Ganz kurz: Quantenquark zweimal geslamt

Da ich voraussichtlich noch bis zum Sommer eher selten zu längeren Beiträgen kommen werde, an dieser Stelle erst mal zwei Terminhinweise für Kurzentschlossene aus Mittelfranken oder dem Großraum Berlin (und natürlich für die Teilnehmer der Frühjahrstagungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft DPG).

Ich werde Quantenquark mal wieder als kleines Worst-Of im Science-Slam-Format (auf 10 Minuten komprimiert, pointiert, etwas anzüglich und dem Format geschuldet zwangsläufig ein bisschen albern) präsentieren, und zwar in diesem Frühjahr gleich zweimal kurz hintereinander. Veranstalter der Einstein-Slams ist wieder die junge DPG.

Erlangen: Dienstag, 6. März, 20 Uhr, Audimax der Friedrich-Alexander-Universität, Bismarckstraße 1

 

Berlin: Montag, 12. März, 20 Uhr, Urania, An der Urania 17, ein paar Schritte von der U-Bahn-Station Wittenbergplatz.

Damit bin ich also dieses Mal gleich auf zwei der vier DPG-Frühjahrstagungen vertreten – und natürlich treffen sich gerade die drei Fachgruppen, an denen ich aus früherer oder aktueller Tätigkeit interessiert bin (Hadronen und Kerne, Teilchenphysik sowie Industrie und Wirtschaft), auf den beiden anderen Konferenzen.

Inhaltlich verrate ich wohl nicht zu viel, wenn ich schon mal ankündige, dass in meinem Vortrag Walter Thurner wieder seinen Verstand ausschalten darf, und auch die „Unternehmensphysiker“ sind einfach zu schön, um sie wegzulassen. Ich habe aber auch ein paar schöne neue Fundstücke dabei.

Nachdem ich bis jetzt bei den Einstein Slams in Dresden Erster und in Münster Letzter geworden bin, bin ich schon sehr gespannt, was das Publikum in Erlangen und Berlin zum Quantenquark sagt…

Missverquanten (1): Der Beobachtereffekt

„Die moderne Quantenphysik zeigt uns unabweisbar, dass bereits das
bloße Beobachten eines Vorganges, bereits dessen Verlauf verändert,“ schreibt die Hebamme Kiria Vandekamp. „Deshalb sollte eine Frau auch keine Personen während der Geburt um sich haben, die nicht daran glauben, dass sie natürlich und lustvoll gebären kann.“

Eine solche Behauptung ist nicht nur eine Zumutung für all jene Frauen, für die eine Geburt in erster Linie mit kaum erträglichen Schmerzen verbunden ist. Ein ungutes Gefühl im Bauch bekommt man schon, wenn man mit solchen Erklärungen konfrontiert ist und wenigstens ein vages Verständnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge hat. Irgendetwas kann da ja nicht stimmen – aber was? Einen Beobachtereffekt gibt es in der Quantenphysik doch tatsächlich.

Bislang habe ich mir hier im Blog kaum Platz gelassen, solche Begriffe wirklich zu erklären. Überwiegend sind die Artikel hier eher längere Zusammenstellungen von besonders haarsträubenden Beispielen dieser Art von Quantenunsinn, wobei ich üblicherweise nur in kurzen Anmerkungen darauf eingehe, was wirklich hinter den jeweils missverstandenen oder missbrauchten Begriffen steckt. Dafür verweise ich naheliegenderweise gerne auf das Quantenquark-Buch, in dem ich mehr Platz habe, derlei Zusammenhänge zu erläutern, oder ich verlinke ausführlichere Artikel reiner Physik-Blogger, zum Beispiel im großartigen Hier wohnen Drachen von Martin Bäker. Dort sind die Darstellungen oft detaillierter als hier, und Martin Bäker ist eben auch ein richtig solider theoretischer Physiker. Sie erfordern aber mitunter schon gewisse Vorkenntnisse, und auch bei den Drachen findet sich nicht unbedingt immer ein geeigneter, allgemeinverständlicher Artikel zu genau dem gesuchten Thema. Schließlich könnte es hier ja auch tatsächlich Blogleser geben, die sich unverschämterweise nicht mein Buch kaufen wollen… Kurz, wenn ich hier schnell irgendwo auf Erklärungen zu regelmäßig wiederkehrenden Stichworten wie „Beobachtereffekt“, „Verschränkung“, „Welle-Teilchen-Dualismus“ oder ähnlichem verweisen will, finde ich hier zwar Artikel, in denen diese Effekte vorkommen, aber kaum eine grundsätzliche, systematische Erklärung, und die, die sich außerhalb finden, sind nicht unbedingt immer so, wie ich sie schreiben würde.

