ist also nur eine weitere Berechnung, die von der Betrachtung der Modelle her im besten Fall halbwegs gleichwertig neben drei anderen stehen könnte. Auf dieser Detailebene ist ein Abgleich mit der Realität schwierig, weil es um zunächst kleine Verformungen tief im Inneren des Gebäudes geht, von denen keinerlei Aufnahmen existieren und deren Spuren beim endgültigen Einsturz und darauf folgenden Abriss zerstört wurden.

Die Interpretation der Ergebnisse unterstellt eine sehr wirre Verschwörung

Zu einer wesentlich aussagekräftigeren Einschätzung, wie realistisch Hulseys Berechnung ist, gelangt man, wenn man seine Ergebnisse für das Gesamtgebäude einschließlich seiner Schlussfolgerungen daraus ernst nimmt und sich überlegt, was das für die Realität bedeuten würde. Von einer Sprengung ist in diesen Schlussfolgerungen nicht ausdrücklich die Rede – eine solche kommt im gesamten Text überhaupt nicht explizit vor. Hulsey schreibt jedoch: „Das nahezu gleichzeitige Versagen aller Säulen ist das einzige Szenario, das wir gefunden haben, das in der Lage war, das beobachtete Verhalten zu produzieren.“ Dieses „beobachtete Verhalten“ identifiziert Hulsey als einen senkrechten Einsturz mit nahezu Fallgeschwindigkeit. Mit anderen Worten, Hulseys Modell stürzt nur dann senkrecht ein, wenn alle tragenden Säulen gleichzeitig versagen – wenn wie im NIST-Modell zunächst einzelne Säulen ausfallen, stürzt Hulseys Modell entweder gar nicht ein, oder es kippt zur Seite um.

Screenshot aus Hulseys Entwurf, Seite 102.

Für ein solches gleichzeitiges Versagen von 81 Säulen, von denen die dickeren rund 60 Zentimeter Durchmesser hatten, auf Höhe der unteren Stockwerke lässt sich aber nun tatsächlich schwerlich eine andere Erklärung finden als eine präzise gesteuerte Zündung von mindestens 81 einzelnen starken Sprengvorrichtungen. Das wertet Ganser somit als Beweis für eine Sprengung des Gebäudes. Damit unterstellt er der ominösen Macht, die die Sprengung vorgenommen haben soll, allerdings eine ziemlich seltsame Vorgehensweise. Um Sprengmechanismen an allen 81 Säulen anbringen zu können, hätte man im laufenden Betrieb mindestens ein vermietetes Stockwerk vollständig entkernen müssen. Da die äußeren Säulen Teil der Fassadenstruktur sind, wäre es zudem kaum möglich gewesen, Schneidladungen, die eine solche riesige Stahlsäule durchtrennen können, so anzubringen, dass sie nicht außen auf der Fassade zu sehen gewesen wären. Der riesige Aufwand wäre zudem völlig überflüssig gewesen. Bei Abbruchsprengungen strebt man nur deshalb häufig einen senkrechten Einsturz an, weil man Schäden in der Umgebung minimieren will. Am Nachmittag des 11. September waren jedoch alle Gebäude zumindest an der Südseite von WTC 7 wenigstens abbruchreif, wenn nicht schon eingestürzt. Um WTC 7 zum Einsturz zu bringen, hätte es völlig ausgereicht, einige Säulen an der Südseite des Gebäudes zu zerstören, um das Gebäude zumindest nach Hulseys Modell zu dieser Seite umkippen zu lassen, was weitaus eher der naiven Erwartung der meisten Menschen entsprochen hätte, zumal die Schäden durch den Einsturz der Zwillingstürme auch auf der Südseite waren. Stattdessen müsste Gansers ominöse Macht einen gigantischen zusätzlichen Aufwand getrieben haben, nur um eine Sprengung, die nicht als Sprengung erkannt werden sollte, genau wie eine Sprengung aussehen zu lassen. Das wäre jedoch nicht die einzige höchst seltsame Entscheidung dieser Dunkelmänner. Wie auf vielen Videos zu erkennen ist, stürzte das sogenannte östliche Penthaus, ein Dachaufbau für die Gebäudetechnik, rund sieben Sekunden vor dem Rest des Gebäudes ein – und damit lange vor den von Ganser behaupteten und von Hulseys zumindest unterstellten Sprengungen. In der NIST-Berechnung ist dies einfach eine Folge des Zusammenbrechens der ersten Säulen im Gebäudekern. Hulsey schreibt jedoch selbst, dass dieser Penthaus-Einsturz nach seinem Modell nur durch das Versagen von drei Säulen oberhalb des 45. Stockwerks zu erklären ist. Die Verschwörer hätten also wenige Sekunden vor der Sprengung aller 81 Säulen auf der Höhe eines der unteren Stockwerke schon einmal drei dieser Säulen auf der Höhe eines der obersten Stockwerke sprengen müssen. Wozu das hätte gut sein sollen, erklären weder Ganser noch Hulsey.  Man kann also entweder annehmen, dass im WTC 7 eine mächtige Verschwörung mit riesigem Aufwand völlig wirr irgendwelche sinnlosen Sprengungen vorgenommen hat – oder dass Hulseys Modell einfach die Statik des Gesamtgebäudes falsch wiedergibt.

Hulseys Modell beschreibt auch den Einsturz falsch

Will man Hulseys Berechnung ernst nehmen, dann muss man eine Verschwörung annehmen, die allerlei umständliche und überflüssige Handlungen vornimmt. Ein solches Überladen der vermeintlichen Abläufe mit immer neuen Wendungen, um die Widersprüche in der vorigen Version zu erklären, ist ein typisches Merkmal moderner Verschwörungsmythen. Es ist für sich genommen aber kein Beweis, dass Hulseys Modell nicht der Realität entspräche. Betrachtet man seine Ergebnisse jedoch genauer, dann finden sich eine ganze Anzahl unrealistischer Modellaussagen, vor allem bezogen auf das Gebäude als Ganzes.

Im oben eingefügten Ausschnitt aus Hulseys Entwurf kippt als Ergebnis des Ausfalls dreier Säulen im Inneren des Gebäudes der ganze obere Teil des Gebäudes um wie ein Dominostein. Selbst in dem Bereich, in dem sie mit dem noch stehenden Gebäudestumpf kollidiert, wird die kippende Struktur kaum deformiert. Direkt über den ausgefallenen Säulen ist das obere Stockwerke leicht durchgebogen, aber ansonsten bleibt der kippende Gebäudeteil im Fallen merkwürdig stabil. So verhalten sich einstürzende Gebäude dieser Größe normalerweise nicht. Man sieht zum Beispiel beim Einsturz des World-Trade-Center-Südturms WTC 2, dass der oberste Gebäudeteil zwar im ersten Moment in einem Stück kippt, sich aber schon bei einem sehr kleinen Winkel in seine Einzelteile auflöst und als 100.000 Tonnen schwere Trümmerwolke zu Boden stürzt.

Auf Metabunk sammelt Mick West unter anderem Informationen über Hulseys Berechnungen, auch mit der Unterstützung der anderen Forumsteilnehmer. Dazu hat West unter anderem die Folien aus einer Präsentation von Hulsey zur Vorstellung seines „Entwurfs“ vergrößert und als zweites Video zur Verfügung gestellt. Diese Präsentation ist interessant, weil sie nicht nur Animationen zu Hulseys Berechnungen enthält, sondern auch Ansichten, die im Entwurf selbst nicht vorkommen. In dieser Präsentation sieht man, dass die Gebäudestruktur in Hulseys kippender Simulation sogar bei weitaus größeren Neigungswinkeln noch vollkommen unbeeinträchtigt zu sein scheint:

Screenshot aus den Folien zu Hulseys Präsentation

WTC 7 verfügt also in Hulseys Berechnung über eine höchst erstaunliche innere Stabilität. Dass der Erdboden in der Berechnung nicht existiert, das Gebäude also im Boden versinken kann, ist für die eigentliche Fragestellung in der Tat unerheblich. Entscheidend ist jedoch die Frage: War das wirkliche WTC 7 auch so stabil? Die Antwort gibt Hulsey in seiner Präsentation unfreiwillig selbst. Mit einer Gegenüberstellung einer eigenen Animation zu einem Video vom 11. September will er offenbar zeigen, dass das abstürzende Gebäude in seiner Simulation ähnlich schnell fällt wie die abstürzende Fassade von WTC 7 im Video. Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir nicht – niemand dürfte bezweifeln, dass er in seinen Berechnungen die korrekte Gravitationskonstante verwendet hat. In dem Video sieht man jedoch deutlich, wie sich während des Einsturzes von WTC 7 nicht nur die Dachkante, sondern auch die darunterliegenden Stockwerke in der Mitte der Nordfassade um mehrere Meter tiefer befinden als an den Seiten. Die Mitte der Gebäudefront beginnt Sekundenbruchteile früher abzustürzen als die Seiten und fällt daher auch schneller. Auf anderen Videos sieht man außerdem, dass die Fassade schon in den Sekunden vor dem Einsturz (und damit vor der von Hulsey unterstellten Sprengung) deutlich vor- und zurückschwankt und Fenster zerbrechen. Während das Gebäude also von außen noch weitgehend aussieht wie ein massives Objekt, hat es seine innere Stabilität längst verloren und die größeren Strukturelemente wie Fassadensäulen sind nur noch vergleichsweise locker miteinander verbunden, während sie unter ihrem eigenen Gewicht nebeneinander her in die Tiefe stürzen. In Hulseys Simulation bildet das Gebäude jedoch weiterhin einen kein bisschen deformierten monolithischen Block, der einfach wie ein Bauklotz nach unten wegsackt.

Screenshot aus den Folien zu Hulseys Präsentation

Was in der Simulation weiter unten passiert, wo dieser Bauklotz ja mit dem darunterliegenden Gebäudestumpf kollidieren muss, zeigt Hulsey vermutlich aus gutem Grund weder in seinem „Entwurf“ noch in der Präsentation.

Die von Hulsey selbst mit verächtlichem Stöhnen vorgeführten NIST-Simulationen entsprechen der auf Videos zu sehenden inneren Instabilität des einstürzenden Gebäudes weitaus realistischer, wenngleich die einzelnen Bewegungen der Fassade möglicherweise nicht in jedem Detail getroffen werden. Alle Details in einer Simulation zu reproduzieren, ist bei einem solchen chaotischen Prozess schlicht unmöglich – Hulseys Simulation ist jedoch nicht chaotisch, weil sich sein Gebäude beim Einsturz überhaupt nicht verformt. Obwohl Hulsey die eigentlichen Daten zu seiner Simulation nicht veröffentlicht hat, kann man also schon aus ihren Ergebnissen deutlich erkennen, dass sein simuliertes Gebäude eine unglaubliche Formstabilität hat, die das tatsächliche Gebäude nicht hatte. Die Ursache dieser Fehler zu finden, ist Hulseys Aufgabe. Bis dahin macht es jedoch genau diese Formstabilität unmöglich, aus Hulseys Simulation irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, aus dem Einsturz welcher Säulen sich ein Einsturz eines Gesamtgebäudes in welcher Form ergeben sollte. Mehr noch: Die unrealistische Formstabilität betrifft nicht die senkrechten Säulen des Gebäudes selbst, sondern vor allem die horizontalen Verbindungen zwischen diesen Säulen. Da diese horizontalen Verbindungen vor allem aus den Etagenböden mit ihren Trägern und Fußbodenelementen bestehen, muss man auch Hulseys Simulationen zur Stabilität dieser Bodenkonstruktionen und damit ihre Rolle beim Beginn des Einsturzes mit großem Zweifel betrachten. Anders ausgedrückt: Hulseys Berechnungen beschreiben ein fiktives Gebäude, das mit der am 11. September zu beobachtenden tatsächlichen Stabilität von WTC 7 nur wenig Gemeinsamkeiten hat. Somit ist es fraglich, ob man aus Hulseys Modell überhaupt irgendetwas über den Einsturz von WTC 7 lernen kann.

Das ist noch lange nicht alles

Diese grundlegenden Probleme in den Ergebnissen von Hulseys merkwürdiger Modellierung sind, unabhängig von der Methodik durch die sie entstanden sind, eigentlich hinreichend, um keine weitere Zeit mehr darauf zu verschwenden und den ganzen „Entwurf“ in dem Müll zu werfen. Es ist daher durchaus verständlich, wenn Sie auch keine weitere Zeit auf diesen Artikel verschwenden möchten. Die Forumsteilnehmer bei Metabunk haben jedoch auch eine ganze Anzahl systematischer Probleme in Hulseys Methodik gefunden, sofern diese aus dem, was er öffentlich macht, überhaupt nachvollziehbar ist. Diese Probleme möchte ich hier nur der Vollständigkeit halber stichpunktartig aufführen:

Screenshot aus Hulseys Entwurf, Seite 102
  • In der Bildunterschrift zu diesem Ausschnitt aus dem „Entwurf“ erklärt Hulsey, das Bild sei das Ergebnis einer „linear-statischen Analyse“. Linear heißt in diesem Zusammenhang, dass das Modell voraussetzt, dass wie bei einer Sprungfeder die doppelte Kraft auf ein Bauteil auch die doppelte Verformung auslöst. Eine nichtlineare Analyse würde auch berücksichtigen, dass Bauteile bei zu großer Belastung irgendwann brechen oder dass ein Teil, wenn es gegen ein anderes gedrückt worden ist, nicht weiter nachgeben kann. Statisch bedeutet, dass das Modell nur unveränderliche Kräfte wie Gewichte oder Federkräfte berücksichtigt. Ein dynamisches Modell müsste auch kurzzeitige Kräfte berücksichtigen, die zum Beispiel beim Aufschlag eines fallenden Teils auf ein anderes entstehen. Eine linear statische Analyse ist auf ein einsturzgefährdetes Gebäude also nur anwendbar, bis das erste Bauteil anfängt, sich zu bewegen. Den Verlauf eines Einsturzes mit einem linear statischen Modell zu berechnen, ergibt zwangsläufig vollkommenen Müll. Bei anderen Darstellungen spricht Hulsey zwar von einer dynamischen Analyse, erwähnt aber nicht, ob diese auch die nötigen nichtlinearen Effekte berücksichtigt. Der Begriff der Nichtlinearität kommt in seinem Entwurf nur in dem Zusammenhang vor, dass einzelne Verbindungen in einem ansonsten linearen Modell als „nichtlineare Federn“ modelliert sind.

