Kurzes Impfstoff-Update: Keine gute Nachricht aus Tübingen

Die aktuelle Wasserstandsmeldung zur Phase-III-Studie für den mRNA-Impfstoff von CureVac ist auf jeden Fall keine gute Nachricht. Es gibt noch immer kein vollständiges Ergebnis, aber eine geschätzte Wirksamkeit von 47% ist ganz sicher nicht konkurrenzfähig mit den Impfstoffen, die wir heute in Deutschland einsetzen. Das Unternehmen verweist mit einer gewissen Berechtigung darauf, dass die Studie (die zum Teil in Lateinamerika durchgeführt wurde) mit anderen, aggressiveren Virusvarianten zu tun hatte als die Zulassungsstudien früherer Impfstoffe. Ich habe auch immer betont, dass Zahlen zur Wirksamkeit aus unterschiedlichen Studien kaum vergleichbar sind und zwischen BioNTech, Moderna, Janssen und AstraZeneca (AZ) in den Medien gerne Äpfel und Birnen gegenübergestellt werden. Gleichzeitig gilt aber, dass jeder ganz neue Impfstoff gegenüber denen, die schon zigmillionenfach eingesetzt wurden, immer ein zusätzliches Risiko unentdeckter seltener Nebenwirkungen hat. Wer mit einem Arzneimittel für denselben Bedarf später kommt, muss in der Regel in irgendeiner Hinsicht einen deutlichen Zusatznutzen mitbringen, um noch eine Zulassung zu bekommen, und da sind solche Zwischenergebnisse vor allem gegenüber den amerikanischen und europäischen Behörden sicher nicht hilfreich. 
Schlecht ist das vor allem im globalen Maßstab, weil viele Länder außerhalb Europas und Nordamerikas immer noch einen riesigen Bedarf an Impfstoff haben. Bei aller Schwierigkeit, Daten aus unterschiedlichen Studien zu vergleichen: Eine Wirksamkeit von 47% gegen Erkrankungen durch das aktuelle Variantenumfeld in Europa und Lateinamerika ist ähnlich gut, möglicherweise sogar besser als das, was die in vielen Ländern eingesetzten chinesischen Totimpfstoffe bieten. Die lagen schon gegen den ursprünglichen Wildtyp nur in dieser Größenordnung der Wirksamkeit. Ich denke aber nicht, dass CureVac sich ernsthaft mit dem Ruf eines drittklassigen Impfstoffs um eine Zulassung in diesen Ländern bemühen würde, wenn sich die Daten so erhärten und eine Zulassung bei EMA und FDA aussichtslos bleiben dürfte.
Gleichzeitig ist dieser Zwischenstand auch nicht so katastrophal, dass CureVac-Partner wie Bayer jetzt sehr kurzfristig aufgeben und ihre vorgehaltenen Produktionskapazitäten an Pfizer vermieten würden. Das wird uns also global einfach deutlich Zeit kosten.
Für Deutschland sehe ich den Effekt nicht so wahnsinnig dramatisch. Es war schon seit ein paar Wochen absehbar, dass CureVac durch den Rückgang bei den Fallzahlen gerade in Europa nicht genug Erkrankungen in der Studie haben würde, um noch im Juni eine Wirksamkeit belegen und im Juli zu unserer Versorgung beitragen zu können. Damit man zeigen kann, dass Geimpfte weniger erkranken als Placeboteilnehmer, braucht man ja Infektionen – ein Problem, das schon AstraZeneca letzten Sommer in Großbritannien hatte. 
