Erspart mir die Eisheiligen!

Jetzt kommt hier endlich mal wieder ein Artikel, und dann geht es nicht mal um Physik. Doch – um Physik der Atmosphäre nämlich, aber lassen wir das. Der Grund für den Artikel ist einfach: Ich rege mich mal wieder auf.

Man kann nämlich im Moment, wie so ziemlich jedes Jahr ungefähr um diese Zeit, keinen Wetterbericht ansehen – eigentlich gar keine Nachrichtenseite öffnen – ohne zu hören, dass an den aktuellen Temperaturen die Eisheiligen schuld wären. Genau das finden wir gestern zum Beispiel bei Euronews, beim Weather Channel, bei HL-live, bei wetter.de und, mit der ausdrücklichen Formulierung „pünktlich zu den Eisheiligen“, bei der Märkischen Oderzeitung. Wenn man nach solchen Meldungen geht, könnte man den Eindruck gewinnen, die Eisheiligen seien tatsächlich ein regelmäßig wiederkehrendes Witterungsphänomen, dem man einen gewissen prognostischen Wert zuschreiben kann.

Wie fern das von der Realität ist, zeigt eigentlich schon der Blick auf das tatsächliche Wetter in diesem Jahr, denn die Eisheiligen (benannt nach der sehr alten Gewohnheit, Kalendertage nach den zugeordneten Heiligen zu benennen) dauern laut Kalender von (frühestens) Mamertus am 11. Mai bis zur „kalten Sophie“ am 15. Mai – genau der Zeitraum, in dem es nach aktuellem Stand in diesem Jahr wieder wärmer werden soll. An den Eisheiligen wird es in diesem Jahr eben nicht kalt, sondern gerade wieder warm. Wenn man außerdem bedenkt, dass diese Art von Wetterregeln schon vor der gregorianischen Kalenderreform von 1582 belegt ist, sollten die tatsächlichen Eisheiligen sogar noch zehn Tage später liegen. Wenn es vor dem genannten Zeitraum kälter ist, sind das in der typischen Wetterberichterstattung allerdings auch die Eisheiligen, die dann eben etwas früher kommen, und wenn es hinterher kalt wird, dann sind sie das natürlich ebenso. Kommt ein Kälteeinbruch noch ein bisschen später, dann schreibt man ihn mit der Schafskälte einfach der nächsten Bauernregel zu, bis man Ende Juni mit dem Siebenschläfertag gleich noch eine Pseudovorhersage für die nächsten sieben Wochen anfügt.

Als Quelle wird zu den Eisheiligen oder der Schafskälte gerne das Buch „Bauernregeln – Aus meteorologischer Sicht“ von Horst Malberg zitiert, das in erster Auflage schon 1989 erschienen ist. Malberg geht zwar auf die Eisheiligen ein (immerhin acht der 462 aufgeführten Wetterregeln beziehen sich darauf), erläutert aber, dass das Frostrisiko im Lauf des Mai tatsächlich abnimmt und während der Eisheiligen deutlich niedriger ist als davor. Genau das wäre ja auch rein kalendarisch zu erwarten. Die Bedeutung der Eisheiligen für die Landwirtschaft erklärt Malberg damit, dass die Entwicklung vieler Kulturpflanzen dann schon weiter fortgeschritten sei, was sie besonders anfällig für die vereinzelt eben doch noch auftretenden Frostnächte mache.

In den 2000er Jahren und schon im Ruhestand hat der einst angesehene Klimatologieprofessor Malberg sich dann leider von Klimawandelleugnern vereinnahmen lassen und unter anderem mit hanebüchenen Statistiken versucht zu belegen, dass der Klimawandel in Wirklichkeit das Ergebnis veränderter Sonnenaktivität wäre.

Wie entstehen aber nun die Kälteeinbrüche im Mai und Juni, die wir allgemein den Eisheiligen, der Schafskälte oder dem Siebenschläfertag zuschreiben?