    Screenshot aus Hulseys Entwurf, Seite 106
  • Hulsey erklärt im Entwurf und in der Präsentation ausdrücklich, das „Versagen“ von Säulen im Gebäude sei dadurch modelliert worden, dass diese Säulen über jeweils acht Stockwerke aus dem Modell entfernt worden seien. Ob dieses Versagen auch zum Einsturz benachbarter Säulen führt, leitet er dann nur daraus ab, wieviel zusätzliches Gewicht diese Säulen nach dem Wegfall der Nachbarn tragen müssen. So kommt er zu der Schlussfolgerung, das vom NIST als Beginn des Einsturzes identifizierte Einstürzen von drei Säulen im Gebäudekern hätte unmöglich den Einsturz der benachbarten Säulen und schließlich des gesamten Gebäudes nach sich ziehen können. Eine brechende Stahlsäule (mit Sprengung oder ohne) löst sich aber nicht in Luft auf: In der Regel knickt sie zur Seite ein. Im ungünstigsten Fall trifft sie dabei eine der benachbarten Säulen und knickt diese ebenfalls ab. Aber selbst im günstigsten Fall, dass der obere Teil der Säule einfach neben dem Stumpf des unteren abgleitet, entstehen über die Querverbindungen wie Deckenträger und Fußböden erhebliche seitwärtige Zugkräfte auf die benachbarten Säulen. Solche 190 Meter hohen und nur 60 cm dicken Säulen (bezogen auf die Länge eines Streichholzes entspricht das gerade der Dicke von zwei menschlichen Haaren) können zwar extreme Gewichtskräfte in senkrechter Richtung aufnehmen, sind aber sehr anfällig gegen Kräfte von der Seite. Die absehbaren Folgen sind in Hulseys Modell nicht enthalten, vermutlich weil sie eben eine nichtlinear-dynamische Analyse erfordert hätten, wie sie das NIST vorgenommen hat.
  • Aufgrund dieser Angaben im Text und in Hulseys Vortrag sowie der präsentierten Resultate geht der Metabunk-Autor Mick West davon aus, dass Hulseys Berechnungen überhaupt keine tatsächliche dynamische Analyse enthalten. Das würde auch die bemerkenswerte innere Stabilität der simulierten Gebäudestruktur erklären: In diesem Fall würde sich das Gebäude nicht verformen, weil diese Verformungen schlicht nicht berechnet werden. Aufgrund der Ergebnisse einer statischen Berechnung (Überlastung bzw. Entfernen tragender Säulen) wäre der über der Schadenstelle liegende Gebäudeteil einfach gemäß der im ersten Moment herrschenden Kräfte entweder zur Seite gekippt oder senkrecht im Boden versenkt worden. In diesem Fall wäre Hulseys „Simulation“ natürlich eine reine Farce und eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit. Tendentiell bestätigt wird Wests Mutmaßung durch eine Videoanalyse einzelner Bildpunkte, nach der sich die einzelnen Strukturelemente in Hulseys Animationen nicht nur sehr wenig, sondern tatsächlich gar nicht bewegen:

    Screenshot aus einem Analysevideo zu Hulseys Animationen, Anklicken zum Ansehen des Videos
  • Wests Vermutung würde auch ein extrem seltsames Verhalten des östlichen Penthauses in Hulseys Simulation erklären. Hulsey unterstellt ja, um den Einsturz dieses Dachaufbaus überhaupt erklären zu können, die Zerstörung von drei inneren Säulen in einem der obersten Stockwerke mehrere Sekunden vor der Zerstörung aller Säulen auf Höhe der unteren Stockwerke. Während nach der NIST-Simulation (im Bild unten auf der linken Seite) das Penthaus einfach dem schon einstürzenden Gebäudekern folgt, zerbricht es bei Hulsey (rechts) in zwei große Teile, die durch mehrere noch intakte Betondecken und deren Stahlträger hindurch abstürzen, aber dann ein paar Stockwerke weiter mehr oder weniger in ihrer ursprünglichen Form steckenbleiben. Dabei handelt es sich beim Penthaus um eine im Vergleich zu anderen Teilen des Gebäudes relativ leichte Konstruktion. Das kann nicht das Ergebnis einer Simulation sein, die Kollisionen zwischen den einzelnen Bauteilen des Penthauses und den durchflogenen Betondecken berechnet. Damit stellt sich natürlich die Frage, was Hulseys „Simulation“ überhaupt berechnet.

    Screenshot aus Mick Wests Analysevideo zu Hulseys Präsentation, Anklicken zum Ansehen des Videos
  • West verweist in seiner Analyse gleich auf mehrere Stellen in Hulseys Text und Vortrag, an denen er die NIST-Simulation in einer Weise kritisiert, die nur dadurch zu erklären ist, dass Hulsey die Arbeit des NIST nicht verstanden hat oder nicht verstehen will. So verwendet er einen beträchtlichen Teil seines Textes darauf, das Abrutschen eines einzelnen Trägers vermeintlich zu widerlegen, den das NIST beispielhaft als einen möglichen Auslöser des letztlichen Einsturzes modelliert hatte. Im NIST-Gesamtmodell des Einsturzes ist dieser Träger für den Ablauf jedoch gar nicht entscheidend. An anderer Stelle kritisiert Hulsey unterschiedliche Strukturen zwischen unterschiedlichen Gebäudeteilen in der NIST-Simulation. Die feiner aufgelöste Struktur für einen Gebäudeteil diente jedoch nur für eine Detailanalyse innerhalb dieses Teils. Bei der Simulation des Gesamteinsturzes wurde das komplette Gebäude mit einer einheitlichen Simulationsstruktur berechnet.

Zusammenfassend muss man sagen, dass Hulseys Modell, was immer es tatsächlich intern tut, offensichtlich völlig ungeeignet ist, um daraus irgendwelche Rückschlüsse auf die Vorgänge am 11. September 2001 zu ziehen. Es beschreibt eine Phantasiewelt, die grundlegendsten Gesetzen der Mechanik widerspricht, in der komplexe Gebäude sich verhalten wie massive Klötze und Stahlträger durch Betonplatten fallen, ohne dabei auch nur abgelenkt zu werden. Man muss auch eigentlich kein Bauingenieur sein, dass einem diese Fehler geradezu ins Auge springen, und Hulsey darf sie aufgrund seiner Qualifikation und Erfahrung eigentlich unmöglich übersehen. Offen bleibt jedoch, ob es sich bei seiner Vorstellung um ein bewusstes politisch motiviertes Täuschungsmanöver handelt (weil möglicherweise eine realistischere Berechnung nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat) oder ob er es einschließlich seiner beiden Doktoranden tatsächlich nicht besser hinbekommen hat.

 

 

5G-Mobilfunk und die Party der Verschwörungs-Schwurbler

Ich sag’s gleich vorweg: Das wird mal wieder lang – aber wenn man zu dem Thema fundiert etwas sagen will, kommt man an ein paar Hintergründen nicht vorbei, und der Artikel ist durchaus auch mal zum späteren Nachlesen und zum Weitergeben an verunsicherte oder sonstwie besorgte Zeitgenossen gedacht. So richtig viel Fundiertes gibt es zu dem Thema ja noch nicht, auch wenn ich gerade sehe, dass mir der sehr geschätzte Physikerkollege Florian Aigner mit einem Artikel um ein paar Stunden zuvorgekommen ist, den ich als Ergänzung und etwas kürzere Zusammenfassung ebenfalls empfehle.

Panikmache auf rechtsesoterischen Verschwörungsseiten

Wenn man auf Youtube das Stichwort „5G Strahlung“ in die Suchfunktion eingibt, kann man gleich unter den ersten Suchergebnissen den Eindruck gewinnen, der zukünftige 5G-Mobilfunkstandard brächte eine Form von Killerstrahlung mit sich, die in der Lage sein müsste, ganze Landstriche zu entvölkern.

„WARNUNG vor 5G !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!Wollen sie uns Kochen??Strahlung im Microwellenbereich!!!“ ist dort zu lesen, „Dringender Weckruf: 5G ist Gefahr für Leib und Leben!“ sowie „5G=Globaler „MIKROWELLEN- HERD“ OHNE ENTRINNEN- Alle 200m ein Sender!“. „5G kommt! Verstrahlt im Namen der NWO!“[neue Weltordnung] titelt ein selbsternannter „Freund der Wahrheit“ in seinem Videokanal, und gleich der erste Kommentator erklärt darunter: „Das 5G ist ein Mikrowellenwaffensystem. Diese Strahlen werden uns geistig und körperlich völlig zerstören.“

Der überwiegende Teil der Youtube-Kanäle, die diese Videos und Schlagzeilen verbreiten, gehört zu dem üblichen, sich regelmäßig gegenseitig referenzierenden Netzwerk von Seiten, die für Verschwörungsmythen, rechte Propaganda, antisemitische Anfeindungen gegen jüdische Unternehmer, Hetze gegen Flüchtlinge sowie Werbung für abstruse Pseudomedizin bekannt sind. Eine ganze Reihe von 5G-Videos dieser Art kommt von Ivo Saseks Klagemauer.tv. Darin findet sich auch das in diversen Videos dieser Art verbreitete Märchen, bei einem 5G-Test (den es dort gar nicht gab) seien in Den Haag tote Vögel vom Himmel gefallen. In anderen Videos solidarisiert sich der Kanal mit Rechtsextremen, erklärt gemäß klassisch antisemitischem Verschwörungsdenken den Kommunismus zum Ziehkind der „Hochfinanz“ (wobei im Zielpublikum jedem klar sein dürfte, dass damit die Juden gemeint sind) und den islamistischen Anschlag von Straßburg zu einer Inszenierung der französischen Regierung. Die Flüchtlingskrise ist für Klagemauer.tv eine vom jüdischen Unternehmer George Soros eingefädelte „Verschwörungstatsache“. Sasek, der selbst in der Schweiz schon wegen Holocaustleugnung und Rassendiskriminierung angeklagt war, hatte 2012 auf seiner Antizensurkonferenz Sylvia Stolz, der ehemaligen Anwältin der Holocaustleugner Ernst Zündel und Horst Mahler, einen Vortrag ermöglicht, den er anschließend sichtlich gerührt bejubelte. Für eben diesen Auftritt ist Sylvia Stolz inzwischen selbst in Deutschland wegen Holocaustleugnung zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden.

Auf bewusst.tv agitiert gegen 5G der dortige Stammmoderator Jo Conrad, der auch schon als Veranstalter von Reichsbürgerkonferenzen in Erscheinung getreten ist. Selbstverständlich darf auch der ehemalige Greenpeace-Aktivist Werner Altnickel nicht fehlen, der sonst inzwischen lieber über Chemtrails fabuliert, Reichsbürgerideologie verbreitet und stolz darauf zu sein scheint, wenn er zur rechten Szene gezählt wird:

In einigen Fällen ist der Hintergrund der Panikmache klar, wenn zum Beispiel unter der Schlagzeile „Angriff auf unsere Zirbeldryse durch Fluorid & 5G Strahlung!“ Enrico Edinger, der sich inzwischen als Prof.* Dr. nauk* Dr. med. bezeichnet, für den Kauf windiger Nahrungsergänzungsmittel wirbt. Im gleichen Video erklärt Edinger übrigens auch: „Elektroautos sind Mord für den Menschen. Also, auch von der Tumorbildung her.“

Besonders bizarr ist ein Video des Kanals mit dem vertrauenerweckenden Namen Extremnews. Es trägt den Titel „Medienwissenschaftler: Warum 5G hochgefährlich ist“.  Inwiefern die Medienwissenschaft, die die Massenkommunikation aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Perspektive untersucht, jemanden dazu befähigen soll, Aussagen über die medizinische Wirkung elektromagnetischer Wellen zu machen, erschließt sich mir nicht. Lustig wird es, wenn man bemerkt, dass der angekündigte Medienwissenschaftler niemand anders ist als Harald Kautz-Vella. Kautz-Vellas abstruse Phantastereien hat selbst der bereits erwähnte Werner Altnickel in einem Interview schon mit den Worten kommentiert: „Wenn unsere Gegner das zitieren, stehen wir vielleicht insgesamt als Idioten da.“ Im Bemühen, in Esoterik und Verschwörungsglauben irgendwie wahrgenommen zu werden, treibt Kautz-Vella alle paar Jahre eine neue Sau durchs Dorf. Der goldene Aluhut hat ein paar witzige Zitate aus der Zeit zusammengetragen, als Kautz-Vella sich primär über die vermeintliche Hautkrankheit Morgellons positionierte – bei der es sich in Wirklichkeit meist um eine Wahnvorstellung handelt. Mein Lieblings-Kautzvellismus ist allerdings Black Goo, ein schwarzes Wunderöl, das von Außerirdischen auf die Erde gebracht worden sein und eine eigene Intelligenz und ein Bewusstsein haben soll.

Wenn das Thema in diesem Umfeld von Antisemitismus, Pseudomedizin und Verschwörungshetze bliebe, müsste man sich möglicherweise nicht so sehr aufregen. Bedauerlicherweise schwappt es von dort immer wieder in die Mainstreammedien herüber, und zwar in erschreckend ähnlichem Tonfall, und häufig auch mit ähnlicher Faktenbasis.

Die gleiche Panikmache in Mainstreammedien

„Strahlendes Experiment“ überschreibt die Zeit einen Artikel, in dem die entscheidende Aussage über Mobilfunk irgendwo im Kleingedruckten untergeht: „Hunderte Studien konnten bisher nicht nachweisen, dass eine Gesundheitsgefahr von diesen elektromagnetischen Feldern (EMF) ausgeht.“ Die angeblich noch unbekannten Risiken, mit denen laut Zeit an der Bevölkerung experimentiert wird, finden sich fast identisch in der Rede des AfD-Abgeordneten Peter Felser am 4. April 2019 im Bundestag: „Uns muss doch klar sein, dass wir noch überhaupt keine Langzeitrisiken dieser Technologien abschätzen können. Wir sind mit diesen Funkstrahlen in einem riesigen Feldexperiment.“ Der Tagesspiegel folgt eher dem Tonfall der Online-Verschwörungshetzer als dem der AfD und behauptet: „Europas Regierungen ignorieren die Gefahr.“ Wie die Zeit verlinkt auch der Tagesspiegel eine der typischen Unterschriftslisten von Elektrosmoggegnern und bezeichnet die Unterzeichner der Einfachheit halber als Wissenschaftler. Ein genauerer Blick auf die beiden Listen zeigt die zum Teil identischen üblichen Verdächtigen aus der Elektrosmogszene, Hausärzte, Naturheiler, Homöopathen und Mitglieder selbsternannter „Kompetenzinitiativen“. Die von der Zeit verlinkte Liste ist neben der Redakteurin des „ElektrosmogReport“ und Harald Walach, dem Erfinder der „schwachen Quantentheorie“ auch vom Quantenesoteriker Ulrich Warnke unterschrieben, zu dem ich einiges in der Neuauflage des Quantenquark-Buchs geschrieben habe. Auf beiden Listen als Wissenschaftler aufgeführt ist Florian M. König, der lustige Elektrosmog-Schutzprodukte zum Einbau in die Stromleitung verhökert und sich dabei auf wissenschaftliche Kapazitäten wie den angeblichen Reichsflugscheibenentwickler Viktor Schauberger und den Orgon-Phantasten Wilhelm Reich beruft.