Um mit dem ersten Durchimpfen der impfbereiten Erwachsenen bis September fertig zu sein, brauchen wir die ursprünglich eingeplanten Dosen von CureVac aber auch nicht. Dafür war es eben gut, dass Deutschland und die EU von vornherein auf diverse Hersteller verteilt viel mehr bestellt haben als nötig. Die aktuelle Impfkampagne läuft mit vier Impfstoffen parallel auf Hochtouren, und sie dürfte in der zweiten Junihälfte nochmal an Fahrt aufnehmen.
Eine kleine Delle bei den Lieferungen erwartet uns nochmal im Juli. Bislang wird die Kampagne mit mehr als 70% der insgesamt gelieferten Dosen ganz massiv durch den mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer getragen, auch durch die zusätzlichen Kontingente, die Deutschland als Gegenleistung für die Anschubfinanzierung der Bundesregierung bei BioNTech erhält. Diese Sonderkontingente laufen aber aus – nach 50 Millionen Dosen allein im zweiten Quartal sind von BioNTech/Pfizer nur noch 57 Millionen für den gesamten Rest des Jahres in der Planung. Bis September sollten das die anderen Hersteller aber ausgeglichen haben. Vor allem Moderna hat mit seinem mRNA-Impfstoff zunächst seinen eigenen Geldgeber USA priorisiert. Deutschland hat bislang erst 6 Millionen Dosen von Moderna erhalten, aber bis zum Jahresende sollen noch weitere 72 Millionen Dosen kommen, also deutlich mehr als von BioNTech. Bei diesem relativ teuren Impfstoff dürfte auch der Andrang von Drittländern, die deutschen Kontingente zu übernehmen, überschaubar sein. Bei Janssen mit seiner amerikanischen Muttergesellschaft Johnson & Johnson ergibt sich ein sehr ähnliches Bild. Die Zahlen sind insgesamt nur etwa halb so groß, aber dieser Impfstoff wird ja aktuell als Einzeldosis eingesetzt (wobei ich vermuten würde, dass das die ersten Kandidaten für eine Auffrischung im Herbst sein werden, weil der Impfschutz nach aktueller Datenlage wirklich nicht gleich gut ist wie zwei Dosen der Wettbewerber). Bei AstraZeneca sind die zukünftigen Mengen am unsichersten, weil noch nicht klar ist, wie der Rechtsstreit mit der EU wegen der bisherigen Lieferverzögerungen beigelegt wird. Eigentlich hat Deutschland noch über 40 Millionen Dosen Vaxzevria zu bekommen – aber nach schlechter Presse hält sich das Interesse der deutschen Bevölkerung an diesen Dosen ja bekanntlich sehr in Grenzen, und ein großer Teil davon wird als Hilfe in anderen Ländern dankbar aufgenommen werden. Moderna, Janssen und AZ sind jedenfalls dabei, ihre Lieferungen deutlich zu steigern, werden aber wohl Anfang Juli den Rückgang bei BioNTech/Pfizer noch nicht ganz auffangen können.
So oder so – in zwei bis drei Monaten wird es bei den Erwachsenen nur noch darum gehen, wer sich impfen lassen will. Es bleibt nur zu hoffen, dass dann, mit mehr Daten aus den USA, auch die STIKO bereit ist, ihre Haltung (was man nicht direkt aus Patientendaten ablesen kann, wird immer in Richtung Harmlosigkeit der Krankheit und Gefährlichkeit der Impfung interpretiert) zur Impfung von Jugendlichen zu überdenken, damit wir nicht im Winter eine massive Durchseuchung der Schulen erleben und wieder ständig Schulklassen in Quarantäne haben müssen. Von den Kultusministern darf man hinsichtlich Vorsichtsmaßnahmen ja bekanntlich kein Verantwortungsbewusstsein erwarten.

