Mal was Positives: Wissenschaftliches Denken für die Schule

Eigentlich müsste ich heute anlässlich des Physik-Nobelpreises wohl einen Artikel über Roger Penrose und seine wüsten Spekulationen, das Gehirn sei ein Quantencomputer, schreiben. So schnell bin ich aber nicht und beschränke mich zu diesem Thema auf den Hinweis, dass ich Penrose hier schon erwähnt habe und ein paar Zeilen mehr über ihn im Quantenquark-Buch vorkommen. Wo Penrose noch nicht vorkam, ist mein Artikel darüber, dass ein Physikstudium und selbst ein Nobelpreis eben nicht davor schützen, Quantenquark zu verzapfen. An dieser Stelle beschränke ich mich aber auf den Hinweis, dass er für seine bedeutenden Arbeiten zur Relativitätstheorie und dort insbesondere zu schwarzen Löchern ausgezeichnet worden ist – und natürlich nicht für seine quantenphysikalische Schnapsidee, für die allerlei Schwurbler aus Matrix 3000, Tattva Viveka etc. den Preis sicher als Bestätigung ausgeben werden. Erst einmal möchte ich aber auf etwas Erfreulicheres kommen:

Auf Twitter wird momentan eifrig über unseren „Ferngespräch“-Livetalk zum Thema Schule mit Tommy Krappweis diskutiert, weil er jetzt gerade auf Hoaxilla als Podcast verfügbar ist. Bei dem Thema bin ich ja nun alles Andere als ein Experte, auch wenn Schulpolitik mich seit meinen Junge-Union-Zeiten in den 90ern beschäftigt. In der Skeptikerszene kursiert die Klage über mangelhafte Bildung zu den Grundprinzipien der Wissenschaft auch schon seit ich erstmals bei der GWUP aufgetaucht bin und mehrfach versucht habe, Arbeitskreise zu wissenschaftlichem Denken in der Schule zu initiieren oder wenigstens zu unterstützen. Ganz selbstkritisch muss man dazu anmerken, dass da seit den wunderbaren, aber eben der Zeit entsprechend noch aus handgemalten Overhead-Vorlagen bestehenden Materialsammlungen von Wolfgang Hund nicht wirklich viel herausgekommen ist.

Die spannendsten Ergebnisse zur naturwissenschaftlichen Bildung in der Schule, die mir in jüngerer Vergangenheit begegnet sind, stammen aus der Arbeitsgruppe für Biologiedidaktik um Professor Dittmar Graf in Gießen. Mit Anna Beniermann, die sich dort mit Verständnis und Akzeptanz von Evolution beschäftigt und dann viel zum Evokids-Projekt beigetragen hat, durften wir ja erfreulicherweise auch auf Twitch diskutieren.

Nach den erschreckenden Ergebnissen der Analyse von Elvira Schmidt zu Lehrbüchern, wenn es um Medizin und „Alternativmedizin“ geht, kam wieder die Erkenntnis: Man müsste doch mal. Der Unterschied ist diesmal, sie hat es tatsächlich getan, und so freut es mich, das Unterrichtsmaterial „Medizin und Wissenschaft“ von Elvira Schmidt und Dittmar Graf kurz vorzustellen – auch wenn ich eben gerade kein Didaktiker und auch kein Praktiker aus der Schule bin.

Das Spannende ist; das Buch ist weit mehr als das, was der Untertitel verspricht, nämlich „Grundlagen für eine sachgerechte Gesundheitsförderung“. So geht es im zweiten von elf Modulen (für jeweils eine Doppelstunde) ganz grundsätzlich um die Frage, was eigentlich Wissenschaft ist, wie sie zu Erkenntnissen gelangt und man sie von unwissenschaftlichen Vorgehensweisen abgrenzen kann. Eingeleitet von Beispielen werden Kriterien für die Wissenschaftlichkeit von Aussagen wie Prüfbarkeit oder Widerspruchsfreiheit in Gruppen erarbeitet. Indem die Zusammensetzung der Gruppen (jeder bearbeitet ein anderes Thema/alle bearbeiten zusammen dasselbe Thema) zwischendurch gewechselt wird, wird gleichzeitig verdeutlicht, was eine Person zum Experten macht und was man von Experten erwarten kann. Im abschließenden Arbeitsblatt sollen die Schüler unterschiedliche Aussagen als wissenschaftlich oder nicht wissenschaftlich einordnen.

