Zu den großartigsten Erfahrungen beim Schreiben von „Fakt und Vorurteil“ gehörten die Interviews mit 21 spannenden Menschen, die ihre Erfahrungen auf beiden Seiten von Diskussionen zwischen Skeptikern und Gläubigen mit uns geteilt haben. Einer davon war der Londoner Psychologieprofessor Chris French.
Vor ein paar Tagen vermeldete der Parapsychologie-Blog Grenzwissenschaft aktuell plötzlich einen „Sinneswandel“ bei Chris French, und aus der Aufmachung könnte man den Eindruck gewinnen, der renommierte Skeptiker sei plötzlich zum Glauben an die Existenz von Para-Phänomenen konvertiert. Wenn man den Artikel genau liest (und idealerweise auch den Artikel von Chris French selbst im Skeptic, auf den sich Grenzwissenschaft aktuell bezieht), dann wird klar: Es geht um die Wissenschaftlichkeit der Methoden in der Parapsychologie – nicht darum, ob es die Effekte, nach denen sie sucht, tatsächlich gibt.
Wenn man Chris French schon länger kennt, dann erscheint sein vermeintlicher Sinneswandel auch weitaus weniger spektakulär, als er dargestellt wird. Schließlich war er von 2000 bis zu seiner Pensionierung 2020 Leiter der Abteilung für anomalistische Psychologie an der Universität London, womit er es zumindest für möglich gehalten haben muss, in diesem Feld seriöse Wissenschaft zu betreiben. Während die Parapsychologie sich mit der Frage beschäftigt, ob paranormale Phänomene tatsächlich existieren, fragt die anomalistische Psychologie danach, wie Menschen mit paranormal erscheinenden Erfahrungen umgehen, zumindest im Grundsatz unabhängig von der Frage, ob diese Erfahrungen realen Phänomenen entsprechen. Die Forschungsfelder hängen also zumindest vom Gegenstand her eng zusammen. Sein jüngstes Sachbuch beschäftigt sich mit der Erforschung solcher paranormaler Erfahrungen, und wie wir gerade von ihm gehört haben, soll das nächste im kommenden Jahr erscheinen. Beim European Skeptics‘ Congress 2015 in Greenwich, den French maßgeblich mit gestaltet hat, sprach unter anderem die Inhaberin der renommierten Edinburgher Koestler-Professur für Parapsychologie, Caroline Watt, hier auch bildlich festgehalten (Bildrechte bei Wikimedia nachzulesen):
French fand also offensichtlich schon vor sechs Jahren zumindest einige Parapsychologen wissenschaftlich genug, um sie zu einer Skeptikerkonferenz einzuladen. Schließlich hat er die Entwicklung seiner Haltung zur Parapsychologie über die Jahre schon 2018 in einem Beitrag zu einem Sammelband beschrieben, unter dem vielsagenden Titel: „Von hier nach dort und (ein bisschen) wieder zurück“.
Mit uns hat er 2019 im Interview für Fakt und Vorurteil natürlich vor allem über seinen Umdenkprozess vom Para-Gläubigen zum Skeptiker in den 1980er Jahren gesprochen. Das Interview erklärt aber auch sehr schön, dass er sich in einem lebenslangen Erkenntnisprozess sieht, wie er als Skeptiker zu seinen heutigen Einschätzungen gekommen ist und wie diese genau aussehen. Wir möchten daher einige wichtige Passagen des Interviews, die im Buch keinen Platz hatten, hier wörtlich wiedergeben. Hoffentlich überstehen Chris Frenchs reflektierte Gedanken, seine Menschlichkeit und sein feiner Humor die Übersetzung halbwegs unbeschadet.
