Update:
Das war eine schnelle und richtige Reaktion vom Deutschen Museum. Respekt! Und auch die Shop-Betreiber haben nicht nur zugesagt, sondern auch gehandelt:
Sicherlich ein gutes Vorbild für andere Händler, bei denen der eine oder andere Leser vielleicht die gleichen Produkte als „Lernspielzeug“ findet.
„Das Deutsche Museum mit seinen Zweigmuseen ist ein herausragender Ort für die Vermittlung von naturwissenschaftlich-technischer Bildung und für einen konstruktiven Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.“ So heißt es auf der Homepage dieser altehrwürdigen Einrichtung. Wer diesen herausragenden Ort der Bildung besucht hat und entsprechend beeindruckt war, möchte sich oder dem werten Nachwuchs möglicherweise etwas zur Bildung und Erbauung mitbringen und sucht den Souvenirshop des Museums auf – oder eben später dessen offiziellen Onlineshop. Wie könnte der Nachwuchs besser zu naturwissenschaftlich-technischer Bildung gelangen als mit einem Experimentierkasten. Und weil sich im Deutschen Museum ja so viel um Energie dreht und Energietechnik ja auch ein wichtiger Aspekt für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist, landet man dann schnell bei diesem Experimentierkasten hier:
Wenn man in Physik gut aufgepasst hat, könnte einem hier etwas seltsam vorkommen: Es handelt sich ja erkennbar um einen Elektronik-Experimentierkasten, aber „freie Energie“, so wie die seriöse Physik den Begriff versteht, kommt aus der Thermodynamik.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle eine verständliche, anschauliche Erklärung verlinken, was freie Energie in der Thermodynamik eigentlich bedeutet. Das Dumme ist, ich finde tatsächlich keine, also versuche ich mich als kurzen Einschub schnell selbst daran: Freie Energie ist die Energie, die man einem System zuführen oder entnehmen kann, wenn sich die Temperatur im System dabei nicht ändert. Dummerweise ändert sich die Temperatur meistens, wenn man einem System Energie zuführt oder entnimmt (wenn man zum Beispiel ein Gas zusammenpresst, wird es heiß, und die Erwärmung führt zu einem verstärkten Gegendruck), so dass Prozesse, in denen die freie Energie eine Rolle spielt, meistens sehr langsam ablaufen – dann kann ein Temperaturausgleich mit der Umgebung erfolgen. Kurzfristig ist die freie Energie sozusagen gerade nicht frei. Im Alltag spielt die innere Energie (Energiezufuhr ohne Wärmeausgleich mit der Umgebung) meist eine wichtigere Rolle als die freie Energie. Den Unterschied kann man sich hier ganz gut visualisieren, wobei die farbige Fläche ein kompressibles Medium, also zum Beispiel ein Gas, in einem Zylinder darstellt:
Genau um diese freie Energie geht es in dem Experimentierkasten im deutschen Museum aber nicht. Soweit der Beschreibung auf der Seite und beim Hersteller Franzis zu entnehmen ist, handelt es sich um einfache Elektronikexperimente wie Batterien aus Alltagsmaterialien oder Spielereien mit elektrostatischer Aufladung. Gegen einen Kasten mit solchen Experimenten ist im Prinzip natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Entscheidend ist, welche physikalischen Vorstellungen damit vermittelt werden, und da liegt der Hase im Pfeffer. Die „freie Energie“, die der Name des Experimentierkastens ankündigt, ist nämlich ein Begriff aus der Esoterik – die Pauschalerklärung dafür, warum manche Bastler behaupten, ihr Perpetuum mobile funktioniere doch, obwohl den meisten Leuten heutzutage klar ist, dass ein Perpetuum mobile eben nicht funktioniert. Freie Energie ist die fiktive Energiequelle für alle Maschinen, die angeblich Energie aus nichts erzeugen sollen. Alternativ werden auch andere physikalische Begriffe dafür verbogen oder zweckentfremdet und man spricht von „Raumenergie“, „Vakuumenergie“ oder „Nullpunktenergie“. Der Unsinn bleibt immer der gleiche, auch wenn die Szene sich gerne im Umfeld der erneuerbaren Energieträger einschleichen will. Die wichtigsten Akteure in Deutschland sind Klaus Volkamer und Claus Turtur. Die meisten dieser Maschinen wandeln einfach so lange Energie von einer Energieform in die nächste um, bis man völlig den Überblick verloren hat, wo überall Energie zugeführt wurde und wieviel davon am Ende übrig bleibt. Realistisch betrachtet sind das alles Maschinen zur Umwandlung von nutzbarer Energie, zum Beispiel Strom, in Abwärme.