Im folgenden Modul wird das Thema auf Wissenschaftlichkeit in der Medizin zugespitzt und ausführlich auf die Abfolge der Studien bei der Zulassung von Arzneimitteln eingegangen. Hier hätte man meines Erachtens weniger ambitioniert sein können, indem man zunächst auf die grundsätzlichen Herausforderungen der Forschung mit Patienten im Vergleich zu einer Laborwissenschaft mit im Prinzip beliebig oft wiederholbaren Experimenten eingeht. Die Schüler lernen diesen für mich besonders wichtigen Aspekt in den folgenden Modulen mehr oder weniger nebenbei kennen – das setzt aber voraus, dass wirklich alle Module bearbeitet werden.

Anhand von Beispielen rund um Mund und Magen wird in den weiteren Modulen ein Laborversuch mit einem Arzneimittel (gegen Sodbrennen) bearbeitet, ein „Patientenversuch“ (zum Erkennen von Getränken am Geschmack) einfach- und doppelblind durchgeführt und dann über drei Module die Homöopathie als alternativmedizinisches Konzept eingeführt und im Laborversuch mit dem medizinischen Arzneimittel verglichen. Der Unterschied der Homöopathie zur Medizin wird schön verdeutlicht, wobei vermutlich kein Homöopathiegläubiger ernsthaft erwartet, dass Rosskastanien-Globuli tatsächlich eine Säure neutralisieren.

Grundsätzlicher wird es wieder im Modul 9 mit der Frage, was bei der Alternativmedizin tatsächlich wirkt. Da sich das Thema weniger für einen Versuch anbietet, erfolgt dies eher klassisch mit einem Arbeitsblatt in Einzel- oder Gruppenarbeit und einer Diskussion im Plenum.

Sehr schön umgesetzt ist das Modul 10, das mit dem Impfen ein Einzelthema der Gesundheitsförderung heraushebt. Nach der Auseinandersetzung mit den Gründen für Impfungen und den Argumenten von Impfgegnern illustriert ein Simulationsspiel das Prinzip des Herdenschutzes bei unterschiedlichen Impfquoten.

Spannend stelle ich mir die Diskussion mit vorgegebenen Rollen (z.B. Pharmavertreter/in oder Heilpraktiker/in) in Modul 11 vor, vor allem wenn Schüler dabei in Rollen landen, die außerhalb ihrer Komfortzone liegen. Nicht minder spannend dürfte allerdings die Reaktion alternativmedizingläubiger Eltern werden, wenn die Sprößlinge den abschließend zum Photokopieren und Ausschneiden abgedruckten „Universellen Therapiegenerator“ zum Erfinden neuer Therapiebezeichnungen nach Hause bringen…

Und ich muss jetzt nur noch dem Drang widerstehen, sämtliche Lehrer in meinem Bekanntenkreis, ganz unabhängig von ihrer Fachrichtung, mit diesem Buch zwangszubeglücken.

 

Dekohärenter Quantenunsinn aus der Welt der Homöopathen

Manchmal freut man sich auch als typischerweise skeptisch dreinblickender Skeptiker beim Lesen von Nachrichten.  Gestern zum Beispiel war in der Onlineausgabe der Deutschen ApothekerZeitung ausgiebig über die Gründung des Informationsnetzwerks der Homöopathiekritiker zu lesen. Was jetzt davon zu halten ist, dass es ausgerechnet die DAZ erwähnenswert findet, dass es für die Journalisten keine großzügigen Goodies gab, weiß ich auch nicht. Immerhin großartig, an dieser Stelle auf Dubium C30 aufmerksam zu machen. Das kann man nicht oft genug tun: Es enthält nur Zucker (genau wie die allermeisten Homöopathika) und ist kein Arzneimittel (genau wie alle Homöopathika).

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Neugierig macht mich dann aber am Ende des Artikels ein Hinweis des Netzwerkinitiators Norbert Aust: „Außerdem gäbe es häufig Behauptungen, dass Homöopathie über Quanteneffekte oder Tachyonen wirken würde.“ Das begegnet einem ja immer wieder mal, aber wenn Norbert das an dieser Stelle erwähnent, hat er wahrscheinlich einen aktuellen Anlass. Und in der Tat, auf seinem Beweisaufnahme-Blog muss man nicht lange suchen. In einem Post vom 23.12. kritisiert der Homöopath Prof. Michael Frass, dass Norbert Aust eine seiner Studien kritisiert hat und fabuliert dabei von einer Verschränkung von Patient, Arzt und Medikament. Zum Verständnis des Zitats, in der Studie wurden Patienten mit starken Atemproblemen alternativ mit Homöopathika oder Placebos behandelt, und die Einteilung der Patienten in die beiden Gruppen erfolgte durch einen Arzt (aber laut Studientext zufällig, was auch immer der Arzt dabei getan haben soll…). Mit der Entfernung des Atemschlauchs ist in diesem Fall gemeint, dass es dem Patienten besser geht, also das Ziel der Behandlung (oder Nichtbehandlung) erreicht ist.