Ich möchte also in nächster Zeit in loser Folge immer mal auf eins dieser Stichworte etwas genauer eingehen, allein schon, damit ich in Zukunft selbst einfach darauf verlinken kann. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen ja auch in der nächsten Facebook-Kommentarschlacht. In diesen Artikeln kann ich dann mein Lästermaul nicht ganz so ausgiebig auf schlechte Beispiele loslassen, aber keine Sorge, das kommt auch wieder. Ich habe ja auch diesen Artikel erst mal mit einem besonders unappetitlichen Quarkstückchen angefangen, und es werden auch noch ein paar am Ende kommen.

Jetzt aber: Was ist nun eigentlich der Beobachtereffekt?

Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass sich die Quantenmechanik eben nicht wie die klassische Physik mit den Objekten unseres Alltags beschäftigt. Die kann man zwar theoretisch auch quantenmechanisch modellieren, aber das wird beliebig kompliziert, und man käme am Ende zum exakt gleichen Ergebnis wie mit der viel einfacheren klassischen Beschreibung. Gebraucht wird die Quantenmechanik, wenn man es mit einzelnen Elementarteilchen oder relativ kleinen Systemen solcher Teilchen bis maximal ungefähr zur Größe etwa eines Moleküls zu tun hat. Am Rande bemerkt, so ein Molekül ist schon verdammt klein, auch wenn man einige Riesenmoleküle, zum Beispiel die Chromosomen unseres Erbguts, immerhin schon mit einem guten Lichtmikroskop sehen kann.

Will man eine Eigenschaft eines solchen Teilchens messen, selbst eine ganz grundlegende Eigenschaft wie seinen Ort, dann ist das nicht so einfach wie bei einem Alltagsobjekt, das man sehen kann. Bei dem wäre der Fall relativ einfach, wie hier bei einem Objekt skizziert, das uns relativ vertraut sein dürfte:

Man sieht den Ball, also kann man ihn spielen. Ein kleinstes Teilchen, sagen wir zum Beispiel ein Elektron, kann man aber nicht sehen. Um seinen Ort bestimmen zu können, braucht man also ein Messgerät. Auch dieses Messgerät muss aber irgendwie an die Information kommen, wo sich das Elektron befindet. Um diese Information vom Quantenphysik-kleinen Elektron zum alltagsgroßen Messgerät zu bringen, braucht man aber eine Wechselwirkung. In einer ganz traditionellen Formulierung der klassischen Physik, die jeder in der Schule mal kennengelernt haben sollte, würde man sagen, es muss eine Kraft wirken. Und woran man sich auch aus der Schule erinnern sollte: Wo eine Kraft wirkt, gibt es auch eine Gegenkraft. Das gleiche gilt für quantenmechanische Wechselwirkungen: In einer Wechselwirkung beeinflussen sich Teilchen gegenseitig.

Wenn das Elektron aber nicht gerade direkt in den Detektor fliegt, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Die Information muss dann ja noch vom Elektron zum Detektor über eine gewisse Strecke transportiert werden. Das erreicht man normalerweise, indem man ein weiteres Teilchen vom zu messenden Elektron abprallen lässt („streut“, wie man in der Physik sagt). Dafür eignet sich in diesem Fall zum Beispiel ein Lichtteilchen, ein Photon. Das Photon macht eine Wechselwirkung mit dem Elektron, fliegt von dort aus zum Messgerät und macht dort eine Wechselwirkung mit dem Detektormaterial, die das Messgerät registrieren kann. Aus der Richtung des ankommenden Photons kann das Messgerät dann erkennen, in welcher Richtung sich das Elektron befinden.

Das ist soweit fast richtig, aber nur fast, denn die Information, die das Photon zum Messgerät trägt, ist nicht, wo sich das Elektron jetzt befindet, sondern, wo sich das Elektron befand, bevor es die Wechselwirkung mit dem Photon hatte. Durch die Wechselwirkung mit dem Photon hat das Elektron aber einen Impuls übertragen bekommen. Es ist also nicht mehr da, wo es eben war, und bewegt sich auch nicht mehr in gleicher Weise.

 

Fliegt das Elektron selbst direkt ins Messgerät, dann braucht man das Photon nicht zur Informationsübertragung. Dafür gibt es aber eine Wechselwirkung des Elektrons selbst mit dem Detektormaterial, die ebenfalls dazu führt, dass die Bewegung des Elektrons verändert wird. In den meisten Fällen wird das Elektron von den Atomen des Detektormaterials schlicht verschluckt. So oder so können wir keine Messung des Elektrons durchführen, ohne es dabei zu verändern.