Der pseudowissenschaftliche Hintergrund des Experimentierkastens erschließt sich von außen bedauerlicherweise allenfalls im Kleingedruckten. So findet sich in der Beschreibung folgender Text: „Forscher sprechen von riesigen, bisher ungenutzten freien Energiequellen. Doch ihre Existenz wird von der Schulphysik verneint.“ Und genau diese von der Schulphysik verneinte freie Energie soll der mit dem Mitbringsel aus dem Deutschen Museum beschenkte Enkel oder die Enkelin dann „entdecken, nutzen damit experimentieren.“ Zu den außen angekündigten Experimenten gehört unter anderem ein „Spannungsoszillator nach Bedini“. Der Namensgeber ist John Bedini, einer der Gurus der amerikanischen Freie-Energie-Szene. Bei Amazon kann man erfreulicherweise nachrecherchieren, dass der Entwickler des Experimentierkastens Peter Lay auch Autor eines Buches zu freier Energie ist. In dem Buch geht es neben Energie aus nichts auch um angebliche kalte Kernfusion, um das eingebildete „Brummton-Phänomen“, das wohl am ehesten der Massenpsychologie zuzuordnen ist, und um erfundene Wirkungen elektromagnetischer Wellen auf das Pflanzenwachstum. Außerdem hat er ein Buch darüber geschrieben, dass man mit Überlichtgeschwindigkeit kommunizieren könne und eines zur Kirlian- oder Auraphotographie, über deren absurde Anwendungen in der Scharlatanerie sich der Leser dann „für die eine oder andere Seite entscheiden“ soll.
Vom gleichen Autor und auch aus dem Franzis-Verlag, der den Experimentierkasten herstellt, gibt es auch noch ein Buch über Experimente zur freien Energie (in Auszügen hier herunterzuladen). Es enthält ein wüstes Sammelsurium aus technischen Spielereien wie der Lichtmühle, nicht funktionierender Technik wie der kalten Fusion und esoterischem Unsinn wie dem Orgonakkumulator, dem im Buch unter „Kurioses“ immerhin drei Seiten gewidmet sind. Selbst zu echter erneuerbarer Energie wie der Windkraft enthält das Buch Absurdes: Statt eines Windrades sollte man Segel an Piezokristallen anbringen, also an Materialien, in denen bei Verformung eine elektrische Spannung auftritt. Das Problem dabei erkennt der Autor offenbar selbst, erwähnt es aber nur ganz kurz am Ende des Abschnitts: Man hätte damit eine Windkraftanlage gebaut, die bei gleichbleibendem Wind überhaupt keine Energie gewinnt, sondern nur Schwankungen des Winddrucks nutzen könnte…
Nun könnte es natürlich theoretisch sein, dass der gleiche Autor und der gleiche Verlag beim Experimentierkasten im Shop des Deutschen Museums plötzlich seriös geworden sind. Auf Amazon beschwert sich immerhin ein Rezensent, mit dem Paket könne man ja gar keine freie Energie erzeugen. Auf einen Testkauf des absurden Pakets habe ich aber verzichtet. Dafür gibt es im Shop des Deutschen Museums noch einen zweiten Experimentierkasten, auch zu freier Energie und auch von Franzis:
Über dieses „Lernpaket“ finden sich auführlichere Informationen auf Youtube. Die Videoblogger von MG Productions haben es mal zerlegt, unter dem Namen „Prof. Quax“, in einem in der Form wenig professoralen und recht eigenwilligen aber inhaltlich sehr aufschlussreichen Filmchen. Neben ein paar ziemlich banalen Elektronikbauteilen fanden sie ein Heft unter anderem mit Anleitungen für „Paramedizinische Messung am Computer“, für einen „Kaltfusionsreaktor“ und einen „Schaltplan zur Wasserelektrolyse“. Die Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff und Sauerstoff ist eine beliebte Spielerei in der Freie-Energie-Szene. Dummerweise verbraucht sie nicht nur viel mehr Strom, als man aus der Verbrennung der Endprodukte zurückgewinnen kann, sondern die bei unprofessionellen Anordnungen entstehende Mischung aus Sauerstoff und Wasserstoff ist auch hochexplosiv.
