Zwischen einem neuen Buchprojekt, der SkepKon, dem Science March und dem kleinen Detail, dass ich nebenbei auch noch irgendwie Geld verdienen muss, gab es ja in letzter Zeit wenig neuen Quantenquark zu lesen. Zur Überbrückung empfehle ich natürlich weiterhin jedem, der es noch nicht hat, das Quantenquark-Buch.
Eigentlich habe ich auch jetzt keine Zeit für einen neuen Artikel, aber wenn ich schon so nett auf Facebook auf geradezu idealtypischen Quantenquark hingewiesen werde, dann ist das doch einen genaueren Blick wert.
Da versucht also jemand, seine religiösen WahnVorstellungen mit Quantenquark zu begründen. Das ist an sich nicht sonderlich neu.
Im vergangenen Jahr hatte ich schon vom Physikprofessor Markolf Niemz von der Uni Heidelberg berichtet. Niemz erklärt die Halluzinationen im Rahmen sogenannter Nahtoderfahrungen zu Blicken ins Jenseits und begründet das ausgerechnet mit der Relativitätstheorie. Die Argumentation bleibt dabei vollständig auf dem Niveau von „es sieht so ähnlich aus, also muss es dasselbe sein; außerdem bin ich Physiker, also glaubt mir“. Als ich letztes Jahr über Niemz recherchiert habe, schien es um ihn etwas ruhiger zu werden, aber seitdem ist er wieder mit dem gleichen Unsinn unterwegs, gibt Interviews für Wallstreet Online, wo er behauptet, das Licht speichere menschliche Erfahrung über den Tod hinaus und tritt auf dem Züricher „Spiraldynamik-Kongress“ auf, zusammen mit Nahtod-Papst Pim van Lommel. Nun hätte man hoffen können, dass die „Elite-Universität“ Heidelberg ähnlich konsequent wäre wie die Hochschule Furtwangen im Fall ihres Professors Konstantin Meyl. Die Hochschule aus dem Schwarzwald (ursprünglich FH) distanziert sich von den Eskapaden ihres Professors und verbietet ihm, dergleichen in Vorlesungen seinen Studenten zuzumuten. Niemz‘ Machwerke hingegen werden von der Pressestelle seiner Universität wiederholt gefeiert, als seien es wissenschaftliche Leistungen. Da ist die Uni Heidelberg allerdings in guter Gesellschaft. Erst diesen Januar durfte Niemz seine Pseudophysik in einem öffentlichen Gastvortrag am Universitätsklinikum des Saarlandes ausbreiten. An der Uni Gießen gab es im April eine Veranstaltung mit dem Titel „Nahtoderfahrungen – Blick ins Jenseits?“, in der die Frage im Titel (wie Teilnehmer aus dem Kreis der Gießener Skeptiker entsetzt berichten konnten) kritiklos mit Ja beantwortet wurde. Das ist auch kein Wunder, wenn man den eben schon erwähnten Pim van Lommel aufs Podium setzt.
Eine wahre Erholung ist da schon Dirk Schneider, der Autor von Jesus Christus Quantenphysiker. Der begründet zwar auch religiöse Heilslehren mit Quantenquark, aber das tut er (soweit ich das herausfinden konnte) zumindest bislang nicht an öffentlichen Hochschulen. Stattdessen hält er seine Vorträge bei Veranstaltungen von Gruppen wie „Heiler Mensch, heile Erde e.V.“ oder der Stiftung Rosenkreuz zur Förderung hermetischen und gnostischen Gedankenguts.
Robi Sonderegger, der in dem eingangs verlinkten Artikel Jesus als Licht der Welt mit der Quantenphysik begründet, tritt auch eher nicht an Universitäten auf. Sein wichtigstes Betätigungsfeld sind Großveranstaltungen der Freikirche International Christian Fellowship, für die er ziemlich beeindruckend um die Welt tourt. Welchen Bezug er zur Quantenphysik hat, ist nicht wirklich klar, denn im Hauptberuf ist der Australier klinischer Psychologe und arbeitet wohl vor allem in der Traumatherapie. Wie sich eine solche Tätigkeit für beeinflussbare, hilfsbedürftige Menschen mit christlich-charismatischem Sektierertum verträgt, ist sicherlich eine relevante Frage, soll uns hier aber nicht weiter beschäftigen.
Viel spannender in Bezug zu unserem Thema ist Dr. Sondereggers Vortrag „Quantum Christianity“, auf den sich der verlinkte Artikel in jesus.ch offenbar bezieht.
Das Video ist inzwischen leider nicht mehr online. Falls es jemand (unter anderem Namen) noch irgendwo findet, bitte ich um Nachricht.
Das Spannende an dem Vortrag: Er enthält ein wunderbares, geradezu idealtypisches Beispiel der Argumentationsweise von Quantenquark. Dafür lohnte es sich tatsächlich, die ersten 15 Minuten durchzuhalten. Länger habe ich es dann allerdings auch nicht mehr geschafft – irgendwann wird die Pseudophysik des Traumatherapeuten für einen Physiker einfach traumatisch.