Das und nichts weiter ist der quantenmechanische Beobachtereffekt. Man kann kein Teilchen und letztlich überhaupt keinen quantenmechanischen Zustand messen, ohne diesen Zustand dabei zu verändern, einfach weil man dafür eine Wechselwirkung mit dem Messgerät, also einem Teil der Außenwelt braucht. Klingt nicht sonderlich geheimnisvoll, oder? In Verbindung mit anderen Aspekten der Quantenmechanik, insbesondere dem Welle-Teilchen-Dualismus, kann eine solche Wechselwirkung mit der Außenwelt allerdings interessante Folgen haben. Der Welle-Teilchen-Dualismus wird uns aber noch in einer späteren Folge dieser kleinen Reihe beschäftigen.

Damit stellt sich jetzt aber die Frage: Wenn der Beobachtereffekt bei kleinsten Teilchen auftritt, aber alle großen Objekte aus solchen Teilchen bestehen, warum tritt der Beobachtereffekt dann zum Beispiel nicht beim Fußball auf? Warum müsen wir den Fußball nicht verändern, wenn wir seinen Ort messen wollen? Nun, genau betrachtet verändern wir ihn tatsächlich – wir merken es nur nicht, und es ist uns auch egal. Wie wir ein Photon am Elektron streuen müssen, um seinen Ort zu bestimmen, können wir auch den Ort des Fußballs nur dann berührungsfrei erkennen, wenn Licht auf ihn fällt. Wie das Photon auf das Elektron, übertragen auch die unzähligen Photonen des Lichts einen Impuls auf die Elektronen in den Atomhüllen des Fußballs. Im Verhältnis zur Größe des Fußballs und zu den vielen Reibungswiderständen verändert dieser Impulsübertrag den Fußball aber nicht erkennbar – allerhöchstens wird er von der Sonneneinstrahlung etwas erwärmt. Dieser minimale „Beobachtereffekt“ spielt bei der Größe des Balls schlicht keine Rolle.

An diesem extremen Beispiel wird aber auch deutlich, dass der Beobachtereffekt nichts, absolut gar nichts, mit dem eigentlichen Akt des Beobachtens, der Person oder gar dem Bewusstsein des Beobachters zu tun hat. Er entsteht einfach nur dadurch, dass man eine Wechselwirkung mit der Außenwelt braucht, um überhaupt etwas beobachten zu können.

Warum spricht man dann aber überhaupt vom Beobachtereffekt und nicht zum Beispiel vom Wechselwirkungs- oder vom Außenwelteffekt? Der Grund ist wie bei vielen missverständlichen Formulierungen der Quantenphysik schlichtweg historisch. Der Begriff des Beobachtereffekts stammt aus der Zeit vor rund 90 Jahren, als Theoretiker wie Bohr, Schrödinger und Heisenberg die Grundzüge der heutigen Quantenmechanik erstmals formuliert haben. Viele Aspekte der Quantenmechanik, die für heutige Physiker alltäglich und einigermaßen banal erscheinen, zeichneten sich damals erst vage ab, und man musste sich daraus irgendwie einen Sinn zusammenreimen. Gerade die Überlegungen von Werner Heisenberg waren dabei zwar oft bahnbrechend kreativ, seine Formulierungen zeichneten sich aber nicht unbedingt immer durch sachliche Nüchternheit aus. Zu allem Überfluss konnte man sich damals eine Messung kaum ohne einen menschlichen Beobachter vorstellen. Es lag also durchaus nahe, zunächst einmal von einem Beobachtereffekt zu sprechen und zumindest als Gedankenspiel in Erwägung zu ziehen, dass er auch mit dem Beobachter zu tun haben könnte. In diesem historischen Kontext entstand auch die schon damals durchaus polemische und bewusst absurd formulierte Frage von Albert Einstein: „Existiert der Mond auch dann, wenn keiner hinsieht?“ Aus heutiger Sicht können solche Diskussionen nur entstehen, wenn man versucht, quantenmechanische Effekte mit den denkbar ungeeigneten Begriffen unseres Alltags zu beschreiben. Die Vorstellung, was Quantenmechanik eigentlich ist und was sie bedeteutet, war in den 1920er Jahren jedoch erst am Entstehen.