Der Sender rbb schreibt gleich Forscher fordern Abbruch des 5G-Testlaufs in Berlin.“ Der Link des rbb über die Forderung  der „Forscher“ führt auf das Elektrosmog-Gläubigen-Portal „diagnose:funk“, wo dann die nächste Unterschriftenliste angeblicher Wissenschaftler verlinkt ist. Die hier wenigen deutschen Unterzeichner kennt man überwiegend schon von den beiden anderen Listen – König und Warnke sind auch wieder mit von der Partie. Der wichtigste Experte des rbb-Artikels ist Franz Adlkofer, der mit der Aussage zitiert wird, Mobilfunkstrahlung sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlich“. Der frühere Lobbyist für die Tabakindustrie Adlkofer war um 2000 herum Koordinator einer Studie, die Mobilfunk mit Krebs in Verbindung brachte und die nach einer Serie von Datenfälschungsskandalen inzwischen völlig diskreditiert ist. Der rbb erwähnt Adlkofers fragwürdige Vergangenheit nicht, sondern schreibt über ihn nur, er untersuche „seit Jahren, wie sich Mobilfunkstrahlen auf die Gesundheit der Menschen auswirken.“ Außer beim rbb ist Adlkofer gern gesehener Gast beim Verschwörungsmythenkanal KenFM und beim offiziellen Propagandaportal der russischen Regierung RT Deutsch.

Grundlegendes zur Wirkung elektromagnetischer Wellen

Nun kann sich eine mehr oder weniger wissenschaftliche These ihre Anhänger ja nicht aussuchen, und es wäre im Prinzip denkbar, dass die Mobilfunkstrahlung  wenigstens der neuen 5G-Technik doch irgendwie gefährlich ist, trotz der fragwürdigen Vertreter, die diese Gefährlichkeit behaupten. Wie plausibel ist eine solche Schädlichkeit also aus physikalischer Sicht? Werfen wir dazu erst einmal einen Blick darauf, wie elektromagnetische Wellen überhaupt auf biologisches Material wirken können. Dass das je nach der Wellenlänge unterschiedlich ist, hängt tatsächlich mal mit der Quantenphysik zusammen. Wer im Quantenquark-Buch das Kapitel zur Entstehung der Quantenmechanik gelesen hat, hat daher für die folgenden Absätze schon einmal einen kleinen Vorsprung.

Nachtrag 18.5.2020:
Inzwischen habe ich eine wunderbares kleines Erklärvideo von Prof. Lemeshko gefunden, das ich sehr empfehlen kann, sozusagen als kleine Abkürzung zu meinen folgenden Erläuterungen bis zur Zwischenüberschrift „Was ist eigentlich 5G“.

Nach dem 1900 entdeckten Planckschen Strahlungsgesetz bestehen Wellen aus winzigen Energiepaketen, die als Quanten oder, im konkreten Fall elektromagnetischer Wellen, als Photonen bezeichnet werden. Je höher die Frequenz, mit der die Welle schwingt, je kürzer also die Wellenlänge, desto größer ist die Energie des einzelnen Photons. Mit Einsteins Berechnung des Photoeffekts aus dem Jahr 1905 ist auch klar, dass ein solchen Photon seine Energie immer auf genau ein geladenes Teilchen (also ein Elektron oder ein Proton) überträgt, mit dem es zusammentrifft. Dasselbe Elektron wird danach in der Regel nicht noch ein zweites Photon derselben Energie absorbieren. Es ist also ein entscheidender Unterschied, ob eine Energiemenge in einem Photon oder auf mehrere Photonen verteilt übertragen wird.

Ionisierende Strahlung

Reicht die Energiemenge eines Photons aus, um ein Elektron vollständig aus seinem Atom, Molekül oder Kristallgitter herauszuschleudern, dann bleibt der Rest des Atoms oder Moleküls als positiv geladenes Ion übrig. Man spricht dann von ionisierender Strahlung. Dabei können auch ansonsten sehr stabile chemische Bindungen zerstört werden. Passiert das im Erbgut einer lebenden Zelle, dann kann das mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit (meistens ist die beschädigte Stelle im Erbgut für die Zelle gar nicht relevant, oder sie ist lebenswichtig und die Zelle stirbt einfach) dazu führen, dass die Zelle sich unkontrolliert vermehrt und einen Tumor bildet. Daher kann ionisierende Strahlung Krebs auslösen oder bei der Fortpflanzung zu vermehrten Mutationen in der nächsten Generation führen. Da sich ein Tumor aus einer einzelnen Zelle entwickeln kann, kann wenigstens theoretisch jedes einzelne ionisierende Photon tödlich sein, wenn die körpereigenen Reparaturmechnismen versagen. Ionisierende Strahlung kann also tödlich sein, ohne dass man sie überhaupt bemerkt. Elektromagnetische Wellen sind ionisierend, wenn ihre Wellenlänge kürzer ist als die von sichtbarem Licht. Ionisierend und damit potentiell krebsauslösend sind also ultraviolettes Licht, Röntgenstrahlung und Gammastrahlung.

Das sichtbare Licht zusammen mit dem nahen Infrarot bildet eine Art Übergangsbereich: Es kann Elektronen nicht mehr aus einem Atom herauslösen, sie aber in angeregte Zustände versetzen und somit auch gewisse chemische Reaktionen auslösen – dadurch kann auch unser Auge das Licht wahrnehmen. Die Energie der Photonen des sichtbaren Lichts reicht aber schon nicht mehr aus, um stabile chemische Bindungen wie in der DNA unseres Erbguts zu verändern. Daher ist es auch nicht krebserregend.

Mikro- und Radiowellen

Bei noch größeren Wellenlängen, wie dem fernen Infrarot, den Mikrowellen und den Radiowellen, wird die Energie der einzelnen Photonen so klein, dass diese Quanten vollkommen bedeutungslos werden und die Welle nur noch als Ganzes messbare Energien übertragen kann. Die Energie kann daher nicht mehr auf einzelne Atome übertragen werden, so dass auch keine einzelnen chemischen Bindungen zerstört werden und die Wellen somit keinen Krebs auslösen können.

Schaden anrichten können solche Wellen dennoch, allerdings auf ganz andere Art: Nicht einzelne Photonen, sondern die Welle als ganzes kann elektrische Ladungen, auch innerhalb von großen Molekülen, in Schwingung versetzen. Die Schwingungen äußern sich dann im betreffenden Material als Wärme. In biologischem Material funktioniert das am stärksten in dem Frequenzbereich, in dem Wassermoleküle besonders gut schwingen, und genau dieser Effekt wird im Mikrowellenherd ausgenutzt. Im Prinzip passiert aber genau das gleiche (bei jeweils unterschiedlichen Eindringtiefen ins Material) über den gesamten Frequenzbereich vom Infrarot bis zu den Radiowellen. Werden Körperteile eines lebenden Organismus in dieser Form schneller erhitzt, als die Wärme zum Beispiel über den Blutkreislauf verteilt und aus dem Körper abgegeben werden kann, kann das zu Schäden bis hin zu Verbrennungen oder dem Tod führen. Das kann aber logischerweise kaum unbemerkt passieren, weil wir Temperaturveränderungen spüren. Ebenso kann eine geringfügige Erwärmung auch bei regelmäßiger Wiederholung nicht zu Schäden führen, weil der Körper seine Temperatur ohnehin ständig regeln muss, ob Wärme nun durch elektromagnetische Wellen, durch Wärmeleitung oder durch Verdunstung und Kondensation zugeführt oder abgegeben wird. Die Grenzwerte für Strahlungsintensitäten in diesem Frequenzbereich richten sich daher danach, dass eine eventuell ausgelöste Erwärmung von Körperteilen oder des ganzen Körpers keinen Schaden anrichten darf.

Niederfrequente Wechselfelder

Bei noch niedrigeren Frequenzen, die sich kaum noch sinnvoll als Wellenlänge ausdrücken lassen, spielt dann auch die Erwärmung keine Rolle mehr. Stattdessen führen solche niederfrequenten Wechselfelder in biologischem Material zu elektrischen Strömen. Bekanntermaßen können elektrische Ströme dem Menschen schaden. Allerdings sind dazu Stromstärken erforderlich, die weit über die Schwelle hinausgehen, bei der man die Ströme schon deutlich spüren kann. Solche Wechselfelder begegnen uns praktisch nur durch die 50-Hertz-Wechselspannung unseres Stromnetzes. Wenn man bei Regen unter einer Hochspannungsleitung läuft, kann es vorkommen, dass man die vom Wechselfeld der Leitung verursachten Ströme als Kribbeln wahrnimmt. Bei solchen Frequenzen richten sich die Grenzwerte für zulässige Feldstärken daher am Auftreten solcher unangenehmer Wahrnehmungen, auch wenn noch weitaus größere Intensitäten auftreten müssten, um echte Gesundheitsschäden auslösen zu können.

Nobelpreise, die offenbar niemand abholen will

Die genannten Effekte, Schwingung/Erwärmung und induzierte Ströme, sind die einzigen, die sich auf Basis der bekannten Physik und Chemie für nicht ionisierende elektromagnetische Wellen in biologischem Material ableiten lassen. Die unter anderem vom schon erwähnten Quantenesoteriker Warnke verbreitete Vorstellung, die DNA des Erbguts könnte von Mikrowellen so stark zum Schwingen gebracht werden, dass sie durchreißt, ergibt physikalisch auch keinen Sinn. Eine solche Schwingung wäre wieder nichts weiter als eine Erwärmung, und DNA ist weitaus hitzebeständiger als die meisten Eiweiße, die sie umgeben. Bevor eine Zelle durch ein von Mikrowellen verursachtes Zerreißen der DNA zur Tumorzelle werden könnte, wäre sie gargekocht und damit tot. Wer behauptet, durch Mikrowellen oder andere nicht ionisierende elektromagnetische Wellen könnten gesundheitliche Schäden anders als durch Überhitzung entstehen, müsste also zunächst einmal einen Wirkmechanismus erklären. Da dieser im Rahmen der Physik nicht existiert, wäre dafür bei entsprechendem Nachweis nicht nur der ohnehin fällige Nobelpreis für Medizin zu bekommen, sondern gleich auch noch einer für Physik. Bislang gibt es dafür keine Kandidaten, zumal die Vertreter der Elektrosmogszene in der Regel lieber panische Schlagzeilen verbreiten, als sich Gedanken darüber zu machen, wie die von ihnen behaupteten Gefahren eigentlich zustande kommen sollen.

Was genau ist eigentlich 5G

„5G“ bezeichnet zunächst einmal einfach die fünfte Generation mobiler Internetverbindungen. Die erste Generation wäre dabei die Datenübertragung über eine analoge mobile Sprechverbindung. Zur zweiten Generation gehören GPRS und EDGE, auf die Nutzer bei schlechter Verbindung heute noch öfters zurückgeworfen sind. Die dritte Generation mit UMTS, löste bei seiner Einführung den ersten großen mobile-Datenverbindungs-Hype aus und spülte in Deutschland im Jahr 2000 über die Versteigerung der Lizenzen zig Milliarden in die Kassen des Bundes. Die vierte Generation entspricht in Deutschland weitgehend dem seit 2010 eingesetzen LTE. Verändert haben sich zwischen den Generationen vor allem die Übertragungsprotokolle und die Art, wie Verbindungen auf nahe beieinanderliegende Frequenzen verteilt werden. Entsprechend haben sich auch die Antennen geringfügig verändert. An der grundlegenden Struktur der Netze hat sich vor allem beim letzten Schritt von UMTS zu LTE wenig verändert.  Mit jeder neuen Generation haben sich aber die erreichbaren Datenraten vervielfacht, und das soll auch in der fünften Generation passieren.

Nun würde eine neue Generation von Übertragungsprotokollen auf ähnlichen Frequenzen wie bisher in einem weitgehend bestehenden Netz wahrscheinlich selbst hartgesottene Elektrosmog-Geschäftemacher kaum noch in Wallung bringen. Durch die Hintertür bringt 5G allerdings einige interessante technische Veränderungen mit sich, denn wenn der neue Standard überhaupt spürbare Vorteile bringen soll, muss eine ganz neue Nachfrage nach Datenübertragung entstehen.

Für heutige Smartphones ist die Datenübertragungsrate von LTE nämlich für alle praktischen Zwecke ziemlich ausreichend. Die höchsten Übertragungsraten, die die meisten User mit ihren Smartphones tatsächlich brauchen, fallen für das Streaming von hochauflösenden Videos an. Dafür braucht man 5G nicht, so dass Nutzer kaum bereit sind, für noch höhere Datenraten auch mehr zu bezahlen. Viele private Nutzer haben ohnehin Tarife, bei denen das monatliche Gesamtvolumen so begrenzt ist, dass Streaming für sie bestenfalls kurzzeitig in Frage kommt. Sie bezahlen also nicht einmal für die vollen Möglichkeiten der heutigen Technik.

Wollen die Anbieter mit ihrem neuen Standard also tatsächlich zusätzliche Einnahmen generieren – und das müssen sie, um dessen Einführung finanzieren zu können – dann muss durch neue Anwendungen ein neuer Bedarf entstehen. Erwartet wird dieser Bedarf vor allem durch das „Internet der Dinge“, also dadurch, dass immer mehr technische Geräte, die nicht primär der Kommunikation dienen, Daten versenden. Das Vorzeigebeispiel ist meist der Kühlschrank, der selbstständig die zur Neige gehenden Vorräte nachbestellt. Tatsächlich sind, wenn man die Kosten in den Griff bekommt, eine Unzahl von Anwendungen denkbar: Maschinen in Fabriken, die ihre Funktion an die Konzernzentrale melden, landwirtschaftliche Geräte, die beim Ernten schon die Mengen in der Mühle anmelden, Frachtstücke und Kühlbehälter, die ihren eigenen Transport überwachen, das Smart Home, das automatisch lüftet und heizt, wenn sich die Bewohner aus dem Urlaub nähern, Arzneimittel, die sich aus dem Arzneischrank melden, wenn ihr Verfallsdatum naht… Gerade die vielen Effizienzgewinne, die sich hier abzeichnen, lassen erwarten, dass private und geschäftliche Kunden bereit sein werden, dafür angemessen zu bezahlen. Die meisten dieser Geräte brauchen für sich genommen keine riesigen Datenraten, aber in der Summe sollte die übertragene Datenmenge dramatisch ansteigen.

Was aber vor allem ansteigt, ist die Anzahl der Endgeräte und damit der Verbindungen, und jede dieser Verbindungen braucht vereinfacht gesagt im Moment der Datenübertragung eine eigene Frequenz, auf der ein Gerät mit einer Basisstation kommunizieren kann, ohne dass ein anderes Gerät innerhalb der Reichweite auf derselben Frequenz dazwischenquakt. Das ist nur durch neue Übertragungsprotokolle nicht zu erreichen. Wenn 5G und das Internet der Dinge den Nutzen bringen sollen, den man sich von ihnen erwartet, brauchen sie deutlich mehr Frequenzen und deutlich mehr Basisstationen.

Arbeitet 5G auf ganz neuen Frequenzen?

Im Bereich der aktuell für den Mobilfunk genutzten Frequenzen zwischen 700 und 2600 MHz wird es allerdings langsam eng. Schon für UMTS und LTE hatte die Bundesnetzagentur zusätzliche Frequenzen freischaufeln müssen, die vorher teils dem Militär, teils dem DVB-T-Fernsehen vorbehalten waren. Im Frequenzplan sieht man, viel dürfte in diesem Bereich nicht mehr zu holen sein. Ein paar kleine Fenster könnte die Bundeswehr vielleicht noch abgeben, und ein paar könnte man effizienter nutzen, indem man die alten Mobilfunknetze abschaltet und die Frequenzen für 5G recyclet – aber dann würden natürlich auch die letzten noch verwendeten Nokia-Knochen nicht mehr funktionieren.