Zunächst einmal ist es natürlich vollkommen normal, dass das Wetter veränderlich ist und mal wärmere, mal kältere Phasen auftreten. Im späten Frühjahr und im Frühsommer (der meteorologisch am 1. Juni beginnt) kommt aber noch ein Effekt hinzu: Im Mai ist die Sonneneinstrahlung zwar schon ähnlich stark wie im August, aber die Erdoberfläche erwärmt sich mit einer gewissen Verzögerung. Bei den Landmassen unserer Breiten geht diese Erwärmung relativ schnell, und der Nordostatlantik hat durch den Golfstrom ohnehin relativ milde Temperaturen. So kann es hier auch im Mai schon sehr sommerlich sein. Anders sieht es in den polaren und subpolaren Gebieten weiter nördlich aus. Dort muss bei der Erwärmung zunächst einmal die Schnee- und Eisbedeckung des Winters abschmelzen, was, wie auch in den Hochalpen, oft bis weit in den Juni dauert. Zum einen reflektiert die helle Eisschicht einen großen Teil des auftreffenden Sonnenlichts und nimmt so weniger Wärme auf als dunkleres Gestein oder Vegetation. Zum anderen verbraucht das Auftauen größerer Eismassen rein physikalisch viel mehr Energie als das Erwärmen festen Gesteins. Der Norden Skandinaviens, Island, Grönland sowie die Tundra Nordrusslands bleiben um diese Jahreszeit also viel länger kalt als unsere gemäßigte Region.

Die Erwärmung dieser besonders kalten Gebiete erfolgt natürlich zum Teil durch die auch dort mit dem nahenden Sommer zunehmende Sonneneinstrahlung, ganz erheblich aber auch durch die Zufuhr warmer Luft aus unseren Breiten. Im Gegenzug strömt dabei subarktische und arktische Kaltluft zu uns.

Entscheidend für den Verlauf dieses Austausches ist die Polarfront, eine sogenannte Luftmassengrenze (realistisch eher eine Vermischungszone), die durch das planetarische Windsystem und somit letztlich durch die Erdrotation entsteht. Sie verläuft im Wesentlichen im Bereich des 60. Breitengrades, allerdings in riesigen, oft unregelmäßigen Wellen. Ein Teil des Luftaustauschs erfolgt relativ kontinuierlich durch die entlang der Polarfront ständig entstehenden Verwirbelungen, die sich als Tiefdruckgebiete auf unser Wetter auswirken. Es kommt aber auch immer wieder vor, dass die um den Pol herumlaufenden Polarfrontwellen ins Stocken geraten und sich weit nach Süden ausbeulen, so dass über mehrere Tage hinweg arktische Kaltluft zu uns transportiert wird. Durch das gerade besonders große Temperaturgefälle merken wir das als deutlichen Kälteeinbruch. Der wird dann, je nachdem in welche Phase des Mai oder Juni er fällt, wahlweise den (frühen oder späten) Eisheiligen, früher oder später Schafskälte oder dem Siebenschläfer zugeschrieben. Egal wann der Kälteeinbruch kommt, irgendetwas davon passt immer, oder es wird in den Medien passend gemacht. Wer weiß schon heute noch, wann Mamertus tatsächlich ist und was ein Bischof von Wien aus dem 5. Jahrhundert mit den Temperaturen im Mai zu tun hat?

Der Grund, dass die Eisheiligen immer wieder in Wettervorhersagen auftauchen, ist also nicht, dass sie in irgendeiner Weise dazu dienen könnten, Wetter vorherzusagen. Sie sollen einfach helfen, die meist relativ langweiligen Informationen des Wetterberichts in eine irgendwie halbwegs interessante Geschichte zu verpacken, ähnlich wie zu anderen Jahreszeiten die Frage nach dem ersten Schnee oder der in unseren Breiten höchst seltenen „weißen Weihnacht“. Bedauerlicherweise sind die Geschichten, die dabei herauskommen, eben völlig sinnentleert und vermitteln den Menschen falsche Informationen darüber, wie unser Wetter und unser Klima funktioniert. Für viele Menschen könnte man den eingesparten Platz oder die Sendezeit um diese Jahreszeit besser für eine ordentliche Pollenvorhersage nutzen.

Wer von dem Wetter der letzten paar Tage und dem alljährlichen Eisheiligen-Gefasel ähnlich genervt ist wie ich, dem bleibt immerhin der Trost einer tatsächlich sinnvollen Bauernregel: „Mairegen bringt Segen“. Dass ein gut mit Feuchtigkeit versorgter Boden sich positiv auf das Pflanzenwachstum in den wichtigen kommenden Wochen auswirkt, wird einem wohl jeder Landwirt bestätigen.

 

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