Bei den meisten Messungen, die heute in der Physik stattfinden, gibt es aber überhaupt keinen menschlichen Beobachter. In den Experimenten des Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf passieren im normalen Betrieb 31,6 Millionen mal pro Sekunde jeweils rund 20 Teilchenkollisionen gleichzeitig. In jeder dieser Kollisionen entstehen mehrere, oft Dutzende, messbare Teilchen. Deren Effekte werden in Messungen auf Tausenden von Kanälen gleichzeitig registriert. Diese Unzahl von Messungen kann buchstäblich kein Mensch auswerten. Tatsächlich könnten auch die leistungsstärksten Computer nicht alle diese Messungen auswerten, und es ist nicht einmal möglich, die Messergebnisse in dieser Geschwindigkeit aufzuzeichnen. Stattdessen sortieren schnelle, fest eingebaute elektronische Schaltungen in mehreren, zunehmend komplexen Stufen aus, welche Kollisionen möglicherweise interessante Ergebnisse enthalten und somit an die nächste Stufe weitergegeben werden können. Der Rest geht unmittelbar nach der Messung wieder verloren. Nur ein winziger Bruchteil der gemessenen Kollisionen wird schließlich auf Datenträgern gespeichert um dann eventuell irgendwann später von einem Computerprogramm ausgewertet zu werden, dessen über Hunderttausende von Kollisionen aufsummierte Ergebnisse sich dann irgendwann ein menschliches Wesen ansieht. Dennoch tritt natürlich bei jedem in einer solchen Kollision produzierten Teilchen, das mit dem Detektor oder irgendeinem anderen Teil der Außenwelt wechselwirkt, ein Beobachtereffekt auf – selbst wenn die Information darüber nie einen Beobachter erreichen wird.

Kurz gefasst ist der quantenmechanische Beobachtereffekt also ein ziemlich banaler Effekt mit einem ziemlich unglücklichen Namen. Wie unglücklich der Name ist, zeigt sich, wenn man sieht, was in der Esoterik- und Alternativmedizinszene so in ihn hineinphantasiert wird.

Mein Lieblingsbeispiel zum Beobachtereffekt bleibt der Ingenieur und Quantentherapie-Höker Walter Thurner, über den ich hier schon einen ganz eigenen Artikel verfasst habe. Aus dem Beobachtereffekt zur folgenden Aussage zu kommen, erfordert schon wirklich bemerkenswerte… nennen wir es gedankliche Flexibilität: „Die Quanten sind sehr extreme Wesenheiten, wenn die wissen, bei einem Versuch, […] dass ich hinschau und bringen andere Ergebnisse als wenn ich wegschau. […] Das müssen Wesenheiten sein; die müssen ein Bewusstsein haben.“ Die besten Stellen kommen im folgenden Video ab Minute 3:45:

Nicht ganz so witzig, aber wesentlich gefährlicher wird es, wenn der der Beobachtereffekt missbraucht wird, um Menschen abstrusen Wunsch-Bullshit nach dem Vorbild von The Secret oder Bestellungen beim Universum zu verkaufen.

Hierzu wird typischerweise behauptet, der Beobachtereffekt (oder einfach „die Quantenphysik“) beweise, bei einem Ereignis mit mehreren denkbaren Ausgängen könne der Beobachter entscheiden, welcher der möglichen Endzustände eintritt. Tatsächlich besagt die Quantenmechanik aber das exakte Gegenteil davon: Wenn ein Quantenzustand mehrere denkbare Messergebnisse mit jeweils durch den Quantenzustand festgelegten Wahrscheinlichkeiten hat, dann ist das tatsächliche Messergebnis im Rahmen dieser Wahrscheinlichkeiten absolut zufällig und durch nichts mehr zu beeinflussen.

Das können wir uns wieder an unserem Beispiel mit dem Elektron, dem Photon und dem Messgerät verdeutlichen, und dazu müssen wir noch nicht mal in die richtige Quantenmechanik mit Wellenfunktionen, Wirkungsquerschnitten und anderen Komplikationen einsteigen. Das kommt in der nächsten Folge der kleinen Artikelserie (hoffentlich bald), mit dem Welle-Teilchen-Dualismus, der noch viel mehr Zufälle in unsere Messergebnisse bringt. Für den Moment genügt es uns, nach den Grundannahmen, die auch die Quantenmechanik macht, so zu tun, als wären alle betrachteten Teilchen einfach nur Teilchen – eine quasiklassische Betrachtung, wie man in der Physik sagt, etwa auf dem Niveau der entstehenden Quantenmechanik vor rund 100 Jahren. Wir nehmen dazu noch vereinfachend an, dass das Elektron am Anfang stillsteht, was einigermaßen unrealistisch ist, aber nichts Grundlegendes verändert. Nach den Behauptungen der Wunschdenker sollte der Beobachter (genau genommen sein Bewusstsein, ohne dass er dafür etwas physisch tun muss) bestimmen können, wohin das Elektron bei der Streuung des Photons „zurückprallt“. Das Problem dabei ist, obwohl das Photon und das Elektron mit einer endlichen Wahrscheinlichkeit wechselwirken (also „zusammenprallen“) sind beide Teilchen punktförmig. Ihre Ausdehnung ist null – das weiß man aus genau solchen Streuversuchen. Das bedeutet, dass ich, egal wie genau ich mit dem Photon zielen wollte, nicht wie bei einer Billardkugel eine bestimmte Stelle am Elektron treffen könnte, weil das Elektron ja nur aus einer Stelle besteht. Die Richtung, in der das Elektron zurückprallt, entspricht also der Richtung, in der ursprünglich das Photon geflogen ist, plus oder minus eines bestimmten Winkels (der natürlich mit dem Winkel zusammenhängt, in dem das Photon zurückgestreut wird), und weil beide Teilchen punktförmig sind und man also nicht auf einen Punkt innerhalb des Elektrons zielen kann, ist dieser Winkel (also auch der Winkel des Photons) im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung absolut zufällig. Wie gesagt, wenn man das Gleiche korrekterweise mit Wirkungsquerschnitten zwischen Wellenfunktionen rechnet, wird es nur noch zufälliger. Und es gibt vor allem nichts, absolut nichts, was man tun könnte, um diesen Zufall zu überlisten.