Für die ganz hohen Datenraten kann man physikalisch mit der Frequenz auch nicht sehr weit nach unten gehen: Übertragen werden die Daten ja über Veränderungen eines Funksignals. Damit die Frequenz dieses Signals überhaupt noch erkannt werden kann, muss die Frequenz, mit der es sich ändert (und damit die Bitrate der Datenübertragung), logischerweise deutlich kleiner sein. Daher lassen sich über höhere Sendefrequenzen mehr Daten übertragen. Gleichzeitig werden die Reichweite in unserer realen Umwelt, die Fähigkeit, Wände zu durchdringen oder sich um Hindernisse herumzukrümmen, mit höherer Frequenz immer schlechter. Auch die heutige Sende- und Empfangstechnik hat zu sehr hohen Frequenzen hin ihre Grenzen. Für die nächsten Jahre sind für 5G also neben Lücken bei 2000 MHz zunächst einmal Frequenzen zwischen 3400 und 3700 MHz vorgesehen.

Ist das die gefürchtete Mikrowellenstrahlung und die Nutzung dieser Frequenzen das „strahlende Experiment“, von dem die Zeit schreibt? Wohl kaum. Der angesprochene Bereich liegt genau zwischen den Frequenzen, die wir wir von heutigem Mobilfunk, von DECT, Bluetooth und dem unteren WLAN-Frequenzband kennen und dem oberen WLAN-Frequenzband bei 5000 MHz, von dem Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihrer Wohnung und an vielen Arbeitsplätzen umgeben sind. Neu und unbekannt ist diese Art von Strahlung also keineswegs. Natürlich handelt es sich um Mikrowellen – genau wie bei praktisch allen schnellen, drahtlosen Datenverbindungen, mit denen wir täglich zu tun haben.

Längerfristig ist aber auch absehbar, dass bei sehr vielen neuen Geräten mit Internetanbindung in einem kleinen Gebiet auch diese Frequenzen irgendwann nicht mehr ausreichen dürften. Höhere Frequenzen sind zunächst einmal durch Satellitenkommunikation, auch Satellitenfernsehen, sowie Radargeräte belegt, gefolgt von einem Bereich, in dem die Wellen vom Wasserdampf in der Atmosphäre stark absorbiert werden, so dass die Reichweiten extrem kurz und wetterabhängig würden. Wahrscheinlich geeignetere und noch wenig genutzte Frequenzen fände man wieder zwischen 25.000 und 35.000 MHz (25-35 GHz). [Aktualisierung 26.11.19: zwischen 24.000 und 35.000 MHz (24-35 GHz). Gegen die zumindest in internationalen Konferenzen diskutierten Frequenzen bei 24 GHz gibt es jedoch Bedenken, sie könnten Messungen des Wasserdampfgehalts in der Atmosphäre durch Wettersatelliten stören, die einen Frequenzbereich knapp unter 24 GHz nutzen.] Genaue Frequenzen sind dort noch nicht festgelegt, und die technische Machbarkeit wird noch erprobt. Das ist also so oder so Zukunftsmusik und hat mit dem 5G, das ab 2020 allmählich in Betrieb gehen soll, wenig zu tun. Klar ist nur, wenn sehr viele neue Geräte kommen, wird man irgendwann Frequenzen in diesem Bereich nutzen müssen. Aktuell arbeiten dort zum Beispiel Satellitenfunk und spezielle Radargeräte wie Abstandsmesser für autonomes Fahren oder manche Radarfallen. Da wir im Alltag bislang noch eher wenigen Sendern in diesem Bereich begegnen, kann man sich theoretisch schädigende Wirkungen zusammenphantasieren, die noch nicht aufgefallen sein könnten, falls sie selten genug aufträten.  Auch hier wäre aber ein Nobelpreis für Physik fällig, denn nach den Gesetzen der Physik ist auch in diesem Bereich, immer noch weit unter dem Infrarot und noch weiter unterhalb des sichtbaren Lichts und der ionisierenden Strahlung, die einzige Wirkung auf biologisches Material eine Erwärmung.

Einen biologischen Unterschied gibt es allerdings tatsächlich: Die kürzeren Wellen bei diesen Frequenzen geben beim Auftreffen auf den Körper ihre Energie nicht über mehrere Zentimeter Weglänge im Gewebe ab, sondern direkt in der obersten Hautschicht. Der Körper würde also nicht wie durch heutigen Mobilfunk im Gewebe erwärmt, sondern direkt auf der Haut. Die würde sich vor allem bei schlechter Durchblutung möglicherweise schneller aufheizen. Das klingt beunruhigend, aber tatsächlich hätte es einen entscheidenden Vorteil: Auf der Haut haben wir anders als tief im Gewebe Nervenenden, die Wärme wahrnehmen. Eine Annäherung an einen zu starken Sender würde man also viel schneller als heiß empfinden und könnte sich in Sicherheit bringen. Der Effekt würde einem Infrarot-Heizstrahler ähneln, der allerdings bei noch viel höheren Frequenzen strahlt.

Alle 200 Meter ein Sendemast?

Bei den für einen späteren Ausbau vorgesehenen Frequenzen ab 25 GHz ist die Reichweite durch Hindernisse und Absorption in der Luft erheblich geringer als bei heutigem Mobilfunk. Für die Flächenabdeckung ist das natürlich ein Nachteil, aber in Gebieten mit hoher Nutzerdichte eher vorteilhaft, weil man dieselbe Frequenz an einem anderen Sendemast schon in überschaubarem Abstand wieder verwenden kann. Die kurze Reichweite führt also dazu, dass man nicht absurd viele zusätzliche Frequenzen braucht. Sie erfordert aber natürlich tatsächlich deutlich mehr Sendestationen. In gewisser Weise verschwimmt damit in Innenstädten durch 5G der Unterschied zwischen Mobilfunk und öffentlichem WLAN. Die kürzere Reichweite bedeutet natürlich auch, dass die Strahlen-„Belastung“ auf der einzelnen Frequenz trotz mehr Sendestationen im Durchschnitt nicht ansteigt. Man braucht ja einfach nur genug Leistung, dass das Gerät kommunizieren kann. Die insgesamt eingestrahlte Leistung über alle Frequenzen steigt also nur in dem Umfang, wie mehr Geräte eben mehr Frequenzen brauchen.

Die kürzere Reichweite bei den sehr hohen Frequenzen, in Verbindung mit der populistischen Forderung mancher Politiker nach „5G an jeder Milchkanne“ dürfte zu der irrsinnigen Vorstellung geführt haben, ganz Deutschland würde mit Sendemasten im Abstand von 200 Metern zugepflastert. Hohe Dichten an Sendern wird es da geben, so sich viele Menschen aufhalten und sich damit auch viele Geräte ins Netz einwählen werden, also zum Beispiel in Frankfurt auf der Zeil oder in München rund um den Marienplatz. Auch Industriegebiete könnten eine hohe Senderdichte brauchen, wenn dort viele technische Geräte einen Internetzugang bekommen.

Auf dem Land sind die Kapazitäten der heutigen Mobilfunknetze hingegen nicht annähernd ausgelastet, und daran wird sich bei 5G auch dann nichts ändern, wenn alle Traktoren eine Internetanbindung haben und Forsthäuser zu Smart Homes werden. Wollte man die Flächenabdeckung des heutigen Mobilfunks erreichen, dann bräuchte man wegen der dort schon geringeren Reichweite allerdings schon bei den aktuell vorgesehenen Frequenzen von 3400 MHz in gewissem Umfang mehr Sendemasten als heute, die dann zum größten Teil nur zu winzigen Bruchteilen ausgelastet wären. Dass das nicht zu bezahlen wäre, ist offensichtlich auch den Fachleuten in den Ministerien klar, denn die Forderung nach hoher Flächenabdeckung, die es noch in den ersten LTE-Lizenzvergaben gab, kommt in den aktuellen 5G-Lizenzen nicht mehr vor. Will man die heutige Flächenabdeckung mit 5G erreichen, wird es sich kaum vermeiden lassen, heutige 2G- und UMTS-Frequenzen abzuschalten und auf den 5G-Standard zu übertragen – außer, man könnte doch noch niedrigere Frequenzen um 700 MHz freimachen. In diesen Fällen hätte man aber weder mehr Sendemasten noch eine „Belastung“ durch ungewohnte Frequenzen.

Was ändert sich also durch 5G?

Gesundheitlich ändert sich in der Summe nicht viel – in ländlichen Regionen eigentlich gar nichts. In den Innenstädten wird durch die potentiell große Dichte internetfähiger Geräte die Zahl jeweils aktiver Verbindungen und damit die insgesamt gesendete Leistung in gewissem Umfang ansteigen. Dort werden vermutlich auch neue Frequenzen auftauchen, bei denen die Wirkung auf den Körper tatsächlich anders ist, aber nur insofern, als der Körper dann auf der Haut erwärmt wird und nicht mehr unter der Haut.

Was bleibt, sind diffuse Ängste vor einer (einigermaßen) neuen Technologie, geschürt vom Sensationsjournalismus der selbsternannten Qualitätsmedien, die sich zum Steigbügelhalter von Verschwörungsmythen und antisemitischer Hetze machen.

 

 

Ein neues Buch zu einem (fast) anderen Thema

Wer den Blog schon über längere Zeit verfolgt, dem dürfte aufgefallen sein, dass es hier im vergangenen Jahr über einen längeren Zeitraum auffällig ruhig war und erst im Februar 2019 so richtig wieder Leben auf quantenquark.com eingekehrt ist. Der Grund für die lange (gelegentlich für einzelne Artikel unterbrochene) Pause war nicht, dass ich plötzlich so faul war, sondern schlicht, dass ein Tag nur 24 Stunden hat und ich ja auch einen Beruf habe. Ein großer Teil der verbleibenden Zeit ging in inzwischen an anderer Stelle fürs Schreiben drauf: Auf der einen Seite war da die Überarbeitung des Quantenquark-Buchs für die Neuauflage, die man rechts oben schon vorbestellen kann, und für das Hörbuch, das es demnächst über Audible anzuhören gibt. Gleichzeitig hatte ich noch ein völlig neues Buchprojekt in Arbeit, das im April bei Hirzel erscheinen wird und jetzt endlich offiziell angekündigt ist.

Nun geht es hier im Blog natürlich in erster Linie um Verdrehungen der modernen Physik, aber weil in der Esoterik (ganz im Gegensatz zur Quantenmechanik) eben alles mit allem zusammenhängt, spielten hier neben der AltenaivAlternativmedizin ohnehin schon immer auch allerlei Verschwörungsbehauptungen eine Rolle. Sie sind auch neben der Pseudophysik eins meiner zentralen Betätigungsfelder in der Skeptikerbewegung, seit 2005 zum ersten Mal Anfragen zu den damals noch weitgehend unbekannten Chemtrails über das Skeptische Zentrum ihren Weg in meine E-Mail gefunden haben.

Nachdem Verschwörungsglauben seit ungefähr fünf Jahren viel deutlicher als vorher mit politischem Extremismus in Verbindung steht, bekommt das Thema auch in den Publikumsmedien deutlich mehr kritische Aufmerksamkeit. In der Bewertung dieser Vorstellungen stehen jedoch in der Regel politische, mitunter auch noch psychologische Aspekte im Vordergrund – und nicht unbedingt ein naturwissenschaftlicher Blick. Das ist auch in gewisser Weise nachvollziehbar: Wenn man überzeugt ist, dass so eine Verschwörungsbehauptung nicht stimmt, drängen sich die Fragen geradezu auf, warum Menschen so etwas dennoch glauben und welche Folgen dieser Glaube für unsere Gesellschaft als Ganzes hat. Dass allerdings diese Behauptungen tatsächlich nicht stimmen, ist jedoch nicht in allen Fällen und vor allem eben nicht für jeden offensichtlich.

Wenn man nun als Skeptiker Aufklärungsarbeit betreibt, begegnen einem zwangsläufig früher oder später die besseren Skeptiker, die einen (besonders gerne in schrifticher Form) belehren, man müsse die Sorgen der Verschwörungsgläubigen doch ernster nehmen. Besonders schön ist das im Zusammenhang mit der Ermahnung, man möge den besorgten Bürgern doch bitte nicht mit Fakten kommen. Der herablassende Tonfall richtet sich dabei allerdings nicht nur gegen uns Skeptiker, sondern vor allem gegen die so ungefragt in Schutz Genommenen. Wie kann man behaupten, jemanden ernst zu nehmen, wenn man ihm gleichzeitig nicht zutraut, sich mit Fakten auseinanderzusetzen?

Erfreulicherweise sind es oft die Verschwörungsgläubigen selbst, die eine faktenbasierte Diskussion, gerade mit naturwissenschaftlichen Argumenten, suchen – dabei aber oft die Fakten oder ihre Zusammenhänge nicht richtig verstehen. Vom 11. September bis zur flachen Erde: Wer meint, eine Verschwörung durchschaut zu haben, argumentiert gerne naturwissenschaftlich, macht aber nur allzu oft den Anschein zum Beweis.

An dieser Stelle hakt das Buch ein und nimmt sich exemplarisch einige der bedeutendsten modernen Verschwörungsbehauptungen vor. Wie stichhaltig sind die vorgebrachten Belege? Wie realistisch sind die alternativen Erklärungen? Und lässt sich daraus ein Muster erkennen, wie Verschwörungsgläubige argumentieren und wie man ihnen begegnen kann? Die Hardcore-Verschwörungspropagandisten wird man so nicht überzeugen können – dazu gibt es auch sonst kein Patentrezept. Man kann sich aber mit dem Wissen und den Methoden wappnen, ihnen nicht auf dem Leim zu gehen.

Sicher werden in nächster Zeit Verschwörungsbehauptungen auch hier eine etwas größere Rolle spielen. Vielleicht taucht auch das eine oder andere Thema aus dem Buch hier wieder auf. Geschrieben ist das Buch aber völlig anders: Sicherlich weniger frech und provokant, dafür mit deutlich mehr Möglichkeiten, Hintergründe auszuleuchten und Zusammenhänge darzustellen.

Ein Buch zu schreiben ist eben etwas völlig anderes als einen Blog wie hier. Freude macht natürlich beides – aber irgendwie ist man dann auch froh, wenn man es geschafft und das Ergebnis vor sich hat.

Ein paar Wochen noch.

 

Die „Medizin“ der Verschwörungsgläubigen und was ich sonst noch an Kommentaren bekomme

„This work reveals some sort of poetic mood and everyone would easily be attracted by it“, beginnt ein (nicht öffentlich freigegebener) Kommentar zu einem meiner letzten Artikel. Unschwer zu erkennen handelt es sich bei dieser englischsprachigen Eloge auf die Poesie in meinem deutschsprachigen Artikel um automatisch generierten Kommentarspam. Das Ziel ist offensichtlich, eine Rückverlinkung und damit ein besseres Google-Ranking für eine vietnamesische Sportwettenseite zu generieren. Es gibt automatische Tools, die solchen Unfug verhindern sollen, und wenn deren Vereinbarkeit mit unserem grandiosen europäischen „Datenschutz“-Recht endgültig geklärt ist, kann ich es mir auch wieder ersparen, das alles manuell auszusortieren. Aber zum Glück bekomme ich ja auch ernsthafte Kommentare – bitte, nutzen Sie die Möglichkeit; dafür ist die Kommentarfunktion unter den Artikeln da!