[Aust:] Es wird ausgeführt, dass die Bestimmung des Zeitpunkts für die Entfernung des Atemschlauchs durch einen Arzt erfolgte, der ansonsten nicht an der Studie beteiligt war. Die Zuordnung der Patienten zu den Gruppen und die Zuteilung der Arznei bzw. des Placebos erfolgte auch durch einen nicht beteiligten Arzt. Was, wenn diese beiden Personen tatsächlich identisch waren? Namen werden in der Studie nicht genannt, somit ist es durchaus möglich, dass ein ansonsten unbeteiligter Arzt in Kenntnis der Gruppenzuordnung die Zeitpunkte der Extubation bestimmte und damit bewusst oder unbewusst einen Einfluss ausgeübt hat

[Frass:]  Da kann ich Sie beruhigen: der/die zuordnende Arzt/Ärztin waren nicht identisch. Manche KollegInnen verzichten auf Namensnennung, ganz einfach, weil sie nicht in einen Strudel der oft sehr heftig geführten Homöopathiediskussion gezogen werden wollen. Würde man Ihren Gedanken aufnehmen, so befände man sich unweigerlich auf dem Terrain der Quantenphysik und dem Thema Verschränkung zwischen Patient, Arzt und Medikament. Wollten Sie dorthin?

Zunächst mal ist es natürlich erschreckend, dass jemand, der „wissenschaftliche“ Studien über Homöopathie publiziert, außer angeblichen Quanteneffekten kein Problem dabei sähe, wenn der selbe Arzt, der vorher festgelegt hat, welcher Patient zur Placebogruppe gehört, hinterher entschiede, wann bei welchem Patienten eine Besserung eingetreten ist. Wenn man selbst Doppelblindstudien veröffentlicht, sollte man eigentlich auch verstanden haben, warum man das tut.

Recht geschickt stellt Frass es selbst ein wenig so hin, als käme der Gedanke mit der Verschränkung nicht von ihm, aber vom grundsoliden Diplomingenieur Norbert Aust kommt er ja definitiv nicht. Der Dachverband österreichischer Ärztinnen und Ärzte für Ganzheitsmedizin, dessen Präsident Frass ist, hat auch kein Problem damit, offizielle Fortbildungspunkte dafür zu vergeben, dass sich Ärzte Vorträge wie diese anhören:

  • Biophysikalische Informationstherapie und Schmerz. Schmerz als Ursache gestörten Informationstransfers. Die Biophysikalische Informationstherapie (BIT) stellt ein dem aktuellen Wissensstand der Bio- und Quantenphysik adäquates ganzheitliches Therapieverfahren dar. […]
  • „Vierpoliges Ordnungssystem“ – Der Mensch als offenes, nichtlineares System im Wechselwirkungsbereich von Separation und Integration. Burkhard Heim hat zusammen mit Walter Dröscher die „Erweiterte Allgemeine Quantenfeldtheorie“ entwickelt. B. Heim ging von einem zwölfdimensionalen Weltbild aus, das sich aus 3×4 Di-
    mensionen zusammensetzt. […]

Auf „Biophysikalische Informationstherapie“ und die Quantenfeldtheorie von Burkhard Heim wird sicherlich an anderer Stelle noch einmal einzugehen sein. Was hat es aber mit der angeblichen Verschränkung von Patient, Arzt und Medikament auf sich?

Verschränkung bezeichnet in der Physik einen Vorgang, bei dem zwei oder mehr Teilchen, die eine quantenmechanische Wechselwirkung eingegangen sind, in der Folge für eine gewisse Zeit einen gemeinsamen Zustand bilden. Sie sind also nicht wirklich zwei unabhängige Teilchen, sondern eigentlich ein komplexes Ganzes, auch wenn sie sich inzwischen voneinander entfernt haben. Für kleinste Teilchen ist das eigentlich völlig alltäglich. Solche Interaktionen und ihre Nachwirkungen passieren in der Quantenwelt ständig, und ihre Summe über viele Teilchen ergibt ganz einfach das, was wir als Chemie kennen.