Im Video heißt es, das „Lernpaket“ sei vom Kopp-Verlag. Der Hersteller ist natürlich Franzis, aber in der Tat – verkauft werden die Franzis-Experimentierkästen zu freier Energie, „Tesla-Energie“ und Stirlingmotoren nicht nur im Deutschen Museum, sondern auch von den Verlag-gewordenen Gralshütern rechtsesoterischer Verschwörungstheorien. Natürlich kann ein Autor oder Spieleentwickler kaum verhindern, dass ein Onlinehändler einen in seinen Shop nimmt (man kann dort sogar die Dissertation des Verschwörungstheorie-Kritikers und erklärten Kopp-Gegners Sebastian Bartoschek bestellen), aber die Aufmachung der Sets passt doch zu genau in den Themenschwerpunkt Energie-Verschwörungstheorien bei Kopp, und in die Kaufempfehlungen der völkisch-okkultistischen „Thule-Gesellschaft“ muss man es auch erst mal schaffen. Der „herausragende Ort für die Vermittlung von naturwissenschaftlich-technischer Bildung“ bewegt sich also in erlesenster Gesellschaft.
Und das ist noch nicht alles. Ebenfalls von Franzis findet sich im Shop des Deutschen Museums auch noch das Paket „Elektrosmogdetektor selbst bauen“, komplett mit der platten Erklärung: „Zu viel Elektrosmog schadet der Gesundheit.“ Das ist sachlich nicht falsch. Wenn man mit dem Begriff Elektrosmog zum Beispiel Mikrowellenstrahlung wie beim Mobilfunk meint, dann wäre zu viel genau dann erreicht, wenn durch Überhitzung des Körpers Verbrennungen auftreten. Davon ist man bei dem, was landläufig als Elektrosmog bezeichnet wird oder was man mit dem im Museumsshop verhökerten Feldmessgerät nachweisen kann, aber seeeeehr weit entfernt. Die maximale Sendeleistung irgendeines heute noch gebräuchlichen Handys (das wäre ein D-Netz-Gerät bei GSM-Empfang) liegt bei 2 Watt, typische durchschnittliche Sendeleistungen beim Telephonieren bei 0,2 Watt. Davon geht mehr als die Hälfte am Körper vorbei. Um mit 0,1 Watt das nächstgelegene Kilogramm Körper (oder vielmehr Kopf) auch nur um 1 Grad zu erwärmen, bräuchte man rund eine Kilokalorie, also gut vier Kilojoule und damit die Sendeleistung von über 11 Stunden. Selbst bei voller Sendeleistung (weil man sich zum Beispiel in einem mit viel Metall umschlossenen Raum befindet, in dem das Gerät gerade noch Kontakt zur Sendestation bekommt oder den Empfang seines Handys mit irgendwelchen esoterischen Gadgets abgeschirmt hat) bräuchte man dafür immer noch über eine Stunde. In dieser Zeit hätte der Blutkreislauf diese Wärme aber im Rest des Körpers verteilt und über die Haut abgegeben. Durch das Anfassen eines vom Batteriebetrieb erwärmten Smartphones nimmt man wahrscheinlich mehr Wärme auf als über dessen Sendeleistung.
Letztlich ist es beim Elektrosmogbaukasten wie bei der freien Energie: Das Problem ist nicht die enthaltene Technik, sondern die Interpretation der Ergebnisse, und die entlarvt sich schon in der Wortwahl des Titels. Wer elektromagnetische Wellen als Elektrosmog bezeichnet, verbreitet damit irrationale Ängste. Wer Elektronikspielereien als Experimente zur Freien Energie bezeichnet, erweckt irrationale Hoffnungen auf Energie aus nichts. Wer beides in Produkten für Kinder und Jugendliche tut, handelt im besten Fall verantwortungslos.
