Die verschwundenen Tachyonen von Ruhpolding

Im Januar konnte ich mich hier noch über die wahrscheinlich schnellste Massage der Welt in einem Erlebnisbad in Ruhpolding amüsieren. Das hat sich offenbar bis nach Ruhpolding herumgesprochen, denn inzwischen gibt es auf der Seite des Anbieters zwar noch Ayurveda, Reiki und tibetische Mönche, aber keine Tachyon-Kristall-Massage mehr. Das muss natürlich nicht unbedingt mit meinem Artikel zu tun haben, denn Ruhpolding liegt ja im Kernland des Bayerischen Rundfunks. Vielleicht hat auch jemand aus dem Erlebnisbad die wundervolle Schimpftirade über obskure Tachyonen-Produkte gesehen, die gegen Ende dieser Sendung von BR-Alpha aus Harald Lesch herausbricht. Die Sendung ist schon älter aber sehr sehenswert, weil auch nochmal ausführlicher erklärt wird, wie man überhaupt auf die Idee kommt, dass es so etwas wie Tachyonen wenigstens rechnerisch geben könnte und welche Folgen das hätte.

Wer aber jetzt die Möglichkeit vermisst, sich mit etwas massieren zu lassen, von dem höchst fraglich ist, dass es überhaupt existiert, muss von Ruhpolding gar nicht weit fahren: Bei Chiemsee-Wellness ist die Tachyonen-Massage weiterhin im Angebot, wenn auch ein paar Euro teurer.

Eine Tachyonen-Ganzkörper-Massage gibt es auch in einer Naturheilpraxis im Sauerland. Die Massage soll helfen, wenn „alte Ablagerungen im Darm die Gedanken zum Thema Abgrenzung beeinflussen“ oder wenn „uralte Kindheitsängste Blasenentzündungen verursachen“. Zum Entgiften des Körpers ist sie natürlich auch besonders hilfreich, wenn man der Anbieterin glauben will. Wenn man das nicht ganz ungeprüft glauben will, kann man sich bei Fachärzten, in der Tagespresse und inzwischen sogar in Fitnessmedien darüber informieren, dass Entgiften Unsinn und eine eingebildete Lösung für ein nicht existierendes Problem ist. Wenn man aber bedenkt, dass am gleichen Ort auch Aderlass, Darmreinigung und Eigenbluttherapie angeboten werden, dann erscheint bei einer solch rohen Praxis die Tachyonenmassage doch gleich als die viel einladendere Alternative…

Ein besonders breites Angebot von Tachyonenmassagen findet sich übrigens in den Niederlanden und in Flandern. Man kann etwas für Body & Soul tun, unter dem lächelnden Blick Buddhas mit Tachyonen seine Chakren balancieren lassen, und das ganze stärkt schwache Organe, und es entgiftet natürlich auch bei unseren Nachbarn. Hier kommen für die Massage offenbar auch gerne hübsche bunte Glasstempel zum Einsatz:

Tachyonenstempel

Ausgangspunkt ist hier offenbar eine Kosmetikschule in Antwerpen, in der in einer Woche unterrichtet wird, wie man mit Tachyonen massiert. In Heerlen kann man das aber auch schon an einem Tag für 99 Euro lernen.

Auch ganz ohne besondere Ausbildung kann man aber das Tachyonen-Massageöl verwenden, das es im Münchener Klangschalen und Tachyonen Shop zu bestellen gibt.

tachyonenshop

Auf dieser Seite wird auch endlich mal verständlich erklärt, wie solche Tachyonenprodukte eigentlich funktionieren: „Sobald klar ist, dass Tachyon – wobei das erste Teilchen des formlosen Nullpunktenergie – ist die Quelle aller Frequenzen, ist es leicht, Tachyon bei der energetischen Spektrums zu platzieren.“ Und man bekommt vertrauenswürdig und sympatisch vermittelt, was man mit Tachyonen-Gleitgel macht:

tachyon lube

Und schließlich wird hier auch der Erfinder wenigstens dieser Linie von Tachyonenprodukten vorgestellt, der „Wissenschaftler, Naturwissenschaftler, Spiritualist“ David Wagner. Seit 1990 soll er in den USA schon über 3,9 Millionen Tachyonenprodukte verkauft haben.