Eigentlich sollte sich der ganze Wunsch-Bullshit an dieser Stelle in Luft aufgelöst haben, aber leider wird er regelmäßig verbreitet, und zwar immer wieder unter Berufung auf den Beobachtereffekt. Bei Rolf Froböse ist das die zentrale Aussage eines ganzen Buchs. Ein richtig bizarres Beispiel von Angelika Schlinger, die auch die Gifte aus Chemtrails detoxed und Quantenphysik cool findet, aber nichts davon verstanden hat, hatte ich im Februar schon mal angeführt. Sandra Weber, die eine „Praxis für Gesundheit und Glück“ nebst entsprechender Heilerschule am Bodensee betreibt, behauptet aufgrund eben dieses falsch vestandenen Beobachtereffekts „Wir sind die Erschaffer unseres Lebens“. Nun bin ich wirklich der Letzte, der Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Leben absprechen würde, und Dinge wie wirtschaftlicher Erfolg werden neben unseren ererbten Voraussetzungen und viel ganz gewöhnlichem Glück natürlich auch maßgeblich von unseren eigenen Entscheidungen und unserem Einsatz bestimmt. Ich könnte auch um neue Kunden werben und Geld verdienen, anstatt diesen Artikel zu schreiben. Der ist mir aber im Moment gerade wichtiger. Mancher hat sicher auch seine Leber kaputtgesoffen oder ist bewusst ein Lungenkrebsrisiko eingegangen. Am Ende ist aber Leben immer lebensgefährlich, und wer gesund stirbt, hat meistens nicht lange gelebt. Schwer kranken Menschen mit einer solchen Wunschdenkensideologie auch noch die Schuld an ihrem Schicksal zuzuschieben, ist daher in einer so erschreckenden Weise menschenverachtend, dass mir gerade schon wieder sehr bewusst wird, warum mir dieser Artikel wichtig ist. Frau Weber begründet mit ihrem falschen Beobachtereffekt jedenfalls ihre „mentalen Heilmethoden“, mit denen sie laut Homepage unter anderem Wirbelsäulenprobleme, Allergien, nicht näher bezeichnete „chronische Krankheiten“, Süchte und Depressionen behandelt. Immerhin keinen Krebs, möchte man erleichtert sagen, wenn man weiß, was Geistheiler sonst so auf der Pfanne haben, wobei natürlich auch Süchte und Depressionen bei falscher oder „mentaler“ (= im Zweifelsfall keiner) Behandlung vermeidbar tödlich enden können.

Wer starke Nerven hat oder für heute keine Pläne mehr hat und nicht zu Schlafstörungen neigt (ich meine das ernst, der Artikel ist krass),  kann sich hier eine Recherche von Correctiv zur „Behandlung“ einer Geistheilerin bei einer Krebskranken durchlesen. Zur Richtigkeit der darin genannten Sachverhalte kann ich nichts sagen – ich weiß nur, dass der Artikel seit über einer Woche online ist, und es scheint noch niemand erfolgreich dagegen vorgegangen zu sein. Die darin vorkommende Geistheilerin scheint sich nicht ausdrücklich auf Quantenquark zu berufen, aber immerhin war sie noch 2015 Vorsitzende des „Dachverbands geistiges Heilen“, dem zumindest mehrere Schüler von Sandra Weber angehören. Auf dem Kongress dieses Verbandes eben im Jahr 2015 ging es unter anderem um: „Hirnforschung, Quantenphysik, Arzt-Heiler-Kommunikation, Spontanheilung bei Krebs und zur Frage der Unsterblichkeit der Seele“