Noch ein Impfstoff-Update: Nachrichten von AstraZeneca und ein paar Fragezeichen

So, das packe ich jetzt mal in ein neues Update, denn die heutige (naja, jetzt ist es schon nach Mitternacht…) Meldung von AstraZeneca (AZ) enthält ein paar interessante Informationen, bietet Anlass für ein paar wichtige Erklärungen und wirft gleichzeitig ein paar neue Fragen auf.

Ich hatte in mehreren Artikeln erwähnt, dass ich etwas ungeduldig auf erste Ergebnisse aus den Phase-III-Studien von AstraZeneca warte. Der Grund, warum ich diesen Impfstoff so wichtig finde, ist, dass er sehr helfen kann, möglichst schnell möglichst viele Menschen geimpft zu bekommen. Das hat mehrere Gründe, die jeweils für unterschiedliche Gruppen wichtig sind:

  • Der Vektorvirusimpfstoff (zu den Impfstofftypen siehe hier) von AZ ist als fertiges Produkt einem normalen Impfstoff chemisch relativ ähnlich und wesentlich einfacher transport- und lagerfähig als die RNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna, auf die ich hier schon eingegangen war. Je weiter wir uns aus den Hauptmärkten Europa/USA/Japan herausbewegen, desto wichtiger wird das. Der Impfstoff könnte aber auch hierzulande außerhalb von Impfzentren durch die Hausärzte verimpft werden.
  • Da die Art, wie das Immunsystem angeregt wird, eine andere ist (über ein tatsächliches Virus anstatt durch eine größere Menge im Körper aus RNA erzeugter Virusteile) könnte dieser Impfstoff ein anders Wirk- und Nebenwirkungsprofil haben und bei anderen Zielgruppen einsetzbar sein als die einander sehr ähnlichen Impfstoffe von Pfizer und Moderna.
  • AZ hat von allen Herstellern die größte und kurzfristigste Lieferzusage an die EU – und hatte schon vorher im Juni einen Vertrag mit Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden abgeschlossen, von dem nie richtig öffentlich klargestellt wurde, ob der durch den Vertrag mit der EU erloschen ist. Da könnte nach einer Zulassung also relativ schnell eine große Menge Impfstoff in Deutschland bereit stehen. Dass AZ in der Pressemeldung mehrfach darauf verweist, zum Selbstkostenpreis zu liefern, klingt gut, macht aber zu den ebenfalls sehr zurückhaltenden Preisen der anderen Hersteller wenig Unterschied. Niemand, auch nicht die in der Branche als sehr am Ergebnis orientiert bekannte Pfizer, hat ein Interesse, sich aus einer kurzfristigen Machtposition heraus die Taschen voll zu machen, um dann in den nächsten Jahren bei Preisverhandlungen über die ganzen anderen Produkte von der Politik an die Wand genagelt zu werden.
  • Vor allem ist AZ aber wichtig für den Rest der Welt, denn die Masse macht’s: AZ hat seit dem späten Frühjahr ein Netzwerk von Partnern aufgebaut, das schon im August von allen Entwicklungen die größte Produktionskapazität umfasst hat und seitdem auf drei Milliarden Impfdosen (ausreichend je nach Dosierung für 1,5 bis 2 Milliarden Patienten) bis Ende 2021 angewachsen ist. Die AZ-Partner hätten natürlich bei einem Scheitern der Entwicklung auf andere Impfstoffe umstellen können, aber das hätte Zeit gekostet, und das AZ-Bündnis hat offenbar auch schon in relativ großem Umfang vorproduziert.

Es ist also wichtig, dass gerade dieser Impfstoff auch hilft, und jetzt kommt die erste Bestätigung einer tatsächlichen Schutzwirkung am Probanden. Die Zahlen wirken auf den ersten Blick nicht so spektakulär wie bei den Wettbewerbern: Im Durchschnitt 70 Prozent Schutzwirkung sind zwar okay, liegen aber deutlich unter dem Traumwert von 95 Prozent, den wir zuletzt gehört hatten. Außerdem beruhen die Ergebnisse nur auf Daten aus Großbritannien und Brasilien – der US-Teil der Studie fehlt wegen der in meinen vorherigen Artikeln schon erwähnten Verzögerungen noch. Gleichzeitig hatte Europa während eines großen Teils der bisherigen Studiendauer wenig Fälle. Die Ergebnisse beruhen also wohl zu einem großen Teil auf den gerade mal 10.300 Probanden in Brasilien (offenbar alle aus Sao Paulo), von denen, und das ist hier ausnahmsweise mal deutlich nachzulesen, die Hälfte zur Placebogruppe gehört. Auch die Suche nach seltenen Nebenwirkungen ruht bislang nur auf 11.636 Probanden, die über beide Länder den tatsächlichen Impfstoff bekommen haben.  Dass da keine schweren Nebenwirkungen aufgetreten sind, ist aber trotzdem schon mal sehr gut. Zur Erinnerung: Von den 11.636 würden sich ohne Impfstoff fast 9.000 früher oder später infizieren, und geschätzt 50 bis 100 würden daran sterben.