Beachtenswert wird das Ganze eigentlich nur, wenn man unter relativ künstlichen Bedingungen solche Teilchen nach der Wechselwirkung von der Außenwelt abschirmt und die so im Labor isolierte Zweier- oder Dreierverschränkung systematisch beobachtet. Was man dann einem Teilchen antut, wirkt sich auf beide aus. Das Antun beschränkt sich allerdings in der Praxis meist auf das Durchfliegen eines Magnetsfelds, denn sobald eines der Teilchen in eine direkte Wechselwirkung mit irgendwelchen anderen Teilchen tritt, müssten auch diese Teil dieses gemeinsamen Zustands werden, womit dann alle äußeren Einflüsse auf alle diese Teilchen zusammenkommen. Das Ergebnis dieses Zusammenkommens ist einfach: Der nur bei isolierter Betrachtung besondere Zusammenhang zwischen den ursprünglichen beiden Teilchen wird durch die Vielzahl anderer Effekte überlagert und wird damit bedeutungslos. Die isolierte Betrachtung der beiden Teilchen ist gar nicht mehr möglich. Die Bezeichnung für diesen Vorgang ist Dekohärenz, und das Ergebnis dieser Dekohärenz ist, dass sich die Welt in der Größenordnung von Patienten, Ärzten und Medikamenten genau so verhält, wie es die klassische Physik beschreibt. Sobald Dekohärenz auftritt, verschwinden alle Effekte der Verschränkung.

Wann tritt aber nun diese Dekohärenz auf? Einzelne Photonen, also Lichtteilchen, können in solchen verschränkten Zuständen sogar in der Atmosphäre mehrere hundert Kilometer zurücklegen, was der Presse gerne effekthaschend als „Quantenteleportation“ verkauft wird. Das ist aber eigentlich nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt, dass Licht sich ja gerade dadurch auszeichnet, dass es die Luft durchdringen kann, ohne unterwegs irgendwelche Wechselwirkungen einzugehen. Aus dem All könnten uns im Prinzip verschränkte Photonen von Sternen aus Lichtjahren Entfernung erreichen.

Patienten, Ärzte und Medikamente bestehen aber nicht in erster Linie aus Licht, sondern aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Die können über Licht wechselwirken, aber Informationsübertragung zwischen Menschen über Licht kennen wir schon. Dafür haben wir Augen, die zwar möglicherweise selbst höchst spannende Quanteneffekte enthalten aber eben nichts mit Homöopathie oder anderem Hokuspokus zu tun haben.

Nehmen wir einmal den noch allereinfachsten denkbaren Fall an, wie irgendetwas im Patienten mit irgendetwas im Arzt verschränkt sein könnte: Den Fall eines Elektrons. Wir behaupten also, im Körper des Arztes entstünde ein verschränkter Zustand von zwei Elektronen, von denen eins beim Arzt verbleiben, das andere irgendwie, zum Beispiel über das Medikament, den Patienten erreichen soll. Soll das Elektron durch die Luft fliegen, dann tritt Dekohärenz im Durchschnitt nach einem Millionstel einer Millionstel Sekunde ein. In dieser Zeit kann das Elektron maximal einige Zehntelmillimeter zurücklegen. Muss es unterwegs Haut, Kleidung, die Hilfsstoffe des Medikaments oder irgendwelches anderes Material durchdringen, dann verringert sich die mögliche Weglänge bis zur Dekohärenz grob um einen Faktor 1000. Eine sinnvolle Information zu übertragen, würde aber weitaus mehr als ein Elektron erfordern. Eine solche Informationsübertragung würde aber immer noch nicht bedeuten, dass Arzt und Patient in irgendeiner sinnvollen Form verschränkt wären, denn sowohl der Arzt als auch der Patient sind in sich vollkommen dekohärent. Eine bedeutungshaltige Verschränkung einzelner Teilchen gibt es zwar offenbar auch in biologischen Systemen, aber dort eben nur innerhalb einzelner, speziell dafür optimierter Großmoleküle.

Natürlich ist im Menschen alles irgendwie mit allem verbunden. Quantenmechanisch kann man das theoretisch auch als Verschränkung bezeichnen. Das ist ja eben das Wesen von Dekohärenz, dass der Zusammenhang von zwei Teilchen, den man ursprünglich beobachten will, durch immer mehr Verschränkung mit immer mehr Störfaktoren überlagert wird. Aber in der Summe über den ganzen Körper werden diese ganzen Verschränkungen eben wieder einfach zur klassischen Physik und Chemie.

Dekohärent ist damit leider auch das Geschwafel von Verschränkung in der Homöopathie. Wenn ich Norbert Austs Blog lese, fällt mir auf, er bleibt in seinen Formulierungen, jedenfalls für meine Verhältnisse, immer ausgesucht höflich. Wenn man sich mit solchem Unsinn auseinandersetzen muss, finde ich das bewundernswert.