Tatsächlich bestätigt er in dem Interview, dass sich seine zwischenzeitlich sehr ablehnende Haltung gegenüber der Parapsychologie über die Jahre gewandelt hat:
Ich glaube, ich hatte den Eindruck, dass alle Parapsychologen inkompetent sind, dass sie keine Experimente konzipieren können. Das ist etwas, dem glaube ich immer noch viele Skeptiker anhängen, dass sie denken, wenn sie sich einige Artikel in Parapsychologie-Zeitschriften ansehen würden – was sie natürlich nie tun – dann würden sie ganz leicht sehen, welche Fehler diese Idioten machen. Aber, nein, das stimmt nicht. Da stehen ein paar sehr intelligente Leute auf der anderen Seite; ich habe großen Respekt für sie, und die kennen das alles. Tatsächlich sind denen manchmal die Probleme und Verzerrungen, die sich einschleichen können, bewusster, als sie einem konventionellen Wissenschaftler wären. Weil, seien wir ehrlich, wenn man Chemiker ist, dann gibt man A zu B, und dann bekommt man C und D, und zwar jedes einzelne Mal. Da ist weniger Möglichkeit für Verzerrungen, während in den Sozialwissenschaften, vor allem in Psychologie und Parapsychologie, da sind die Daten wirr. Es gibt alle möglichen Arten, wie sich fragwürdige Forschungsmethoden einschleichen können, und man merkt es gar nicht. Meine heutige Ansicht ist, nach der ganzen Debatte in der Psychologie über Replikationsprobleme und fragwürdige wissenschaftliche Praktiken, wenn man bedenkt, dass alle Wissenschaften versuchen, ein Signal vom Rauschen zu trennen: Wie würde eine Wissenschaft aussehen, in der es nur das Rauschen gibt? Ich glaube, sie würde ziemlich genau so aussehen wie die Parapsychologie. Ich denke, das ist zum großen Teil der Grund dafür, dass man immer gerade genug positive Ergebnisse hat, um neugierig und fasziniert zu bleiben und es nochmal zu versuchen, selbst wenn dahinter gar keine echten Phänomene stecken. Und ich sage ja, es gibt eine Möglichkeit, dass einige davon eben doch echt sein könnten.
Chris French hält es also nicht für wahrscheinlich, dass es Paraphänomene gibt – er schließt es nur nicht kategorisch aus, dass es irgendwas davon geben könnte. Das auszuschließen wäre auch weder wissenschaftlich noch ernsthaft skeptisch. Er hält die Parapsychologie also für eine Wissenschaft, die einen Forschungsgegenstand sucht, der aber sehr wahrscheinlich nicht existiert. Solche Themenbereiche gibt es zum Beispiel in der Physik auch, und es kann sich dennoch lohnen, sich damit zu beschäftigen, wenn der unwahrscheinliche Fall, dass er doch existiert, wichtig genug wäre.
So hat sich auch der Blick der Wissenschaft insgesamt auf die Beschäftigung mit paranormalen Erfahrungen im Laufe von Frenchs Karriere verändert.
Als ich zu dem Thema gekommen bin, haben eine ganze Reihe Leute die Augenbrauen hochgezogen und gesagt: „Warum machst Du das?“ Vor allem Psychologen und andere Wissenschaftler haben gesagt: „Wir wissen doch alle, dass es so etwas wie Geister nicht gibt und dass Menschen nicht von Außerirdischen entführt werden.“ Und mein Gefühl war, naja, die gibt es nicht, aber selbst wenn es die nicht gibt, passiert da auf psychologischer Ebene etwas Interessantes, wovon man lernen kann? Und ich glaube, diese Haltung wird heute eher akzeptiert. Auf jeden Fall verstehen es einige der größten Namen in der Psychologie; Elizabeth Loftus ist da an erster Stelle zu nennen. Die stehen voll hinter der anomalistischen Psychologie.
Chris French findet die Beschäftigung mit paranormalen Wahrnehmungen also interessant, auch unabhängig von der Frage, ob sie aus realen Effekten resultieren.
Es gibt eine kleine Chance, dass einige dieser paranormalen Behauptungen oder der Dinge, die wir unter diesen Begriff fassen, sich als wahr herausstellen. Ich glaube nicht daran, und ich würde ganz sicher kein Geld darauf wetten, aber ich denke, man muss für diese Möglichkeit offen sein. Aber selbst wenn sie das nicht sind, ist es unbestreitbar, dass die meisten Menschen an mindestens ein paranormales Phänomen glauben, und eine nennenswerte Minderheit erklärt, dass sie selbst schon welche erlebt hat. Wir können also, genauso wie man viel über das normale Sehen lernen kann, indem man optische Täuschungen untersucht, auch viel über den Glauben lernen. Das sollte also ernst genommen werden, was immer letztlich die Antwort ist.