Was mir ein bisschen seltsam vorkommt – wobei man immer sagen muss, ich bin kein Immunologe – ist der in der Pressemitteilung auch dargestellte Vergleich zwischen zwei Teilgruppen der Stichprobe. Der größte Teil der Impfstoff-Probanden hat zwei volle Impfdosen im Abstand von einem Monat bekommen. Eine kleinere Teilstichprobe von 2.741 Probanden hat jedoch bei der ersten Impfung nur eine halbe Dosis bekommen, und bei denen errechnet sich ein Impfschutz von 90 Prozent im Vergleich zu nur 62 Prozent beim Rest der Geimpften (im Durchschnitt ergibt das dann die 70 Prozent). Laut Pressemitteilung ist das alles statistisch signifikant auf einem sehr hohen Niveau – was sich aber vermutlich auf den Vergleich mit der Nullhypothese (Impfung wirkt gar nicht) bezieht. Was mich interessieren würde, ist, wie signifikant der Unterschied zwischen den beiden Teilstichproben ist. Ganz naiv würde man schließlich erwarten, dass unterschiedliche Dosierungen entweder gleich gut wirken oder viel auch viel hilft – eventuell um den Preis von mehr Nebenwirkungen. Ein sich umdrehender Dosis-Wirkungs-Zusammenhang erscheint mir… naja, zumindest klärungsbedürftig. Wenn sich das in den Laborwerten der Probanden bei den früheren Phasen auch schon so abgezeichnet hätte, dann würde das die These, dass das ein echter Effekt ist, natürlich stützen. Noch deutlicher wäre, wenn das im amerikanischen Teil der Phase III auch herauskäme. Bis der da ist, hilft wohl nur Abwarten.

Worauf man wohl ebenfalls noch warten muss, was die AZ-Studien aber mittelfristig liefern sollten, ist eine Antwort auf die elendigliche Frage, ob der Impfstoff jetzt nur vor der Krankheit oder vollständig vor der Infektion (und damit auch der Ansteckung anderer) schützt. Wie ich schon geschrieben hatte, sind 95 Prozent weniger erkannte Infektionen eigentlich nicht dadurch zu erklären, dass ein Impfstoff nur den Ausbruch von Krankheitssymptomen verhindert, aber hier wird man es auch direkt herausfinden. Beim britischen Teil der Phase III werden tatsächlich alle 12.390 dortigen Probanden wöchentlich per Abstich und PCR nachgetestet, um auch symtomlose Infektionen erkennen zu können. Mit der im Lockdown zwar sinkenden, aber immer noch hohen Zahl von Infektionen im Königreich sollten da irgendwann Ergebnisse kommen. Die zweite Möglichkeit, das zu klären, besteht nach dem Abschluss des US-Teils der Phase III: Dort sollen die Probanden nach Studienende auf Antikörper gegen Bestandteile des SARS-CoV-2-Virus getestet werden, die nicht Teil des Impfstoffs sind – eine Möglichkeit, die ich schon einmal erwähnt hatte. Werden die gefunden, muss der Proband infiziert gewesen sein, ob das Virus dabei nachgewiesen wurde oder nicht. AZ geht das Thema also gleich auf zwei Wegen an, wovon der erste auch richtig Geld kosten dürfte. Die Phase-III-Studie von AZ (genau genommen sind es mehrere Einzelstudien) gefällt mir richtig gut – die bisherigen Ergebnisse sind halt eher dünn, weil noch zwei Drittel der geplanten Probanden (die aus den USA) fehlen.