Eh isch misch uffreesch, wie man bei uns in Hessen sagt, abschließend noch kurz zur Frage, ob man derlei Verdummbeutelung der Physik nicht schon in der Schule vorbeugen könnte. Ich bilde mir ja ein, ich hätte den Beobachtereffekt – und warum das Leben auch als Quanten-Beobachter kein Wunschkonzert ist – hier in einem überschaubaren (ja, er ist wieder lang…) Artikel halbwegs verständlich erklärt. Das müsste ja eigentlich auch die Schule leisten können, wenigstens in der Oberstufe. Klar, Lehrer haben oft nicht sonderlich viel Quantenphysik gelernt und dann meist auch wenig davon gebraucht. Da würden sie sich sicherlich über eine Handreichung von kompetenten Fachdidaktikern freuen, wie man Quantenmechanik richtig und verständlich vermittelt… vielleicht von einer der angesehensten naturwissenschaftlichen Hochschulen des deutschsprachigen Raums… wie wäre es mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, der berühmten ETH? Dummerweise findet sich gerade dort bei der Fachdidaktik Physik ein Leitprogramm zur Quantenphysik für die Klassen 11 bis 13 mit dem Titel „Es spukt also doch bei den Quanten„. Der Text liest sich in weiten Teilen so, als stamme er von der Seite irgendeines Pseudophysik-Schwurblers, mit einem zumindest missverständlich formulierten Beobachterbegriff: „Der Beobachter „erschafft“ sein eigenes Teilchen. […] Aber vom philosophischen Standpunkt her gesehen haben wir ein unerhörtes Problem. Niemand hat bisher eine brauchbare Lösung gefunden.“ Kein Wort dazu, dass das philosophische Problem nur existiert, wenn man versucht, Quantenobjekte in die unpassenden Kategorien unserer Alltagswelt zu pressen. Kein Wort, dass der angebliche Beobachter mit im Vergleich extrem wenigen Ausnahmen einfach die unbelebte Außenwelt ist – eine Bleiabschirmung, die Laborwand, ein Molekül der Umgebungsluft. Das entscheidende Stichwort, nach dem von dem ganzen philosophischen Problem nur noch Prinzipienreiterei bleibt, nämlich „Dekohärenz“, kommt in dem Text praktischerweise nicht vor. Dafür folgen drei Interpretationsansätze für das vermeintliche philosophische Problem. Nur die dritte davon ist eine der gängigen (wenngleich auch schon reichlich angestaubten und für die reale Welt ziemlich uninteressanten) „Deutungen“ der Quantenmechanik. Als Erstes genannt wird der völlig verstaubte Positivismus, und die zweite „Interpretation“ der Züricher Physikdidaktiker ist purer… Quantenquark.

Da könnt isch misch scho widder uffreesche… Aber zum Glück gibt es auch Andere, die Dekohärenz erklären. Richtig gut sogar. Zum Beispiel gerade erst vor ein paar Wochen Harald Lesch. Wenn der religiös oder ökoromantisch wird, kann ich mich über den zwar auch manchmal aufregen, aber Physik erklären kann er:

Hoffentlich hört sich das jetzt nicht jemand an und missversteht daraus, dass durch die Dekohärenz doch irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Aber wenn ich darüber jetzt nachdenke, reesch isch misch doch widder uff.

 

Quantenquark und braune Sauce

Was hat rechte Esoterik eigentlich mit Quantenquark zu tun? Am Ende des vorletzten Artikels

Zwei Vortragstermine – relativ quantenfrei

hatte ich diese Frage aufgeworfen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass es bei rechter Esoterik eben nicht nur um Vorstellungen von fackeltragenden SS-Männern auf der Wewelsburg oder um Verschwörungstheorien über Hitlers angebliche Geheimwaffen oder Zufluchtsorte in der Antarktis geht. Es gibt auch ganz andere, zunächst völlig unpolitisch daherkommende Formen von Esoterik, die rechtsextreme Propaganda oder Reichsbürger-Ideologie untermauern, verbreiten oder finanzieren. Das wird vor allem im Umfeld der sogenannten alternativen Medien im Internet deutlich, deutlicher vielleicht als in der Offline-Welt, in der Politik eher von klassichen Partei- oder Bürgerinitiativen-Strukturen geprägt ist. Betrachtet man zum Beispiel das Angebot des Sammelportals alternativ.tv, so findet sich dort auf der Titelseite zwar vor allem rechte Politik, aber im Angebot der dort gesammelten Kanäle sind Esoterik und Verschwörungstheorien praktisch allgegenwärtig.