Der Einstieg kostet schon einiges an Überwindung: Die Frage, wie denn am ersten Schöpfungstag Licht gewesen sein kann, wenn Gott die Sonne erst am vierten Tag erschaffen hat, dürfte nicht nur mich als aktiven Religionskritiker und passiven Pastafari, sondern auch die meisten aufgeklärteren Christen spätestens seit der Grundschule nicht mehr ernsthaft beschäftigt haben. Wenn man die Bibel natürlich als wörtlich zu nehmendes, unbezweifelbares Wort Gottes sieht, hat man da offenbar Erklärungsbedarf, und den stillt Dr. Sonderegger auf seine ganz besondere Art: Mit dem Drei-Punkte-Rezept für Quantenquark.
Als ersten Schritt zum Quantenquark nimmt man eine tatsächliche und einigermaßen verblüffende Aussage aus der modernen Physik. Die gibt man halbwegs korrekt wieder, betont dabei aber vor allem, wie seltsam und verblüffend die moderne Physik doch ist. Sonderegger stellt dabei zunächst das Bohrsche Atommodell mit seinen Elektronenbahnen vor und erläutert dann halbwegs richtig den Wechsel zur Quantenmechanik, die den Elektronen anstatt festen Bahnen nur noch Aufenthaltswahrscheinlichkeiten für jeden Ort zuordnet. Anschließend erklärt er, heute habe die Wissenschaft sich stattdessen überlegt, dass das Innere des Atoms zu über 99,9 Prozent aus Nichts besteht. Dass das seit dem Rutherfordschen Streuversuch 1913 unbestritten ist und weder zum Bohrschen Atommodell noch zur Quantenmechanik in irgendeinem Widerspruch steht, scheint ihm nicht weiter aufzufallen. Nebenbei lästert er, die Wissenschaft könne sich ja nicht entscheiden und käme alle paar Jahre zu neuen Erkenntnissen. Dass es gerade das Prinzip von Wissenschaft ist, immer dazulernen zu wollen und sich dazu ständig selbst zu hinterfragen, muss natürlich tatsächlich befremdlich sein für jemanden, dessen Weltbild seit 2000 Jahren jedes Dazulernen kategorisch ausgeschlossen hat und mit dem Scheiterhaufen bedroht. Tatsächlich scheint Sonderegger auch sein Publikum mit so viel Wissenschaft zu überfordern, denn nach acht Minuten beruhigt er (unter Beifall) erst einmal, dass er nicht nur über Atome sprechen wird: „Jesus is coming!“
Im zweiten Schritt zum Quantenquark nimmt man die dargestellten Aussagen der Physik, interpretiert sie verfälschend in Alltagssprache und spinnt sie vorsichtig weiter. Dabei bleibt man immer so unklar, dass die Aussagen aus physikalischer Sicht zwar nicht wirklich haltbar aber auch nicht eindeutig falsch sind. Sonderegger behauptet dazu, die 99,9999 Prozent Vakuum innerhalb eines Atoms seien eben nicht nichts, sondern eine „quantum light energy“, aus der das Atom erst entstünde. Ein wohlwollender Physiker kann darin wahlweise das elektromagnetische Feld des Atomkerns oder die Vakuumfluktuationen aus der Quantenfeldtheorie erkennen, aber letztlich muss man einfach konstatieren, dass Sondereggers Quantenlichtenergie in der Physik nicht vorkommt. Normalerweise untermauert man diesen zweiten Schritt zum Quantenquark gerne mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten von Einstein, Heisenberg oder anderen Größen aus der Physikgeschichte. Sondereggers Publikum hat an einer Bestätigung durch Autoritäten dieser Art aber offenbar kein Interesse, und so präsentiert er lieber ein Bibelzitat:
Das Innere der Dinge ist unsichtbar, das steht schon in der heiligen Schrift, und inzwischen haben es auch die dummen Wissenschaftler herausgefunden, erklärt Sonderegger dazu. Dass diese relativ banale Aussage weder eine Erkenntnis der Quantenmechanik noch des Christentums ist, sondern sich so ziemlich bei jedem findet, der in den letzten 3000 Jahren Gedanken zur Natur der Dinge aufgeschrieben hat, lässt er vorsichtshalber unerwähnt. Stattdessen spöttelt er, in der Schweiz hätten die Wissenschaftler jetzt meilenlange Mikroskope, um das Etwas im Nichts für Sekundenbruchteile sehen zu können – so ungefähr die kindlich-naivste Beschreibung des CERN, die mir je untergekommen ist.
Im dritten und letzten Schritt zum Quantenquark nutzt der geneigte Quarkproduzent dann die gestiftete Verwirrung, um frei darauf los zu assoziieren und beliebigen Unsinn mit der Physik in Verbindung zu bringen. Sonderegger tut das mit der Behauptung, die Wissenschaft glaube (ein Wort, das er besonders betont) heute daran, dass alles im bekannten Universum von einer unsichtbaren Intelligenz außerhalb von Raum und Zeit zusammengehalten werde. Die angebliche unsichtbare Intelligenz tritt bei ihm dabei von einem Satz zum nächsten nahtlos und ohne jede Begründung an die Stelle der vorher von ihm an den Haaren herbeigezogenen Quantenlichtenergie. Diese so nun völlig haltlose Behauptung wiederholt Sonderegger mehrfach, immer an einzelne Teile des Publikums gerichtet. Und diese unsichtbare Intelligenz, die ja gleichzeitig eine Quantenlichtenergie ist, kann natürlich nur Jesus sein, den ja schon die heilige Schrift als das Licht der Welt bezeichnet. Und überhaupt – die Wissenschaft glaubt! Mit der Quantenphysik bekehren sich sogar die Wissenschaftler…
Herr, wirf Hirn vom Himmel!