Was mir hier auch gut gefällt, ist die trickreiche Placebokontrolle: Die Patienten bekamen in Großbritannien und Brasilien nicht einfach eine Salzlösung als Placebo, sondern einen schon zugelassenen Impfstoff gegen die von Zecken übertragenen Meningokokken. Der sollte natürlich gegen SARS-CoV-2 genauso wenig nutzen wie Salzlösung, aber er erzeugt die typischen Nebenwirkungen, die man eben von einem Impfstoff erwartet: Rötung, dicken Arm, Müdigkeit, eventuell etwas Fieber. Die Probanden können also nicht an fehlenden Nebenwirkungen erraten, dass sie zur Placebogruppe gehören, was die Verblindung deutlich verbessert. Falls Impfgegner wieder sagen, das sei kein richtiges Placebo – der US-Teil der Phase III nutzt ein klassisches Salzlösungs-Placebo, wie bei Pfizer und Moderna auch.

Was ist also mein Zwischenfazit? Wenn ich mich auf Basis der heute vorliegenden Informationen entscheiden müsste, ob ich mich impfen lasse, würde ich es mit jedem der drei Impfstoffe sofort tun. Wenn ich mir aussuchen dürfte, mit welchem, würde ich nach heutigem Wissen den von Pfizer nehmen – wegen der vielleicht (vielleicht aber auch nicht) tatsächlich besseren Wirksamkeit, wegen der momentan größeren Datenbasis zur Sicherheit und weil ich RNA-Impfstoffe (die im Körper relativ direkt zur Produktion einzelner Virusproteine führen) inhärent minimal sicherer finde als Vektorvirusimpfstoffe (bei denen diese Proteinproduktion durch ein echtes Virus ausgelöst wird, auch wenn das für Menschen völlig ungefährlich sein sollte).

Einstweilen hoffe ich aber, dass wir bei den aktuellen Wirksamkeitsdaten einen brasilianischen Sondereffekt sehen und sich die Wirksamkeiten zwischen den Impfstoffen noch angleichen – und dass wir nicht am Ende darüber diskutieren müssen, wer den guten RNA-Impfstoff bekommt, während sich die Masse mit einem eventuell etwas weniger wirksamen Volksimpfstoff begnügen muss.

Kurzes Impfstoff-Update: Der zweite Kandidat mit guten Zwischenergebnissen

Zuletzt aktualisiert am 20.11.20

Da die Berichterstattung in den gängigen Medien zu den aktuellen Impfstoffentwicklungen mir in vielen Punkten immer noch nicht so richtig gefällt (manches ist sehr lang und schwer verständlich, manches voller Fehler), fasse ich kurz zusammen, was ich an den heutigen Meldungen für wichtig halte:

  • Mit Moderna hat jetzt ein zweites US-Unternehmen Zwischenergebnisse aus einer Phase-III-Studie zu einem SARS-CoV-2-Impfstoff vorgestellt, und auch die zeigen einen Schutz vor Infektionen von irgendwo oberhalb von 90% (die errechnete Zahl von 94,5% aus ganzen 95 Fällen sagt wenig Genaueres aus). Auch hier gibt es natürlich bislang nur eine Pressemitteilung, keine wissenschaftliche Publikation.
  • Es handelt sich ebenfalls um einen RNA-Impfstoff, also sehr ähnlich zu dem von BioNTech und Pfizer. Der Moderna-Impfstoff soll aber länger bei Kühlschranktemperatur lagerfähig sein, was vor allem für weniger entwickelte Länder wichtig sein könnte, und bei uns später, wenn die Impfungen sich von Impfzentren in Hausarztpraxen verlagern. Impfstoffe bis kurz vor dem Verbrauch in flüssigem Stickstoff zu lagern zu müssen, lässt sich über Pharmagroßhandel und Apotheken nur schwer einrichten. Hier hätten die Vektorvirus-Impfstoffe von AstraZeneca und der russischen Gamaleya Vorteile, wenn sich Sicherheit und Wirksamkeit bestätigen, weil die einfach im Kühlschrank, zum Teil sogar als Pulver, monatelang lagerfähig sind. AstraZeneca hat aber nach ein paar Problemen in den Phase-III-Studien (die sehr wahrscheinlich einfach nur Pech waren) einen gewissen zeitlichen Rückstand in der Erprobung. Update 20.11.20: Eine breite Einsatzfähigkeit des russischen Impfstoffs scheint sogar noch in relativ weiter Ferne zu liegen: Nachdem im August PR-trächtig schon Personen geimpft wurden, die gar keine Studienprobanden waren, reicht die aktuelle Produktion offenbar nicht einmal, um die Teilnehmer der Studie zu impfen. Da hilft dann auch eine Vorveröffentlichung nicht, die eine Wirksamkeit von 92% auf Basis von 20 Infektionen errechnet haben will. Aber im
    merhin, irgendeine Schutzwirkung scheint auch dieser Impfstoff zu haben, und tot umgefallen sind die bislang 16.000 Probanden ganz offensichtlich auch nicht.
  • Es handelt sich um eine 1:1 placebokontrollierte Studie mit bis jetzt rund 30.000 Probanden. Es haben also bislang nur rund 15.000 Probanden tatsächlich den Impfstoff bekommen, gebenüber fast 39.000 bei Pfizer. Da auch die 39.000 für die FDA noch zu wenig waren, um seltene Nebenwirkungen auszuschließen, gehe ich davon aus, dass der Zulassungsantrag von Moderna in den USA deutlich später kommen wird als der von Pfizer.
    Update 20.11.20: Pfizer und Biontech haben inzwischen die Zielwerte für den Zulassungsantrag erreicht. Was mich verwirrt, ist allerdings , dass in der Pressemeldung (passend zu letzten) die Rede davon ist, von 43661 Probanden hätten 41135 „eine zweite Dosis des Impfstoffkandidaten bekommen“. Ich weiß nicht, ob hier die Formulierung falsch ist und die Placeboempfänger mitgezählt wurden, die natürlich keinen Impfstoff bekommen haben, oder ob die Placebogruppe bei den 43661 nicht mitgezählt ist. Die Differenz zwischen den beiden Zahlen scheint mir für eine Placebokontrolle jedenfalls sehr klein, und ich vermute, das sind Probanden, die aufgenommen sind, aber (noch) keine zweite Dosis bekommen haben. Kurz gesagt, das weiß ich nicht; das ist aus den bisherigen Veröffentlichungen nicht klar abzulesen. Anhand von inzwischen 170 Fällen berechnet Pfizer die Wirksamkeit genauer und spricht jetzt (wie Moderna) von „95 Prozent“ anstatt von „über 90 Prozent“. Die Wirksamkeit bei der Teilstichprobe der über 65-Jährigen mit 94 Prozent anzugeben, trägt für mich allerdings das Schild „Scheingenauigkeit“ in großen Lettern vor sich her.
    Noch’n Update vom 20.11.20: Gerade geht über den Ticker, dass Pfizer in den USA jetzt offiziell die Notfallzulassung beantragt hat. Okay, ist eine Formalie, aber trotzdem erwähnenswert.
  • In Europa läuft ein studienbegleitender Rolling Review für die Impfstoffe von Pfizer, Moderna und AstraZeneca. Gerüchteweise wird hier mit der ersten Zulassung im Januar gerechnet.