Ja, „alternative Medien“ – können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als man bei dem Wort „alternativ“ noch an langhaarige, Sandalen tragende Linke dachte? Heute hat man es da eher mit langhaarigen Rechten zu tun, die auch noch stolz darauf sind, wenn man ihnen bescheinigt, wenig politische Skrupel zu haben:

Nicht nur Verschwörungstheorien, auch Quantenquark auf rechten Internet-Kanälen gibt es. Damit meine ich jetzt nicht, dass Frank Baars bei bewusst.tv mit dem Reichsbürger-Aktivisten Jo Conrad über „Quantengeheimnisse“ plaudert. Baars versteht unter Quantengeheimnissen nämlich tatsächlich seine Vorstellung, dass man alle möglichen Krankheiten heilen könne, indem man auf seinen Füßen herumdrückt. Diese augenzwinkernde Begriffsverwendung ist mir ja schon fast wieder sympatisch – im Gegensatz zum Rest des Videos und der ganzen Seite.

Ein paar Dinge aus der Richtung hatte hier auch schon einmal angesprochen. Da wäre zum Beispiel quer-denken.tv von Michael Vogt, einem Reichsbürger-Buddy von Jo Conrad, der Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gerne als „Friedensflieger“ bezeichnet. Dort kann unter anderem Walter Thurner seine Quantentherapiegeräte bewerben und behaupten, Elementarteilchen seien Wesen und hätten ein Bewusstsein. Michael Vogts Online-TV-Kanal verlinkt auch zu den diversen Videos mit dem Mediziner Enrico Edinger ein paar… sagen wir… interessante Quantenprodukte. Da wäre zum Beispiel ein Quantenkraftstein, ein etwa handtellergroßes farbiges Objekt aus gepresstem Holz zum Preis von sensationellen 800 Euro. Die ausführliche Produktbeschreibung des Herstellers enthält in einem Absatz so viele bizarre Behauptungen zur Physik, dass ich hier einen eigenen Artikel bräuchte, um auf alle einzugehen. Interessant ist auch ein Gerät, das für 1800 Euro die Quanteninformationen unserer Psyche überschreiben soll – indem man es sich um den Bauch bindet. Solche Produkte sind natürlich per se nicht politisch, aber wenn beim „redaktionellen Inhalt“ so direkt Produktdatenblätter verlinkt werden, dann liegt es nahe, dass der Verkauf der Produkte irgendwie zur Finanzierung des Programms beiträgt. Noch etwas deutlicher wird es, wenn „Matrix Power Quantenheilung“ mit „13-Strang-DNS-Aktivierung“ auf der selben Seite einmal als redaktioneller Inhalt und einmal als Werbebanner auftaucht.

Tatsächlich besteht der größte Teil der Rubrik „Quantenphysik“ auf quer-denken.tv aus Videos, in denen Produkte vorgestellt werden. Zu dem quer-denken-Programm, das offenbar so mitfinanziert wird, gehört dann aber zum Beispiel die Behauptung, die Morde des NSU seien keine Morde des NSU. Daneben werden zum Beispiel der „herrschenden Klasse“ und unserer „Kanzlerdarstellerin“ satanische Rituale unterstellt, und behauptet, die EU sei die Umsetzung eines Plans aus dem Dritten Reich.

Quantenquark dient in diesen Beispielen also ganz offensichtlich zur Finanzierung von Verschwörungstheorien und rechter Propaganda. Das ist aber nicht alles. Quantenquark ist an anderer Stelle auch Teil der Rechtfertigung und Argumentation stark rechtslastiger Vorstellungen, vor allem im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien. Das zeigt sich zum Beispiel auf Secret.tv, einem Internetangebot, das von Jan van Helsing (Jan Udo Holey) gegründet wurde. Van Helsing wurde vor allem durch glorifizierende Verschwörungstheorien um angebliche Wundertechnologien des Dritten Reiches bekannt. Das „Manifest“ von van Helsings Nachfolger beruft sich auf die Quantenphysik für die Behauptung, es gäbe keine physische Realität und Wahrheit sei etwas rein Subjektives. Ob sich so etwas tatsächlich aus der Quantenphysik folgern lässt, ist ein Thema, über das ich auch mal einen Artikel schreiben muss. Hier wird diese Behauptung jedenfalls als Rechtfertigung benutzt, um allerlei Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Auch bei den Verschwörungstheorien rund ums CERN, auf die ich schon mehrfach im Detail eingegangen bin, spielt öfters rechtsextreme Propaganda eine Rolle. Schon da tauchte der Honigmann-Blog auf, der weniger für Honig als für Antisemitismus, Ausländerhass und Verschwörungstheorien bekannt ist. Im Februar soll bei einem Honigmann-Treffen ein mir unbekannter Referent namens Oliver Barth über „Von der Quantenphysik zum Bewußtsein“ sprechen. Der Titel lässt auf Quantenquark vom Feinsten schließen, aber so richtig übel wird es im Umfeld dieses Vortrags. Der Vortrag direkt davor bezeichnet „Masseneinwanderung“, also offenbar die Flüchtlingswelle seit 2015, als „Angriff auf Deutschland“. Am gleichen Tag bekommt dort auch noch das Chemtrail-Schwurbler-Fossil Werner Altnickel das Wort – genau, der aus dem wenig-Skrupel-Tweet oben. Wer Altnickel noch nicht kennt, kann sich in seinem aktuellen Video „Militärische + Wirtschafts- Nachrichten Januar 2017“ ansehen, wie er (ab Minute 16:28) die Europäische Union auf einen Plan zurückführt, Europa zu einer „negroid-asiatischen Mischrasse“ umzuformen, „mit Unterstützungsgeldern übrigens von Rockefeller und Co“. Was der Honigmann höchstpersönlich schon morgens über die aktuelle politische Lage zu berichten hat, will ich dann gar nicht mehr so genau wissen. Wer sich gruseln will, kann sich ja mal die Honigmann-Nachrichten reinziehen.