So hat sich auch sein Blick auf die Parapsychologie mit der Entwicklung ihrer Ergebnisse verändert:
Das ganze Feld des Skeptizismus bezogen auf das Paranormale hat in der Zeit, in der ich mich damit beschäftigt habe, mehrere Phasen durchlaufen. Damals in den 70ern gab es allgemein ein Gefühl, dass es da nichts zu erklären gab, dass die Daten die Behauptungen überhaupt nicht gestützt haben. Dann gab es Situationen, da waren einige der Ganzfeldexperimente und einige Arbeiten zum Remote Viewing eine ziemliche Herausforderung für die Skeptiker. Es war eben nicht vollkommen offensichtlich, was aus methodischer Sicht an diesen Arbeiten nicht in Ordnung sein könnte. Man kann immer irgendwie pingelig sein, aber so insgesamt… Ich erinnere mich, dass sogar Ray Hyman gesagt hat, dass er so ziemlich an den Punkt gekommen ist, wo er akzeptiert hatte, dass es einen tatsächlichen Effekt gibt, auch wenn er nicht unbedingt überzeugt war, dass es ein paranormaler Effekt ist. Man hätte ja an irgendeine subtile Form von systematischem Messartefakt oder so etwas Ähnliches denken können. Da gab es also eine Art von Verschiebung. Und jetzt sind wir in einer Phase angelangt, wo ich den Verdacht habe, dass die Parapsychologie sich immer von einer falschen Hoffnung zur nächsten schleppen wird, immer mit dem Versprechen, dass sie bald, bald die wiederholbaren, robusten Effekte finden werden, die dann tatsächlich nie zu kommen scheinen. Wenn sie das könnten, dann würde das die Skeptiker ja zum Schweigen bringen, klar, oder?
Das klingt nun wirklich nicht nach jemandem, der von der Existenz paranormaler Phänomene überzeugt ist.
Wenn man zum Beispiel die Idee des Remote Viewing nimmt, oder der Astralprojektion, der außerkörperlichen Erfahrung – manche Leute behaupten, sie können so etwas selbst mehr oder weniger gezielt herbeiführen. Wenn wir also jemanden haben, der so etwas tun kann, dann können wir diesen Menschen ja auf einen Stuhl setzen und sagen, okay, habe eine außerkörperliche Erfahrung und erzähle uns, was im Nachbarzimmer ist, und dann könnte er das tun. Das ist ein ganz einfacher Test, und die Skeptiker könnten einpacken. Das wäre der Beweis, dass es geht. Aber das passiert nie, nie nie. Und ich finde, das sagt eine Menge aus über die Behauptungen der Leute, die sich mit solchen Vorstellungen zu Wort melden.
Gewandelt haben sich Chris Frenchs Ansichten in ganz anderer Hinsicht:
Ich spreche von unterschiedlichen Arten von Skeptikern. Als ich mit dem Skeptizismus angefangen habe, waren meine Ansichten ein bisschen extremistischer. In gewisser Weise bin ich da wieder zu einem nachsichtigeren Blick gekommen. Es gibt einige Skeptiker, die sehen alle Hellseher und alle Medien als absichtliche Schwindler, als Betrüger. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube, in den meisten Fällen betrügen diese Leute sich selbst. Es gibt auch die Ansicht, dass alle paranormalen Glaubenssysteme schädlich und gefährlich sind, und auch da glaube ich nicht, dass das stimmt. Sie erfüllen für die Menschen einen Zweck. Das offensichtlichste Beispiel ist der Glaube an ein Leben nach dem Tod, der ist sehr beruhigend für viele Menschen. Selbst wenn es nicht stimmt, ist es beruhigend.
So nachsichtig ist er mit vielen anderen irrationalen Vorstellungen aber überhaupt nicht.
Aber dann kennen wir natürlich auch die Peter Popoffs dieser Welt und diverse andere, das sind Trickbetrüger, und die wissen was sie tun, und die verabscheue ich ganz besonders. Es gibt andere, die glauben tatsächlich, dass sie eine Begabung haben, und sie denken, dass sie den Leuten helfen – das sind gute Menschen. Es kann sein, dass sie sogar Schaden anrichten, aber es sind gute Menschen, die tun das in bester Absicht, während die Trickbetrüger, das sind üble, üble Menschen, und die wissen, was sie tun, und die wissen, dass sie den Menschen schaden, und zwar oft den verletzlichsten Teilen der Gesellschaft.
An der Stelle können wir Chris French, ob sich seine Ansichten nun tatsächlich nennenswert verändert haben oder nicht, nur vollauf zustimmen.
Meine Grundhaltung ist, man darf glauben, was immer man will, egal wie schräg und versponnen, solange es Anderen keinen Schaden zufügt. Es sind nur die Glaubenssysteme, die anderen Menschen schaden, denen ich entgegentreten möchte.
Zusammengestellt und übersetzt von Holm Hümmler.
Ein Gedanke zu „Glaubt Skeptiker-Ikone Chris French an Paraphänomene? Auszüge aus unserem Interview.“