Da es in diesem Blog ja schwerpunktmäßig um denjenigen physikalischen Unsinn geht, der mit Quantenmechanik und Relativitätstheorie zu tun hat, stellt sich natürlich die Frage, findet sich im Shop des Deutschen Museums auch echter Quantenquark? Das wäre schon etwas erschreckend. Schließlich ist Museums-Generaldirektor Wolfgang Heckl nicht nur ein großer Freund des Reparierens und politisch korrekter Bekämpfer der Wegwerfgesellschaft, sondern war an der LMU Professor für Experimentalphysik und ausgewiesener Experte für Nanotechnologie, der das kleinste Loch der Welt erzeugt haben soll. Da geht es nicht ohne ausgiebige Beschäftigung mit Quantenmechanik, und man würde auf Bücher zu diesen Themen vielleicht einen kritischeren Blick erwarten als auf Elektronik-Experimentierkästen. Tatsächlich macht die Buchauswahl zum Thema Physik einen insgesamt soliden Eindruck. In der Kurzbeschreibung von Brigitte Röthleins Schrödingers Katze findet sich zwar die unsägliche Behauptung: „Kaum eine Theorie ist so umstritten wie die Quantentheorie, die selbst Einstein mit vehement ablehnte,“ aber das Buch selbst erscheint beim stichprobenhaften Hineinlesen weitaus seriöser, als der Kurztext vermuten lässt.
Quantenquark, wenngleich von der eher subtilen Sorte, findet sich unter den ausgewählten 32 Physikbüchern im Shop dann aber doch, und auch der hat mit Erwin Schrödingers unglücklich gewähltem Versuchstier zu tun. (Schrödingers Laborratte hätte als Gedankenexperiment die Menschen wahrscheinlich weitaus weniger umgetrieben, es wäre weniger Unsinn darüber zusammenspekuliert worden, und Stephen Hawking hätte sich seine Gewaltphantasien sparen können.) Auch im Shop des Deutschen Museums ist nämlich der alte Bekannte John Gribbin (aus meinem Nobelpreisträger-Artikel) auf der Suche nach Schrödingers Katze. Gribbin versteht es grandios, einerseits physikalische Einzelheiten ordentlich und sogar recht verständlich zu erklären, andererseits die Schlussfolgerungen so blumig und übertrieben zu formulieren, dass er seinen Lesern die absonderlichsten Flausen in den Kopf setzt. So folgert er schon im Prolog seines Katzenbuches aus der quantenmechanischen Unbestimmtheit des Ortes klassischer Teilchen, eine Realität gäbe es nach der Quantenmechanik nicht. Anscheinend darf Realität für Herrn Gribbin nur aus festen Gegenständen bestehen – ein höchst bedauerliches Weltbild für jemanden, der seinen Lesern moderne Physik nahebringen möchte. Kurz gesagt, kein Buch für den Giftschrank, aber es wäre ganz sicher nicht auf meiner Liste der ersten 32 Bücher, die ich zum Thema Physik anbieten würde.
Natürlich gibt es diese Produkte nicht nur im Shop des Deutschen Museums, aber wer solche Bücher und „Lernpakete“ verkauft, übernimmt damit eine Verantwortung und verbindet seinen eigenen Leumund mit dem seiner Produkte. Das gilt vor allem, wenn man erkennbar ein überschaubares Sortiment ausgewählter Angebote vermarktet. Deswegen ist es auch ein Unterschied, ob man solche Produkte beim Kopp Verlag, bei Amazon oder beim Deutschen Museum bestellen kann. Natürlich finde ich es auch ärgerlich, wenn man das Verdummungssortiment von Franzis in normalen Spielwaren- oder Elektronikgeschäften findet, wie zum Beispiel hier im Herbst 2015 bei Conrad Electronic in Frankfurt. Aber dort gehen diese Angebote irgendwo in einem wesentlich größeren Gesamtsortiment von allem Möglichem unter, und Conrad Electronic behauptet auch nicht, „ein herausragender Ort für die Vermittlung von naturwissenschaftlich-technischer Bildung“ zu sein. Hoffe ich jedenfalls.