Im Prinzip war ja schon der „Was-wir-wissen“-Artikel eine Art zusammengefasster Antwort auf Kommentare, die ich teils hier, teils an anderen Stellen zu meinen Beiträgen über Pseudophysiker bekommen habe. In den Kommentaren kommt es gelegentlich vor, dass jemand antirealistische Philosophie oder religiöse Ideologien verbreiten will, über die man nicht sinnbringend diskutieren kann, aber im Allgemeinen ist das Diskussionsniveau bei solchen Themen recht hoch. Versuche, mich zu überzeugen, dass die Arbeit von tausenden theoretischen Physikern über die letzten 40 Jahre grundsätzlich falsch sei, sind einerseits sinnlos, weil niemand etwas davon hat, mich zu überzeugen. Ich bin ja selbst kein theoretischer Physiker und seit Jahren nicht mehr in der Forschung; ich erkläre hier nur.  Andererseits tauchen darin immer wieder spannende Fragen auf, bei denen ich selbst etwas lerne. Mit Abstand die meisten echten Kommentare bekomme ich hier aber zu einem Artikel, der nur am Rand mit Physik, vor allem aber mit gefährlicher, unsinniger „Medizin“ zu tun hat, nämlich dem über Karl Probst. Dabei wurde jetzt schon zweimal gemutmaßt, ich würde diesen Probst heimlich beneiden… äh… ich weiß gar nicht, was ich dazu… am besten wohl nichts.

Ich habe es dort bereits in den Kommentaren geschrieben, aber ich gebe auch an dieser Stelle nochmal den Hinweis, dass ich hier keine Kommentare freischalten werde, die selbstschädigendes Verhalten ankündigen oder dazu auffordern, ganz egal, ob es sich um eine direkte Suizidankündigung handeln sollte, um die Aufforderung, giftige Substanzen wie Chlorbleiche oder Terpentin zu sich zu nehmen oder um die Überlegung, lebenswichtige Medikamente wie Insulin abzusetzen.

In den Diskussionen zu Artikeln dieser Art habe ich ein Problem: Ich bin kein Arzt. Das hat nichts mit medizinischem Fachwissen zu tun. Bei den medizinischen Themen, auf die ich hier eingehe, genügen Schulkenntnisse in den Naturwissenschaften in Verbindung mit leicht nachlesbaren Fakten und ein wenig gesundem Menschenverstand, um zu erkennen, dass die „alternativmedizinischen“ Behauptungen, die ich kritisiere, hanebüchener Unsinn sind. Mein Problem ist vielmehr: Von den Menschen, die auf derlei Pseudomedizin hereinfallen, ist ein beträchtlicher Teil aufgrund schwerer oder chronischer Erkrankungen, manchmal aber auch nur wegen des eigenen Alterns und der eigenen Sterblichkeit in einem psychisch schwierigen Zustand. Das führt dazu, dass sie sich eine Welt von Verschwörungsbehauptungen aufschwätzen lassen,  ihre Schulkenntnisse vergessen, ihren gesunden Menschenverstand ausschalten und nur noch dort nachlesen, wo die Verschwörungsgläubigen unter sich bleiben. Wenn sie sich dann doch einmal auf wissenschaftlich-kritische Seiten wie diese verlaufen, hinterlassen sie gelegentlich Kommentare, die schwer sinnvoll zu beantworten und zum Teil schon beim Lesen schwer zu ertragen sind. Für den Umgang mit solchen verzweifelten Menschen bin ich weder ausgebildet, noch habe ich Praxiserfahrung darin.

So könnte man die Frage stellen (und natürlich habe ich mir die auch schon selbst oft genug gestellt), ob ich diese Themen dann nicht lieber Ärzten überlassen sollte, die auf solche Probleme wesentlich besser vorbereitet sein müssten. Inzwischen gibt es zum Glück doch einige im wissenschaftlich-skeptischen Umfeld engagierte, praxiserfahrene Ärzte, die ich sehr bewundere, von der entwaffnend menschlichen Natalie Grams über den scharfzüngig-spöttischen Twitter-Agitator Christian Lübbers bis zu Wolfgang Vahle, Jan Oude-Aost und Benedikt Matenaer.  Gerade die haben aber häufig schon genug mit Massenphänomenen wie Homöopathie, Impfverweigerung, Diffamierung der Organspende oder Akupunktur zu tun. Für die weniger verbreiteten, aber für kranke Menschen um so gefährlicheren Lehren wie Germanische Neue Medizin, MMS oder eben das auch von Probst propagierte Trinken von Petroleum bleibt da oft schlicht keine Zeit. Um die Nähe dieser Gedankenwelten zur Verschwörungsideologie- und Reichsbürgerszene angemessen zu beleuchten, ist es zudem hilfreich, sich damit auch schon einmal beschäftigt zu haben. Damit gibt es große Überschneidungen zu einem meiner Hauptthemen neben dem Quantenquark.

Ich komme an dem Thema also letztlich nicht vorbei. Um mich dabei nicht immer wieder mit den zum Teil erschütternden Aussagen von Befürwortern, die gleichzeitig Opfer sind, auseinandersetzen zu müssen, möchte ich beispielhaft und anonymisiert auf einige typische Argumentationsmuster eingehen. Sie finden sich in erschreckender Dichte im folgenden Screenshot aus einer einschlägigen Facebookgruppe, der auf der verschwörungstheoriekritischen (und auf polemisch-satirische Art sehr unterhaltsamen) Facebookseite „Die lockere Schraube“ öffentlich gemacht wurde. Es geht darin offensichtlich um Empfehlungen für eine an Brustkrebs erkrankte Frau:

In dieser kurzen Abfolge von Kommentaren findet sich ein großer Teil dessen, was in ganz ähnlicher Form überall die Kommentarspalten zum Thema Verschwörungstheorie-Medizin füllt. Daher lohnt es sich, die Behauptungen einfach mal von oben nach unten durchzugehen.

  • Das Wundermittel aus der Natur. In diesem Fall werden bittere Aprikosenkerne erwähnt, deren Inhaltsstoff Amygdalin auch unter dem Phantasienamen „Vitamin B17“ ebenfalls gegen Krebs vermarktet wird. Der gleiche Stoff kommt in niedriger Konzentration zum Beispiel auch in Apfelkernen vor, aber bittere Aprikosenkerne können noch mehr Amygdalin enthalten als Bittermandeln. Bei der Verdauung von Amygdalin (teils auch schon in den Kernen selbst) setzt die Substanz Cyanide frei, die hochgiftigen Salze der Blausäure. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärt, belegt durch mehrere wissenschaftliche Studien, Amygdalin sei „unwirksam in der Krebstherapie“ und bei oraler Einnahme nachgewiesenermaßen toxisch. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2007, nach dem Amygdalin von Apotheken abgegeben werden darf, beruht auf Annahmen, die laut BfArM inzwischen widerlegt sind.  Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bezeichnet es „aus ärztlicher Sicht als skandalös, […] dass ein solches Gift […] frei im Handel ist“. Sie berichtet von einem Fall, bei dem ein krebskranker Vierjähriger nach einer Amygdalinbehandlung mit einer akuten Cyanidvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Zu den amygdalinhaltigen bitteren Aprikosenkernen erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Erwachsene dürften maximal zwei solcher Kerne am Tag verzehren, Kinder gar keine. Da es sich um ein Naturprodukt handelt, kann der Gehalt an Amygdalin, vor allem aber der Anteil von dessen Zersetzung zu Cyaniden, in den Kernen stark schwanken. Erst im November 2018 musste ein Naturkosthersteller seine „BIO Bittere Aprikosenkerne“ zurückrufen, weil sie nach dessen eigener Angabe zu potentiell tödlichen Vergiftungen führen konnten. Das aus süßen Aprikosenkernen hergestellte Persipan enthält laut BfR hingegen kaum Amygdalin, ähnlich wie süße Mandeln und das daraus hergestellte Marzipan. Wer die genannten öffentlichen Institutionen für Tochterfirmen einer von finsteren Mächten gesteuerten BRD GmbH hält, wird von diesen Warnungen aber vermutlich wenig beeindruckt sein.
  • „Ich habe es gemacht, und mir geht es gut!“ Eine solche Aussage beweist nur eins: Dass die genannte „Therapie“ nicht bei 100% der Patienten sofort tödlich ist. Daraus lässt sich weder folgern, dass die Maßnahme irgendetwas mit dem behaupteten positiven Krankheitsverlauf zu tun hat, noch lässt sich ausschließen, dass sie bei anderen Patienten doch zu schweren Schäden führt. Beides ließe sich nur mit korrekt durchgeführten wissenschaftlichen Studien an großen Patientenzahlen belegen. Im genannten Fall einer Krebsoperation ist das Ziel, möglichst alle Tumorzellen zu entfernen. Gelingt dies bei der Operation vollständig, so ist eigentlich jede weitere Therapie überflüssig. Bei vielen Tumortypen ist aber nicht auszuschließen, dass sich einzelne Zellen schon außerhalb des sichtbaren Tumors angesiedelt haben, wo sie dann zu Metastasen heranwachsen. Unter Umständen können auch Teile des Tumors nicht entfernt werden, ohne lebenswichtige Organe oder Blutgefäße zu beschädigen. In diesen Fällen können Bestrahlungen, Chemotherapie mit Zellgiften oder andere Arzneimittel zum Einsatz kommen, um die Chancen zu verbessern, dass alle Tumorzellen beseitigt werden und die Erkrankung nicht wiederkommt. Man kann also nach einer Krebsoperation durchaus auch ohne weitere Therapie Glück oder trotz Chemotherapie und Bestrahlungen Pech haben. Was zum Einsatz kommen sollte, werden die behandelnden Ärzte nach den in wissenschaftlichen Studien ermittelten Erfolgschancen empfehlen – und danach, was man dem Patienten bei seinem Gesundheitszustand zumuten kann. Wenn keine Aussicht auf Heilung besteht, können die gleichen Maßnahmen mit anderer Schwerpunktsetzung in Frage kommen, um mehr Lebenszeit oder mehr Lebensqualität zu gewinnen.
  • Entsäuern: Über den Unsinn „basischer“ Ernährung hatte ich schon an anderer Stelle geschrieben – dazu genügt schon ein kritischer Blick auf die sich widersprechenden Behauptungen der Befürworter. Wenn man über die Ernährung überhaupt einen Säuregehalt im Körper ändern kann, dann den im ausgeschiedenen Urin. Ein basischer Urin würde aber einfach nur dazu führen, dass man anfälliger für Blasenentzündungen wird. Otto Warburg (ohne „von“ und ohne t) hat sich nicht mit basischer Ernährung beschäftigt, sondern herausgefunden, dass viele Krebszellen in ihrem Stoffwechsel Säure produzieren, ganz so, als bekämen sie zu wenig Sauerstoff. Er glaubte 1930, das könnte die Ursache von Krebs sein. Damit dürfte er aber Ursache und Wirkung verwechselt haben, denn die Entstehung von Krebszellen ist inzwischen bis auf die Ebene einzelner Moleküle verstanden. Inzwischen tauchen allerdings immer wieder einmal Hinweise auf, dass die vom Tumor selbst produzierte Milchsäure nicht die Entstehung, aber die Vermehrung und das Metastasieren der Krebszellen beeinflussen könnte und sich vielleicht bei einzelnen Tumortypen das Wachstum hemmen ließe, wenn man medikamentös den von Warburg entdeckten Stoffwechselmechanismus blockiert. Das wird immer wieder einmal zum Anlass genommen, um halbwegs ernsthaft zu diskutieren, ob eine fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung („Keto-Diät“) Tumorwachstum ebenfalls bremsen kann. Eine Keto-Diät mit viel Fleisch, fettem Fisch und Milchprodukten unter Verzicht auf Obst, Wurzelgemüse und Getreide ist aber so ziemlich das Gegenteil dessen, was von den meisten Verfechtern als basische Ernährung verkauft wird.
  • Hochdosierte Vitamine tauchen in der Szene auch immer wieder auf, vor allem basierend auf der Lehre von Matthias Rath. Zu dem klagefreudigen Rath sei an dieser Stelle auf einen zusammenfassenden Artikel im Spiegel verwiesen, sowie auf das entsprechende Kapitel im Buch von Ben Goldacre, das auch Raths Machenschaften im Zusammenhang mit AIDS in Südafrika beleuchtet. Bekannt wurde er vor allem durch den von ihm selbst PR-mäßig ausgeschlachteten Fall des neunjährigen Dominik Feld, der an metastasierendem Knochenkrebs verstarb, nachdem seine Eltern auf Raths Empfehlung hin die medizinische Behandlung in Deutschland abgebrochen, das Kind nach Mexiko verbracht und sogar eine Schmerztherapie abgelehnt hatten. Bei der Aussage „Bei Brustkrebs speziell Jod“ im oben abgebildeten Screenshot handelt es sich hingegen vermutlich einfach um eine Verwechslung mit Schilddrüsenkrebs, der durch die Einnahme des radioaktiven Jodisotops 131 von innen bestrahlt werden kann. Normales Jod hat diesen Effekt natürlich nicht.
  • Schwermetallbelastungen sind eine der Lieblingsdiagnosen der Alternativmedizinszene, vor allem, um damit sogenannte Chelattherapien zu verkaufen. Im obigen Beispiel zeigt sich die naturwissenschaftliche Kompetenz von Menschen, die zu solchen Maßnahmen raten, daran, dass als Beispiel für eine Schwermetallbelastung ausgerechnet das Leichtmetall Aluminium genannt wird. Bei der Chelattherapie bekommt der Patient Infusionen mit sogenannten Komplexbildnern wie EDTA, die sich an Metallionen anlagern und dafür sorgen, dass diese leichter ausgeschieden werden können. Bei akuten Schwermetallvergiftungen ist das so ziemlich die einzige wirksame Therapie. Alternativmediziner vermarkten die Chelattherapie jedoch für so ziemlich alles, von Krebsvorbeugung über Tinnitus, Migräne und kalte Füße bis hin zur Potenzverbesserung. Ein nicht eben alternativmedizinkritisches Gesundheitsportal spricht von mindestens 20 Infusionen zu je 100 bis 150 Euro, die der Patient in der Regel selbst bezahlen muss. Eine aktuelle Zusammenfassung der wissenschaftlichen Beleglage fand eine einzige seriöse Studie. Deren Ergebnisse zum Einsatz von EDTA bei Verengungen der Herzkranzgefäße waren jedoch uneindeutig. Interessant ist die Begründung der Studienautoren, warum Chelattherapien dennoch weiter erforscht werden sollten: Sie würden von den Patienten gewünscht. Angesichts des Preises drängt sich die Vermutung auf, dass dieser Wunsch möglicherweise auch mit den Wünschen der Leistungserbringer in Verbindung stehen könnte… Zu anderen Krankheitsbildern existieren bestenfalls Einzelfallberichte, bei denen die Ergebnisse komplett zufällig zustande gekommen sein können, aus denen sich also keinerlei Rückschlüsse auf eine eventuelle Wirksamkeit ziehen lassen. Das größte Problem mit der Chelattherapie ist jedoch nicht die unklare Wirksamkeit. So erklärte der inzwischen emeritierte Professor für Komplementärmedizin an der Universität Exeter, Edzard Ernst, in einem Interview: „Diese Therapie hat aber schwere Nebenwirkungen.“ – „Welche zum Beispiel?“ – „Den Tod.“
  • Terpentin, Petroleum oder Benzin zu trinken, ist keine neue Idee. Das sonst sehr zuverlässige Portal Psiram behauptet sogar, etwas zu optimistisch: „Heute finden sich nur noch wenige Hinweise auf ihre Anwendung.“ Dieser Irrsinn wird aber in jüngster Zeit offenbar an den extremeren Rändern der alternativmedizinischen Verschwörungsszene wieder verstärkt propagiert. Warum so etwas definitiv keine gute Idee ist, hatte ich schon im Artikel über den Petroleum-Fan Karl Probst zusammengefasst.
  • Stressabbau scheint mir bei schweren Erkrankungen eine einigermaßen unumstrittene Empfehlung zu sein, um auch mal etwas Positives anzumerken.
  • Konfliktlösung“ gegen Krebs ist ein zentrales Merkmal der „Germanischen Neuen Medizin“ (GNM), die nicht etwa von den alten Germanen stammt, sondern ihren Namen in Abgrenzung von der „jüdischen Schulmedizin“ erhalten hat. In einigen Texten aus der GNM-Szene, und vor allem bei ihrem 2017 verstorbenen Begründer Ryke Geerd Hamer wird die Verknüpfung von Alternativmedizin, Verschwörungsideologie und Antisemitismus in besonders widerwärtiger Form deutlich. Naturwissenschaftlich ist Hamers Lehre von kaum zu überbietender Lächerlichkeit. So werden als „Beweis“, dass Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Allergien psychische Ursachen hätten, sogenannte Hamersche Herde auf Computertomographie(CT)-Aufnahmen präsentiert. Bei den ringförmigen Mustern auf den Aufnahmen, die als Hamersche Herde bezeichnet werden, handelt es sich jedoch um ganz typische Bildrekonstruktionsfehler, die in CTs technisch bedingt vorkommen – auch in vollkommen leblosem Testmaterial, das eigentlich keine psychischen Probleme haben sollte. Bekannt wurde die GNM 1995 durch die damals sechsjährige Olivia Pilhar, deren Eltern sich monatelang weigerten, Olivias zuletzt fußballgroßen Nierentumor angemessen behandeln zu lassen. Ihr Vater gehört trotz der schließlich lebensrettenden Operation bis heute zu den aktivsten Befürwortern der GNM und wird dem österreichischen Gegenstück der deutschen Reichsbürgerszene zugerechnet. Andere Patienten hatten weniger Glück als Olivia: In dem Artikel „Die Todesopfer der GNM: Hamer, wie er wirklich war“ zeichnet Bernd Harder die Leidensgeschichte des 66jährigen Hans-Ullrich Leupold nach. An Weihnachten 2009 starben kurz hintereinander im Allgäu die zwölfjährige Susanne an Krebs und – völlig überflüssig – in Hannover die vierjährige Sieghild an unbehandeltem Diabetes.