Auf der Seite „Aufwachen 2014“ verbinden sich Quantenquark und Antisemitismus noch viel direkter. Unter dem Titel „Wacht auf oder geht zugrunde“ fabuliert die russisch-amerikanische Philosophin Irene Caesar über eine Quantensprung-Technologie, die offenbar auf den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik beruhen soll. Mit dieser Quantensprung-Technologie begründet sich unter anderem das bioaktive Wasser zur Behandlung unheilbarer Krankheiten, das man bei Caesars Firma kaufen kann, ebenso wie die Mini-Tesla-Generatoren für 1000 bis 2000 Dollar. Diese sollen nicht, wie der Name vermuten lässt, Energie aus nichts erzeugen, sondern ein Hologramm gesunder Zellen durch den Körper verbreiten. So weit, so Quark. Dazu beschwert sich Caesar aber, dass dieser Quantensprung von den Zionisten sabotiert wird. Diese Zionisten haben für Caesar auch die Ukraine gegründet, wollen den armen, friedfertigen Wladimir Putin eliminieren, und, wie könnte es anders sein, selbst Hitler war für Caesar nur ein Projekt der Zionisten. Und der Gegner der Zionisten ist der Nationalismus. Wenn alle Nationen für sich nationalistisch sind, dann ist an alle Nationen gedacht – das soll mit den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik im Einklang stehen, weil es irgendwie holographisch sei, meint Frau Caesar, die von Hologrammen offensichtlich genauso wenig versteht wie von Quantenphysik. Wenn Sie nicht glauben wollen, dass jemand so etwas tatsächlich sagt oder sie ganz viel Langeweile und schwarzen Humor haben, können Sie sich das Interview auch in zwei Teilen je einer Stunde im Original auf Video ansehen.

Zwischen Quantenquark als reiner Geldquelle für rechte Medien und unmittelbar rassistischem oder antisemitischem Quantenunsinn gibt es allerdings noch diverse Abstufungen. So kann man auch um die Unterdrückung angeblicher „freier Energie für alle Menschen“ durch „die da oben“ eine Verschwörungstheorie stricken, auf der dann andere ihr ideologisches Süppchen kochen können. Über die angebliche Unterdrückung solcher Technologien sprach zum Beispiel der Wolfenbütteler FH-Professor Claus Turtur auf der achten „Antizensurkonferenz“ (AZK) in der Schweiz. Auf derselben Konferenz redete dann auch Sylvia Stolz, die ehemalige Anwältin des Holocaust-Leugners Ernst Zündel, über ein angebliches Verbot, diesen zu verteidigen. Vom damaligen Verfahren war sie unter anderem deshalb ausgeschlossen worden, weil sie eine Beschwerde an das Gericht mit „Heil Hitler“ unterschrieben hatte.  In ihrem Vortrag auf der Antizensurkonferenz  leugnete sie dann selbst den Holocaust, wofür sie einmal wieder zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Ein Video mit dem volksverhetzenden Vortrag von Frau Stolz werde ich hier nicht verlinken, aber der Vortrag von Turtur ist auch aus Quantenquark-Sicht interessant. Er rechtfertigt nämlich seine Behauptung einer angeblich unbegrenzt verfügbaren freien Energie unter anderem mit dem physikalischen Konzept der Vakuumenergie, und auf das bin ich hier noch nie näher eingegangen. Die Vakuumenergie wird daher der abschließende Teil dieser kleinen dreiteiligen Artikelserie werden:

Die Energie von Professor Turturs Vakuum