David Wagner räumt auch gleich mit dem Einwand auf, dass hier möglicherweise ein Begriff aus der Physik nur im Übertragenen Sinne gebraucht wird und es hier möglicherweise um rein spirituelle Dinge gehen könnte, über die ich als schnöder Physiker mir gar kein Urteil erlauben dürfte. Nein, in seinen Erklärvideos zeigt Wagner, mit bunten Animationen untermalt, nicht nur, dass Tachyonen-Untersetzer Obst länger frisch halten, er macht auch absolut klar, es handelt sich hier um echte Teilchenphysik.

tachyon tomatoes

Und an dieser Stelle höre ich besser auf zu schreiben, bevor ich auch noch in eine Tirade nach Art von Harald Lesch ausbreche.

Die schnellste Massage der Welt

Inzwischen, gleich im neuen Jahr, ist es ja doch noch Winter geworden in Deutschland, und gerade wenn man sich in den Bergen aufhält, tut ein Saunabesuch in Verbindung mit einer Massage sicher gut. Ab Freitag wird in Ruhpolding der Bedarf an Massagen wohl noch höher sein, denn dann beginnt der 4. Biathlon Weltcup dieser Saison. Vielleicht ganz passend für Schützen, gibt es da gerade in Ruhpolding ein ganz besonderes Angebot:

tachyonmassage

Eine Massage mit Hilfe überlichtschneller Teilchen… Das ist natürlich interessant. Die nicht existenten Meridiane und die nachweislich beliebig austauschbaren Akupunkturpunkte lassen wir an dieser Stelle mal beiseite. Da hier eindeutig von Quantenphysikern die Rede ist, kann in diesem Fall jedenfalls niemand behaupten, die Tachyonen seien nur eine Metapher und es sei eigentlich etwas ganz anderes gemeint.

Dummerweise werden Tachyonen von Quantenphysikern aber nicht als Quelle aller Materie angesehen, sondern eher als ein Zeichen dafür, dass eine Theorie noch nicht richtig ausgegoren ist und wahrscheinlich nicht viel mit der Realität zu tun hat. Nach Teilchen, die schneller sind als das Licht, wird inzwischen immerhin seit über 100 Jahren erfolglos gesucht, obwohl sie eigentlich in jedem größeren Teilchenexperiment hervorstechen müssten wie ein Süßwassersee in der Sahara. So gilt es in der Physik als ein Merkmal einer vielversprechenden Theorie, dass sie „tachyonenfrei“ ist, also keine Tachyonen braucht, um in sich schlüssig zu sein.

Rein mathematisch bekommt man überlichtschnelle Teilchen übrigens durchaus auch in der Relativitätstheorie unter, wenn man unbedingt will. Mann muss nur annehmen, ihre Masse sei imaginär, also ein Vielfaches der Wurzel von -1. Dass man etwas mathematisch rechnen kann, heißt aber noch lange nicht, dass es auch existiert. Der Abfallhaufen der Wissenschaft ist voll von Theorien, die mathematisch korrekt sind, aber nichts mit der Realität zu tun haben. Insofern kann man wohl davon ausgehen, dass reale Teilchen auch eine reale Masse haben und die Teilchen mit der imaginären Masse sehr wahrscheinlich auch selbst imaginär sind.

Mein Artikel zu Tachyonen-Quark im Skeptiker 4/2002 ist leider noch nicht online verfügbar – vielleicht kommt das ja noch. Dafür gibt es von Florian Freistetter einen wunderbaren Artikel, in dem er etwas ausführlicher ausarbeitet, was es mit Tachyonen auf sich hat und warum man die nicht in Bergkristallen einfangen oder damit massieren kann. Wer etwas anderes behauptet und sich dann auch noch auf Quantenphysiker beruft, muss einen experimentellen Beweis vorbringen, dass seine Tachyonen tatsächlich existieren – sonst sind sie eben doch nur Quantenquark.