Was in diesem Bestiarium des widerwärtigen pseudomedizinischen Verschwörungsglaubens noch fehlt, ist eigentlich nur MMS, das „Miracle Mineral Supplement“ des ehemaligen Scientologen und späteren Gründers seiner eigenen Sekte Jim Humble. Bei MMS handelt es sich um das industrielle Bleich- und Desinfektionsmittel Natriumchlorit, das vom Anwender mit Zitronensäure gemischt werden soll, so dass das giftige und ätzende Chlordioxid entsteht. Gefahrstoffhinweise zu Chlordioxid beziehen sich typischerweise auf Hautkontakt oder Einatmen, weil sich Gefahrstoffexperten in der Regel nicht vorstellen können, dass jemand eine derart aggressive Chemikalie bewusst in seinen Körper bringen könnte. Das BfArM berichtet nach der Anwendung von MMS über Fälle von „Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall, Nierenversagen, Verätzungen der Speiseröhre sowie Atemstörungen durch Schäden an roten Blutkörperchen“. In Anleitungen für die Anwendung von MMS heißt es dazu, „dass Durchfall und Übelkeit ein Zeichen des Körpers sind, abgestorbene Mikroben aus dem Körper zu schaffen.“  Die Verbraucherzentrale NRW weist indes darauf hin, dass Restbestände von MMS als Sondermüll entsorgt werden müssen. Anstelle von Natriumchlorit/MMS wird zum Teil auch direkt „anwendbare“ Chlordioxidlösung (CDL) vermarktet. Da dabei keine Säure zugesetzt werde, könne CDL „in sehr viel höheren und eigenverantwortlichen Dosierungen“ eingesetzt werden. Da MMS und CDL natürlich nicht als Arzneimittel abgegeben werden dürfen, werden sie in der Regel „zur Wasseraufbereitung und Trinkwasserdesinfektion“ angeboten – bei Amazon praktischerweise gleich im Doppelpack mit einem Buch, das die Anwendung für die Eigentherapie „gegen alle Krankheitserreger“ beschreibt.

Angewendet werden sollen MMS und CDL gegen Bakterien, Pilze und Viren, Metallbelastungen, Vergiftungen und Parasiten. Humble selbst behauptet, damit „hunderttausende von Menschen“ geheilt zu haben von Krebs, Diabetes, Hepatitis, Borreliose, Streptokokken, Multipler Sklerose, Parkinson, Alzheimer, AIDS, Malaria, Arthritis, Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Potenzproblemen und diversen anderen Erkrankungen. Besonders häufig wird mit einer Wirkung gegen Autismus geworben, wobei die ätzenden Mittel Kindern auch gerne als Einlauf verabreicht werden.

MMS stand auch im Mittelpunkt des „Akasha-Congress“ 2018 in Bergheim mit (außer für die auf diesem Auge offensichtlich vollkommen blinde Bergheimer Stadtverwaltung) unübersehbaren Verbindungen in die Reichsbürgerszene, bei der Karl Probst als Ehrengast auftrat.

Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. MMS kann anscheinend tatsächlich Übelkeit auslösen, sogar wenn man nur darüber schreibt.

Mal wieder ein Schwurblerkongress in einer öffentlichen Einrichtung

In den letzten Jahren musste ich mich ja schon mehrfach darüber aufregen, dass Kongresse mit Inhalten von Quantenheilung über Verschwörungstheorien bis Reichsbürgerpropaganda in von Steuergeldern gebauten Stadthallen und Konferenzzentren stattfinden durften.

Dieses Jahr ist es mal wieder soweit – mit dem dritten derartigen Kongress innerhalb von zwei Jahren in immer derselben städtischen Halle in Bergheim, weswegen ich dieses Mal einen offenen Brief an den Bürgermeister verfasst habe, für den ich auf die Schnelle 26 Mitunterzeichner gefunden habe – von Bürgern aus der Region bis zu Europas wohl renommiertestem Professor für Alternativmedizin.  Ein paar Hintergrundrecherchen gab es für die Kommune auch noch. Mal sehen, was daraus wird.

Offener Brief Bürgermeister Bergheim

Recherchen Akasha-Congress

Update 25.1.18: Inzwischen gibt es eine Reaktion der Stadt, in bester Tradition dessen, was man in Amerika als CYA (cover your ass) bezeichnet… nur leider ohne das eigentliche Problem zu erkennen.

Man könnte ja sagen, in so einer Situation könnte man auch die Stadt erst einmal vertraulich auf die problematische Veranstaltung aufmerksam machen, ehe man an die Öffentlichkeit geht. Leider zeigt unsere Erfahrung mit ähnlichen Veranstaltungen in Hessen, dass man da nicht einmal als örtlicher Bürger eine vernünftige Antwort erhält. Zudem ist die Stadt Bergheim ja sozusagen Wiederholungstäter, und Proteste gab es schon gegen den Quer-Denken-Kongress dort 2016.

Vordergründig handelt es sich beim Akasha-Congress um eine reine Altenaivmedizinveranstaltung ohne offensichtliche politisch extremistische Inhalte. Nicht, dass der medizinische Unsinn nicht schlimm und gefährlich genug wäre. Eine Frau Grünberg hält einen Vortrag mit dem Titel: „Brustkrebs mit Metastasen – na und?“.  Der Heilpraktiker Rainer Körner vermarktet sein „BioLogisches Heilwissen“, das er, wie er auf seiner eigenen Homepage schreibt, aus Ryke Geerd Hamers Germanischer Neuer Medizin entwickelt hat. Gleich drei Referenten kommen aus der MMS-Szene: Ätzende Bleichmittel als angebliche Medizin. Dazu ist vom GWUP-Blog bis zu Publikumsmedien und Behörden inzwischen so viel geschrieben worden, dass ich mir das an dieser Stelle denke ich sparen kann – auch wenn man beim Kopp-Verlag Bücher bestellen kann, die meinen, auch da ginge Probieren über Studieren. Klar, man kann auch probieren, ob es wirklich gefährlich ist, an eine Hochspannungsleitung zu fassen… aber halt nur einmal. Die Kongressreferentin Kerri Rivera praktiziert übrigens eine Form von MMS-Wahn, die ich immer für aufgebauschte Einzelfälle einiger Verwirrter gehalten habe: In ihrer Klinik in Mexiko traktiert sie autistische Kinder mit Chlorbleiche-Einläufen. Und nur für den Fall, dass jemand in diesem Kontext den Quantenquark vermisst: Mit von der Partie ist natürlich auch wieder Enrico Edinger, dessen bizarre Ansammlung akademischer Titel von lustigen Instituten aus Russland jedes Jahr anders auszusehen scheint – vermutlich aus juristischen Gründen. Ob Edinger in seinem Verfahren wegen Betrugs und Titelmissbrauchs vor zwei Jahren eigentlich verurteilt worden ist, kann ich auf die Schnelle nicht herausfinden. Wie schon beim letzten Akasha-Kongress 2016 (auch in Bergheim) und bei Reichsbürger-Aktivist Michael Vogts Quer-Denken-Kongressen 2014, 2015 und 2016 (letzterer auch in Bergheim) und geplant auch für den Gießener WIR-Kongress 2016 erzählt Edinger von der Überlegenheit russischer Weltraummedizin. Er wird also wahrscheinlich mal wieder seinen ENKI Disconder vermarkten, den man sich zum Preis von 1800 Euro um den Bauch binden kann, um die Quanteninformationen seines Unterbewusstseins umzuprogrammieren. Vielleicht stellt er ja auch seine ENKI-Bandanahaube zum Preis von 180 Euro vor, über die im Shop irgendwas mit Infrarotstrahlung fabuliert wird und die wohl tatsächlich funktioniert – als Mütze jedenfalls.

Auch wenn es oberflächlich so aussieht, als wäre das alles – der Akasha-Congress hat auch eine Anzahl höchst bedenklicher politischer Bezüge. Aufgefallen ist mir das zugegebenermaßen selbst als erstes, weil mich das Webdesign irgendwie an den verhinderten WIR-Kongress in Gießen erinnerte, bei dem ja auch Reichsbürger-König Peter Fitzek eine Audienz zugesagt hatte, die er aber ohnehin nicht hätte geben können, weil er da schon im Knast saß.

Akasha-Congress:

WIR-Kongress:

Ja, der Motivations-Betz, der zu meistgefragen Themen bei Sekteninfo NRW gehört, ist auch wieder dabei, aber ich kann mich irgendwie nicht dazu bringen, den interessant zu finden. Da gibt es Schlimmeres.

Die Kongresswebsite schreibt selbst, dass die Moderatorin Vesna Kerstan ihre Karriere bei Jan van Helsings Verschwörungskanal secret.tv begonnen hat – ja, der van Helsing, dessen bekanntestes Buch jahrelang als volksverhetzend beschlagnahmt war. Referent Enrico Edinger berichtet auf der Seite seiner eigenen Firma, dass er schon auf einer Veranstaltung des Honigmanns gesprochen hat, der wegen seiner unbelehrbaren Vorliebe für nationalsozialistische Symbole gerade zur Zeit eine Haftstrafe absitzt. Auf den Referenten Karl Probst berufen sich nicht nur die Vertreter der Germanischen Neuen Medizin. Psiram berichtet noch über ein paar Leichen aus seinem Keller, die ich nach so langer Zeit leider nicht mehr nachrecherchieren kann. Er soll schon 2004 gegenüber seinen Patienten Reichsbürgerideologie vertreten haben (als die noch kaum einer kannte), und weil er demnach auch seine Steuern nicht zahlen wollte, soll es in einem Ermittlungsverfahren des bayerischen Staatsschutzes auch eine Hausdurchsuchung bei ihm gegeben haben. Darüber soll er sich dann auch noch im Neuschwabenlandforum des unfreiwilligen Verschwörungstheorie-Internetstars Dr. Axel Stoll ausgelassen haben. Anfangs- und Schlussredner des letzten Akasha-Kongresses 2016, auch in Bergheim, waren Jo Conrad und Michael Vogt, die Initiatoren der Reichsbürgerkongresse Aufbruch Gold-Rot-Schwarz. Gerade über Vogt habe ich hier ja eigentlich schon genug geschrieben. Die Akasha-Congress-Website verlinkt auch noch ein Video von Initiator Ali Erhan im Interview mit Jo Conrad auf dessen Kanal bewusst.tv und ein Video von Stein-Zeit.tv. Andere Gäste auf Stein-Zeit.tv dürfen regelmäßig über „Die Souveränitätslüge“ fabulieren, unwidersprochen behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei eigentlich kein Staat oder für den „Freundeskreis Heimat und Recht“ werben.

Bei Reichsbürgern hört der Spaß nun wirklich auf.

Wobei, die Akasha-Congress-Website verlinkt ja auch diverse Sendungen des Onlineradios Okitalk, und wenn ich auf youtube sehe, wie Okitalk noch im Januar 2018 Werbung für die vom Insolvenzverwalter zerfledderten Reste von Peter Fitzeks Königreich Deutschland macht, während der im Knast sitzt, muss ich doch wieder lachen.

 

 

Ist Quantenquark rechts?

Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten möchte ich die Leitfrage dieses Artikels schon gleich zu Anfang beantworten: Nein, ist er nicht. Unsinn gibt es mit jeglicher politischer Couleur, und das gilt auch für Quantenunsinn. Gepachtet hat den niemand.

Damit könnte ich eigentlich auch schon den Leser beschwichtigen, der mich vor ein paar Tagen über das Kontaktformular angeschrieben hat und wissen wollte, „weshalb die meisten der Beiträge“, die ich kritisiere, „als rechte, braune oder in ähnlicher Form offenbar politisch motivierter Quark abgeurteilt werden“.  Der Leser kann in den kritisierten Inhalten „beim besten Willen weder rechte oder braune oder reichsbürgerliche Motivation erkennen“. Ich solle meine Beiträge doch darauf beschränken, „offensichtlichen Quark auf sachlicher meinetwegen wisschenschaftlich fundierter Ebene zu widerlegen.“

Das verwundert mich dann doch ein wenig, auch weil das Beispiel eines geifernden Rechten-Jägers so gar nicht in mein Selbstbild passt. Schließlich habe ich mich in den Zeiten, als ich noch parteipolitisch aktiver war, immer selbst als „Rechten“ gesehen. Wenn ich bei der Friedberger Antifa-Bildungsinitiative (die tatsächlich eine Bildungsinitiative mit vielen spannenden Vorträgen ist) dem „schwarzen Block“ zugerechnet werde, ist damit meine frühere Mitgliedschaft in der CDU gemeint. Im Rahmen meiner skeptischen Aktivitäten habe ich mich bei allzu politischen Themen wie der Klimawandelleugnung oder der Gefährlichkeit von Technologien wie Kernenergie und Gentechnik jahrelang eher zurückgehalten, obgleich ich dazu im privaten Rahmen einiges zu sagen habe. Allzu politische Sichtweisen tun der Wissenschaftlichkeit in der Regel einfach nicht gut, und buchstäblich alle relevanten Parteien haben pseudowissenschaftliche Leichen in ihrem programmatischen Keller.

Wenn hingegen politischer Extremismus mit Pseudowissenschaft vermischt oder gar gerechtfertigt wird, kommt man als Skeptiker nicht umhin, sich dazu zu äußern. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn die Kommunistische Partei Österreichs, das linke Regime in Venezuela oder der staatliche Rundfunk des Iran absurde Verschwörungstheorien verbreiten, ein amerikanischer Sender zur Atmosphärenforschung sei in Wirklichkeit eine Waffe, die künstliche Erdbeben auslöst.

Wer jedoch die Esoterikszene, insbesondere im Umfeld von Verschwörungstheorien, in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, dem kann nicht entgangen sein, dass die Vermischungen mit rechtem Extremismus deutlich zugenommen haben. Diese Zunahme ist auch weder eine rhetorisch begründete Unterstellung noch subjektives Bauchgefühl. Besonders in den Versuchen, in den letzten fünf Jahren, mit einem vorläufigen Höhepunkt 2014, eine „Querfront“ aus rechten und linken Extremisten zu bilden, spielten Esoterik und Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle.

Als ich 2006 den ersten deutschsprachigen skeptischen Aktikel über die Chemtrails-Verschwörungstheorie geschrieben habe, gab es noch keinerlei Veranlassung, Rechtsextremismus darin mit einem Wort zu erwähnen, schienen doch die Vertreter dieses abstrusen Hirngespinstes der linken Umweltbewegung deutlich näher zu stehen als den damaligen Rechten. Der bekannteste Vertreter der Chemtrail-Thesen, Werner Altnickel, war Träger des deutschen Solarpreises und hatte sich gerade erst von Greenpeace getrennt. Heute fabuliert Altnickel auf seinem inzwischen gesperrten Youtube-Kanal („Militärische + Wirtschaftsnachrichten“) über die jüdische Weltherrschaft, die die Deutschen vernichten will und hat offensichtlich keine Probleme damit, zur rechten Szene gerechnet zu werden:

Als die Innsbrucker Frauenforscherin Prof. Claudia von Werlhof 2010 darüber fabulierte, das amerikanische Atmosphärenforschungszentrum HAARP diene in Wirklichkeit dazu, Erdbeben zu erzeugen und könne auch für die Verwüstungen in Haiti verantwortlich sein, erhielt sie Beifall hauptsächlich noch von der Kommunistischen Partei Österreichs. Inzwischen lässt sie sich beim Quer-Denken-Kongress (nicht zum ersten Mal) vom Reichsbürger Michael Vogt interviewen, der auch schon einen Film über den „Friedensflieger Rudolf Heß“ produziert hat. Auf dem gleichen Kongress traten auch der „Deutsche Mitte“-Protagonist Christoph Hörstel, der Haus-und-Hof-Autor des Kopp-Verlags, Gerhard Wisnewski, sowie Querfrontler Jürgen Elsässer auf.

Michael Vogt, der mehrfach als Initiator von Reichsbürger-Veranstaltungen aufgefallen ist und eine Honorarprofessur nach Kontakten zur NPD verloren hat, begrüßt in seinem Quer-Denken-TV und auf den zugehörigen Konferenzen eine Vielzahl von Größen der Esoterikszene, darunter einige, die vor 2014 kaum in einem politischen Umfeld in Erscheinung getreten sind, manche aber vielmehr durch Quantenquark. Hierzu gehört zum Beispiel der Hare-Krishna-Anhänger Marcus Schmieke. Schmiekes abstruse Vorstellungen von Quantenphysik sind eigentlich einen eigenen Artikel wert… naja, vielleicht sind sie es auch nicht wert. Sein Geld verdient er offenbar vor allem mit dem Timewaver, einem Gerät, das durch Veränderung eines angeblichen, pseudophysikalischen „Informationsfeldes“ Krankheiten heilen und Unternehmen beraten soll. Das Gerät soll allein von über 1500 Therapeuten genutzt werden – bei fünfstelligen Stückpreisen für die Therapeutenmodelle lässt das auf beachtliche Umsätze schließen. Inzwischen tritt der Mantra-lehrende Krishnajünger aber auf derselben Veranstaltung auf mit Holocaust-Bezweiflern, Verschwörungs-Schwurblern und Führern randständiger Parteien, die bei Veranstaltungen auch schon einmel Plakate der eigentlich konkurrierenden NPD als Transparente benutzen. Weiteren Quantenquark ins gleiche Umfeld bringt Dr. Michael König, der jahrelang eine Ausbildung zum „zertifizierten Quantenpraktiker“ anbot. Außer bei Vogt tritt König auch bei dessen Reichsbürger-Kollegen Jo Conrad auf.

Vogts Quer-Denken.tv und Conrads bewusst.tv sind jedoch bei weitem nicht die einzigen Online-Angebote in denen Quantenquark in bester Eintracht mit Antisemitismus, Verschwörungsdenken und Reichsbürger-Ideologie verbreitet wird. 78 Artikel zu „Quantenphysik“ und „Quantenmedizin“ finden sich auf Wissenschaft 3000 – unter anderem mit dem verurteilten Betrüger Hartmut Müller als Experten. Neben der Behauptung, die Erde sei eine Scheibe, findet sich an gleicher auch Werbung für den „Staat Ur“ des Reichsbürgers Adrian Ursache, der gerade wegen Mordversuchs vor Gericht steht. Auch das Königreich Deutschland des gerade wegen verschwundener Millionen im Gefängnis sitzenden Goldenes-Brett-vor-dem-Kopf-Preisträgers Peter Fitzek wird auf Wissenschaft 3000 hofiert. Da wundert es nicht, dass „Quantenphysik“ auch bei den Geistesgrößen im Königreich selbst ein Thema ist.

Dass die Verknüpfung von falscher Physik und problematischer politischer Agitation eine hundertjährige Tradition hat, zeigt sich in einem aktuellen Arktikel von meinem langjährigen Skeptikerkollegen Markus Pössel. Pössel, inzwischen Leiter des Hauses der Astronomie, beleuchtet darin die antisemitischen Motive hinter vielen Anfeindungen gegen Einsteins Theorien.

Weitere Beispiele von Verbindungen zwischen Quantenquark und der rechten Szene habe ich bereits im Januar hier aufgeführt. Das war allerdings bislang auch der einzige Artikel zu diesem Thema hier. Daher ist für mich schwer nachvollziehbar, wie der ominöse Leserbriefschreiber darauf kommt, in meinen „Diffamierungsartikeln“ würden „die meisten der Beiträge die Sie erwähnen als rechte, braune oder in ähnlicher Form offenbar politisch motivierter Quark abgeurteilt werden“.

Da ist es schon fast beruhigend, dass nicht alle derartige Fanpost mir politische Motive unterstellt- zum Teil halten die Schreiber mich auch für einen Fälscher, für bezahlt (schön wär’s) oder einfach für dumm:

Hallo Herr Dr. Hümmler,

wie kann man als ernstzunehmender Wissenschaftler nur so ein dummes Zeug schreiben.

Ich vermute, dass Ihr Doktortitel ein Plagiat ist, oder Sie gehören zu den Leuten, die dafür bezahlt werden dass sie die Nullpunktenergie als Humbug darstellen. Diese Energie wird früher oder später zum Einsatz kommen, daran arbeiten inzwischen viele Menschen.

Oder sind Sie vielleicht tatsächlich Dumm? denn: Was der Bauer nicht kennt….

Ausserdem finde ich es bezeichnend, dass auf Ihrer Homepage eine falsche Mailadresse steht.

Gruss

W.  Herbst

Ich muss zugeben, dass es dem Schreiber tatsächlich gelungen ist, mich genug zu verunsichern, dass ich eiligst auf allen meinen Webseiten meine Mailadressen nachgeprüft habe… es waren natürlich alle richtig.

Ich muss allerdings auch sagen, ich bekomme hier auch erfreuliche Zuschriften. Manchmal sogar sehr erfreuliche, zum Beispiel von Martin Piehslinger, der mich auf seine sehr wohlwollende Rezension zum Quantenquark-Buch auf seiner Homepage hingewiesen hat.

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im Zusammenhang mit dem Buch gibt es ganz aktuell sogar tatsächlich eine Möglichkeit, wie Sie mich für diesen Blog bezahlen können, wenn Sie denn möchten: Bestellen Sie das Buch (oder ein anderes aus dem Springer-Nature-Verlag) anstatt über den Buch- oder Onlinehandel einfach über den Link rechts oben direkt beim Verlag, und ich bekomme eine kleine Provision.

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Artikel Ende. Und ich hoffe, ich muss zu diesem Thema nicht so bald wieder schreiben.

Neues Vortragsvideo über Chemtrails, und gibt es auch Quantenchemtrails?

Ganz aktuell kann ich ein neues Video von einem meiner Vorträge melden: Seit heute ist „Chemtrails – Weltverschwörung oder Wetterphänomen?“ von Prof. Dr. Martin U. Schmidt (vom Institut für Anorganische u. Analytische Chemie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt) und mir online. Den Vortrag haben wir erst vorgestern im Club Voltaire in Frankfurt gehalten – danke an Dragan Pavlovic fürs Filmen und für die wahnsinnig schnelle Bearbeitung.

Zum gleichen Thema existiert auch noch ein älteres Video von mir bei Skeptics in the Pub aus Wien.

Eigentlich sollte man meinen, dass die Chemtrails-Verschwörungstheorie, also die Behauptung, dass von Verkehrsflugzeugen massenhaft und gezielt Chemikalien versprüht werden, um uns alle zu vergiften, mit Quantenquark gar nichts zu tun hat. Folglich würde das Vortragsvideo genau genommen überhaupt nicht hierher gehören. Das sehen einige Chemtrailgläubige allerdings anders.

Somit bestätigen sie einmal wieder mein erstes Gesetz vom Quantenquark: Man kann aus praktisch jedem esoterischen Quark Quantenquark machen, indem man einfach „Quanten-“ davorsetzt. Die Quantenhomöopathie hatten wir hier ja schon, aber es gibt zum Beispiel auch die Quantenakupunktur, Quantenyoga, Quantenastrologie, Quanten-Feng-Shui und so weiter. Warum also nicht auch Quantenchemtrails?

Auf der Seite des Urgroßvaters aller Chemtrailschwurbler, Jeff Rense, ist schon seit 2005 zu lesen, dass die Chemikalien aus Chemtrails mittels des quantenmechanischen Tunneleffekts auch in verschlossene Glasgefäße eindringen können. „Nachgewiesen“ hat das Renses Kollege James Neff am Geschmack von Lebensmitteln, die er über Nacht auf der Terrasse stehen hatte.

Einen anderen Zugang zum Thema hat die deutsche Seite detox-quantum.com, die gerade im Moment nicht erreichbar zu sein scheint. Dank des Google Caches kann man die zum Teil recht aktuellen Inhalte aber ansehen. Dort findet man allerlei Unsinn über Detoxen, also das angebliche Entgiften seines Körpers. Tatsächlich hat man genau zu diesem Zweck eine Leber und zwei Nieren, und wenn die das nicht mehr hinbekommen, braucht man keine Zwiebeln und keine grünen Smoothies, sondern schlicht und einfach entweder eine Transplantation oder regelmäßig eine Dialyse. Laut detox-quantum soll man sich aber trotzdem entgiften, und zwar unter anderem wegen der ganzen Gifte aus den Chemtrails. Stellt sich immer noch die Frage, was hat das außer dem Namen mit Quanten zu tun? Nun, die gleiche Autorin, Angelika Schlinger, verbreitet in diesem Kontext auch noch die absurde These, unsere Erwartungen würden durch irgendwelche quantenmechanischen Effekte den Zufall steuern. So eine Art „Bestellungen ans Universum“ (wozu es ein wunderbares Buch von Hugo Egon Balder gibt) in Form von Quantenquark also. Letztlich sind das einfach einmal wieder falsche Schlussfolgerungen aus dem so unglücklich benannten „Beobachtereffekt„. Das begründet Frau Schlinger mit dem berühmten Gedankenexperiment mit Schrödingers Katze, das sie ganz offensichtlich nicht mal in Ansätzen verstanden hat. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit Schrödingers gründlich missratenem Beispiel und dem Unsinn, der darum herum entstanden ist, muss ich auf mein demnächst erscheinendes Buch verweisen. Das erfordert etwas Hintergrund und mehr Platz, als in einem Blogartikel zur Verfügung steht. Besonders lustig ist Frau Schlingers Behauptung, Schrödinger hätte dank seines Katzenbeispiels den Nobelpreis erhalten. Das wäre in der Tat eine spannende quantenphysikalische Verletzung der Kausalität – wenn es nicht einfach falsch wäre. Schrödinger hat sein Gedankenexperiment mit der unseligen Katze nämlich 1935 aufgestellt, zwei Jahre nachdem er den Nobelpreis bekommen hatte, und zwar zusammen mit Paul Dirac für die Formulierung der Quantenphysik in Form von Wellen. „Quantenmechanik ist echt cool,“ findet Frau Schlinger. Da kann ich ihr nur zustimmen und ihr empfehlen, mal etwas darüber zu lernen.

Etwas weniger abstrus ist die Behauptung der deutschen Uralt-Chemtrailseite chemtrails-info.de, Chemtrails würden uns Lichtquanten vorenthalten. Nun gibt es zwar keine Chemtrails, aber die Kondensstreifen von Flugzeugen reflektieren natürlich Sonnenlicht ins All, wie jede andere Wolke auch. Damit wirken ganz normale Kondensstreifen auch tatsächlich von ganz alleine der globalen Erwärmung etwas entgegen, wobei der zusätzliche Treibhauseffekt durch das von den Flugzeugen emittierte Kohlendioxid langfristig überwiegen dürfte, denn das bleibt ja in der Atmosphäre, nachdem sich der Kondensstreifen schon lange aufgelöst hat. Absurd wird es dann erst mit der Behauptung, man könne das so fehlende Sonnenlicht ersetzen, indem man Lichtessenzen oder Lichtglobuli zu sich nimmt, die im Gegensatz zu echten Medikamenten eine hohe Konzentration an Lichtquanten enthielten. Lichtquanten sind… nun, eben Licht; die kann man nicht irgendwo einschließen, weil sie sich eben mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Und wenn etwas Lichtquanten emittiert, dann erkennt man das sehr einfach, nämlich daran, dass es leuchtet. Wenn Sie also der Meinung sind, dass Ihnen Lichtquanten fehlen (was sowohl psychisch als auch körperlich ja durchaus denkbar ist, gerade in dieser Jahreszeit), dann gehen Sie raus ins Tageslicht oder schalten Sie das Licht an!

Sehr bizarrer Quantenquark in  Bezug auf Chemtrails findet sich auch in einer amerikanischen Diskussionsgruppe zu Morgellons. Patienten mit Morgellons bemerken Fasern, die in oder unter ihrer Haut wachsen und allerlei Beschwerden auslösen, was sie in vielen Fällen auf Chemtrails zurückführen. Dummerweise kann niemand außer den Patienten selbst diese Fasern sehen, weshalb diese Krankheit in der Regel eher Psychiater als Hautärzte beschäftigt. Der Patient CrystalRiver überlegt sich in diesem Forum eine Hypothese warum die Medizin die Existenz dieser Fasern nicht anerkennt: Wenn irgendwannn niemand mehr an die Morgellons glaubt, dürften diese ja nach der Quantenphysik auch nicht mehr existieren. Damit scheinen sich seine Vorstellungen von Physik etwa auf dem Niveau von Frau Schlingers Wunsch-Bullshit zu bewegen.

Mit dem Stichwort „Fasern“ sind wir dann auch schon bei der wohl bedeutendsten Informationsquelle deutschsprachiger Chemtrailgläubiger: sauberer-himmel.de. Dort wird über eine Luftmessung aus der US-Großstadt Phoenix berichtet, in der sich in den Filtern Fasern niedergeschlagen hatten, die im Mikroskop verdächtig nach Textilfasern aus Kleidung, Teppichen oder Ähnlichem aussehen. Dazu wird eine angebliche Analyse aus einem nicht genannten Labor mit etwas abenteuerlichen Ergebnissen genannt.

„Radioaktives Natriumjodid“ – wer meint, messen zu können, dass das Natriumjodid (und nicht etwa irgendetwas anderes auf dem Filter) radioaktiv ist, müsste das Spektrum der Strahlung gemessen haben und müsste daher auch in der Lage sein, anzugeben, welches Isotop des Natriums oder des Jods denn da strahlen soll. Da weder Jod noch Natrium natürliche radioaktive Isotope haben, müssten die ja in einem Labor künstlich erzeugt worden sein – ziemlich viel Aufwand, wenn man bedenkt, dass das Ergebnis chemisch immer noch ein recht gewöhnliches Salz ist (im Jodsalz zum Kochen wird eher Natrium- oder Kaliumjodat zugesetzt). Und wie andere anorganische Salze auch bildet es eckige Kristalle und keine Fasern – und schon gar keine violetten. Das hier ist Natriumjodid (Bild vom Datenblatt beim Seilnacht-Verlag.

Für mich sehen die Bilder bei Sauberer Himmel so aus, als hätte da jemand seinen Hausstaub mit einem Klebestreifen aufgesammelt und dann durch ein Schülermikroskop aufgenommen.

Über diese „Messungen“ lässt sich dann auf Sauberer Himmel Harald Kautz-Vella aus. Nur so zur Einordnung – Kautz-Vella glaubt auch an ein schwarzes Öl, das Intelligenz und ein Bewusstsein hat und auf der Thule-Insel von Außerirdischen gefördert wird.

Kautz-Vella hält die Staubfasern aus Phoenix für Quantenpunkte. Quantenpunkte sind nichts weiter als Stellen innerhalb einer Kristallstruktur, in denen viele Atome so angeordnet sind, dass dort quantenmechanische Effekte auftreten, wie man sie sonst eher aus einem einzelnen Atom oder Molekül kennt. Das hat ein paar interessante Anwendungen in der Halbleitertechnik, in Displays (moderne Fernseher haben zum Teil Quantum Dot Displays) oder als extrem teurer Spezialfarbstoff für Laboranwendungen. Nur mit Fasern haben Quantenpunkte eben gar nichts zu tun. Warum jemand auf die Idee kommen sollte, einen solchen teuren Farbstoff als Chemtrail sinnlos in der Atmosphäre zu versprühen, kann sich allerdings nicht einmal Herr Kautz-Vella selbst erklären.

Fast schon sympatisch ist mir da die Argumentation des „Denke anders Blogs“. Die Autoren dort behaupten zwar den gleichen Unsinn wie Frau Schlinger, dass Realität nach der Quantenmechanik durch unsere Gedanken entstünde und entsprechend beeinflusst werden könnte, aber ihre Schlussfolgerung ist interessant: Chemtrails sind Projektionen des Unterbewussten und existieren nur, weil so viele Menschen an sie glauben. Das ist zwar noch nicht ganz die Einsicht, dass es sich bei den Chemikalienstreifen schlicht um Einbildung handelt, aber es ist schon ziemlich nahe daran.

Quantenquark und braune Sauce

Was hat rechte Esoterik eigentlich mit Quantenquark zu tun? Am Ende des vorletzten Artikels

Zwei Vortragstermine – relativ quantenfrei

hatte ich diese Frage aufgeworfen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass es bei rechter Esoterik eben nicht nur um Vorstellungen von fackeltragenden SS-Männern auf der Wewelsburg oder um Verschwörungstheorien über Hitlers angebliche Geheimwaffen oder Zufluchtsorte in der Antarktis geht. Es gibt auch ganz andere, zunächst völlig unpolitisch daherkommende Formen von Esoterik, die rechtsextreme Propaganda oder Reichsbürger-Ideologie untermauern, verbreiten oder finanzieren. Das wird vor allem im Umfeld der sogenannten alternativen Medien im Internet deutlich, deutlicher vielleicht als in der Offline-Welt, in der Politik eher von klassichen Partei- oder Bürgerinitiativen-Strukturen geprägt ist. Betrachtet man zum Beispiel das Angebot des Sammelportals alternativ.tv, so findet sich dort auf der Titelseite zwar vor allem rechte Politik, aber im Angebot der dort gesammelten Kanäle sind Esoterik und Verschwörungstheorien praktisch allgegenwärtig.

Ja, „alternative Medien“ – können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als man bei dem Wort „alternativ“ noch an langhaarige, Sandalen tragende Linke dachte? Heute hat man es da eher mit langhaarigen Rechten zu tun, die auch noch stolz darauf sind, wenn man ihnen bescheinigt, wenig politische Skrupel zu haben:

Nicht nur Verschwörungstheorien, auch Quantenquark auf rechten Internet-Kanälen gibt es. Damit meine ich jetzt nicht, dass Frank Baars bei bewusst.tv mit dem Reichsbürger-Aktivisten Jo Conrad über „Quantengeheimnisse“ plaudert. Baars versteht unter Quantengeheimnissen nämlich tatsächlich seine Vorstellung, dass man alle möglichen Krankheiten heilen könne, indem man auf seinen Füßen herumdrückt. Diese augenzwinkernde Begriffsverwendung ist mir ja schon fast wieder sympatisch – im Gegensatz zum Rest des Videos und der ganzen Seite.

Ein paar Dinge aus der Richtung hatte hier auch schon einmal angesprochen. Da wäre zum Beispiel quer-denken.tv von Michael Vogt, einem Reichsbürger-Buddy von Jo Conrad, der Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gerne als „Friedensflieger“ bezeichnet. Dort kann unter anderem Walter Thurner seine Quantentherapiegeräte bewerben und behaupten, Elementarteilchen seien Wesen und hätten ein Bewusstsein. Michael Vogts Online-TV-Kanal verlinkt auch zu den diversen Videos mit dem Mediziner Enrico Edinger ein paar… sagen wir… interessante Quantenprodukte. Da wäre zum Beispiel ein Quantenkraftstein, ein etwa handtellergroßes farbiges Objekt aus gepresstem Holz zum Preis von sensationellen 800 Euro. Die ausführliche Produktbeschreibung des Herstellers enthält in einem Absatz so viele bizarre Behauptungen zur Physik, dass ich hier einen eigenen Artikel bräuchte, um auf alle einzugehen. Interessant ist auch ein Gerät, das für 1800 Euro die Quanteninformationen unserer Psyche überschreiben soll – indem man es sich um den Bauch bindet. Solche Produkte sind natürlich per se nicht politisch, aber wenn beim „redaktionellen Inhalt“ so direkt Produktdatenblätter verlinkt werden, dann liegt es nahe, dass der Verkauf der Produkte irgendwie zur Finanzierung des Programms beiträgt. Noch etwas deutlicher wird es, wenn „Matrix Power Quantenheilung“ mit „13-Strang-DNS-Aktivierung“ auf der selben Seite einmal als redaktioneller Inhalt und einmal als Werbebanner auftaucht.

Tatsächlich besteht der größte Teil der Rubrik „Quantenphysik“ auf quer-denken.tv aus Videos, in denen Produkte vorgestellt werden. Zu dem quer-denken-Programm, das offenbar so mitfinanziert wird, gehört dann aber zum Beispiel die Behauptung, die Morde des NSU seien keine Morde des NSU. Daneben werden zum Beispiel der „herrschenden Klasse“ und unserer „Kanzlerdarstellerin“ satanische Rituale unterstellt, und behauptet, die EU sei die Umsetzung eines Plans aus dem Dritten Reich.

Quantenquark dient in diesen Beispielen also ganz offensichtlich zur Finanzierung von Verschwörungstheorien und rechter Propaganda. Das ist aber nicht alles. Quantenquark ist an anderer Stelle auch Teil der Rechtfertigung und Argumentation stark rechtslastiger Vorstellungen, vor allem im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien. Das zeigt sich zum Beispiel auf Secret.tv, einem Internetangebot, das von Jan van Helsing (Jan Udo Holey) gegründet wurde. Van Helsing wurde vor allem durch glorifizierende Verschwörungstheorien um angebliche Wundertechnologien des Dritten Reiches bekannt. Das „Manifest“ von van Helsings Nachfolger beruft sich auf die Quantenphysik für die Behauptung, es gäbe keine physische Realität und Wahrheit sei etwas rein Subjektives. Ob sich so etwas tatsächlich aus der Quantenphysik folgern lässt, ist ein Thema, über das ich auch mal einen Artikel schreiben muss. Hier wird diese Behauptung jedenfalls als Rechtfertigung benutzt, um allerlei Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Auch bei den Verschwörungstheorien rund ums CERN, auf die ich schon mehrfach im Detail eingegangen bin, spielt öfters rechtsextreme Propaganda eine Rolle. Schon da tauchte der Honigmann-Blog auf, der weniger für Honig als für Antisemitismus, Ausländerhass und Verschwörungstheorien bekannt ist. Im Februar soll bei einem Honigmann-Treffen ein mir unbekannter Referent namens Oliver Barth über „Von der Quantenphysik zum Bewußtsein“ sprechen. Der Titel lässt auf Quantenquark vom Feinsten schließen, aber so richtig übel wird es im Umfeld dieses Vortrags. Der Vortrag direkt davor bezeichnet „Masseneinwanderung“, also offenbar die Flüchtlingswelle seit 2015, als „Angriff auf Deutschland“. Am gleichen Tag bekommt dort auch noch das Chemtrail-Schwurbler-Fossil Werner Altnickel das Wort – genau, der aus dem wenig-Skrupel-Tweet oben. Wer Altnickel noch nicht kennt, kann sich in seinem aktuellen Video „Militärische + Wirtschafts- Nachrichten Januar 2017“ ansehen, wie er (ab Minute 16:28) die Europäische Union auf einen Plan zurückführt, Europa zu einer „negroid-asiatischen Mischrasse“ umzuformen, „mit Unterstützungsgeldern übrigens von Rockefeller und Co“. Was der Honigmann höchstpersönlich schon morgens über die aktuelle politische Lage zu berichten hat, will ich dann gar nicht mehr so genau wissen. Wer sich gruseln will, kann sich ja mal die Honigmann-Nachrichten reinziehen.

Auf der Seite „Aufwachen 2014“ verbinden sich Quantenquark und Antisemitismus noch viel direkter. Unter dem Titel „Wacht auf oder geht zugrunde“ fabuliert die russisch-amerikanische Philosophin Irene Caesar über eine Quantensprung-Technologie, die offenbar auf den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik beruhen soll. Mit dieser Quantensprung-Technologie begründet sich unter anderem das bioaktive Wasser zur Behandlung unheilbarer Krankheiten, das man bei Caesars Firma kaufen kann, ebenso wie die Mini-Tesla-Generatoren für 1000 bis 2000 Dollar. Diese sollen nicht, wie der Name vermuten lässt, Energie aus nichts erzeugen, sondern ein Hologramm gesunder Zellen durch den Körper verbreiten. So weit, so Quark. Dazu beschwert sich Caesar aber, dass dieser Quantensprung von den Zionisten sabotiert wird. Diese Zionisten haben für Caesar auch die Ukraine gegründet, wollen den armen, friedfertigen Wladimir Putin eliminieren, und, wie könnte es anders sein, selbst Hitler war für Caesar nur ein Projekt der Zionisten. Und der Gegner der Zionisten ist der Nationalismus. Wenn alle Nationen für sich nationalistisch sind, dann ist an alle Nationen gedacht – das soll mit den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik im Einklang stehen, weil es irgendwie holographisch sei, meint Frau Caesar, die von Hologrammen offensichtlich genauso wenig versteht wie von Quantenphysik. Wenn Sie nicht glauben wollen, dass jemand so etwas tatsächlich sagt oder sie ganz viel Langeweile und schwarzen Humor haben, können Sie sich das Interview auch in zwei Teilen je einer Stunde im Original auf Video ansehen.

Zwischen Quantenquark als reiner Geldquelle für rechte Medien und unmittelbar rassistischem oder antisemitischem Quantenunsinn gibt es allerdings noch diverse Abstufungen. So kann man auch um die Unterdrückung angeblicher „freier Energie für alle Menschen“ durch „die da oben“ eine Verschwörungstheorie stricken, auf der dann andere ihr ideologisches Süppchen kochen können. Über die angebliche Unterdrückung solcher Technologien sprach zum Beispiel der Wolfenbütteler FH-Professor Claus Turtur auf der achten „Antizensurkonferenz“ (AZK) in der Schweiz. Auf derselben Konferenz redete dann auch Sylvia Stolz, die ehemalige Anwältin des Holocaust-Leugners Ernst Zündel, über ein angebliches Verbot, diesen zu verteidigen. Vom damaligen Verfahren war sie unter anderem deshalb ausgeschlossen worden, weil sie eine Beschwerde an das Gericht mit „Heil Hitler“ unterschrieben hatte.  In ihrem Vortrag auf der Antizensurkonferenz  leugnete sie dann selbst den Holocaust, wofür sie einmal wieder zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Ein Video mit dem volksverhetzenden Vortrag von Frau Stolz werde ich hier nicht verlinken, aber der Vortrag von Turtur ist auch aus Quantenquark-Sicht interessant. Er rechtfertigt nämlich seine Behauptung einer angeblich unbegrenzt verfügbaren freien Energie unter anderem mit dem physikalischen Konzept der Vakuumenergie, und auf das bin ich hier noch nie näher eingegangen. Die Vakuumenergie wird daher der abschließende Teil dieser kleinen dreiteiligen Artikelserie werden:

Die Energie von Professor Turturs Vakuum