  • Moderna hat gezielt versucht, Risikogruppen als Probanden zu rekrutieren, allerdings niemanden unter 18. Der Impfstoff dürfte also ebenfalls zunächst nur für Erwachsene zugelassen werden. Pfizer testet außerhalb Europas auch an Jugendlichen ab 12 Jahren, hat aber noch keine Ergebnisse dazu vorgelegt.
  • Da die gemeldete Zahl von 94,5% sich laut Pressemitteilung ausdrücklich auf „confirmed cases“, also Infektionen, bezieht und nicht auf Erkrankungen, wie einige deutsche Medien gemeldet haben, erübrigt sich auch die hier zum Teil geführte Diskussion, ob der Impfstoff auch vor weiteren Ansteckungen schützt. Wer sich nicht infiziert, wird sehr wahrscheinlich niemanden anstecken.
    Korrektur 17.11.20: „Confirmed cases“ sind natürlich nur die erkannten Infektionen. Zumindest in der Moderna-Studie werden die Probanden nicht wöchentlich per Abstrich auf Viren getestet, sondern die Überwachung läuft vor allem durch elektronische Symptomtagebücher, regelmäßige Anrufe und nur drei Termine im Studienzentrum über ein Jahr. Die Diagnose läuft dann wie bei jedem anderen auch über einen lokalen Arzt oder ein Covid-Testzentrum. Theoretisch könnte so ein Impfstoff also die confirmed cases auch reduzieren, indem er nicht die Infektion verhindert, sondern nur die Symptome so vollständig unterdrückt, dass sich die geimpften Probanden nie testen lassen. Praktisch kann das in einem modernen Gesundheitssystem aber unmöglich ausreichen, um zu einer Reduzierung der Fälle um 90 oder 95 Prozent zu führen. Infektionen werden ja auch ohne Symptome durch Kontaktverfolgung wenigstens im Familienkreis oder Screeningtests von z.B. Reiserückkehrern entdeckt. Da ein solcher Impfstoff (anders als z.B. ein Totimpfstoff) nur Antikörper gegen einzelne Virusbestandteile verursacht, könnte man solche unerkannten Infektionen auch beim Abschluss der Studie noch nachweisen, indem man auf Antikörper gegen andere Teile des Virus testet, die nicht vom Impfstoff verursacht sein können. Realistisch muss man aufgrund der Daten jedenfalls davon ausgehen, dass die Wirkung des Impfstoffs zumindest zum allergrößten Teil darin besteht, dass tatsächlich Infektionen (und damit dann auch Ansteckungen) verhindert werden, und nicht nur der Ausbruch der Krankheit.
  • Nicht minder sinnlos ist allerdings die Diskussion in der Moderna-Pressemeldung selbst, ob der Impfstoff bei den Wenigen, die sich dennoch infizieren, schwere Verläufe verhindern kann. Der Vergleich von 0 schweren Verläufe unter 5 geimpften Infizierten mit 11 schweren Verläufen unter 90 nicht geimpften Infizierten sagt schlicht gar nichts aus. Es gibt aber finde ich Schlimmeres, als nichts über den Einfluss des Impfstoffs auf schwere Verläufe unter den dennoch Infizierten sagen zu können, weil der Impfstoff so gut ist, dass es kaum Geimpfte gibt, die sich überhaupt infizieren.
  • Moderna ist ein kleines, spezialisiertes Unternehmen, hat aber durch Kooperationen schon im Sommer viel mehr Produktionskapazität (1 Milliarde Impfdosen ausreichend für 500 Millionen Patienten) gemeldet als der Riese Pfizer. Daran ändert auch die neu zugekaufte eigene Kapazität des Pfizer-Partners BioNTech in Marburg wenig. Modernas Kapazitätsvorteil könnte vor allem für Menschen außerhalb der Hauptmärkte USA/EU/Japan wichtig sein. Ich weiß aber nicht, inwieweit diese Produktionspartner bereit sind, vor einer Zulassung schon vorzuproduzieren. Es kann also sein, dass diese Produktion so richtig erst im Frühjahr anläuft. Auffällig ist auch, dass Modernas Lieferant Catalent Produktionsverträge für mehrere konkurrierende Impfstoffentwicklungen hat – die werden vermutlich zumindest zum Teil alternativ eingeplant sein und nicht gleichzeitig. Da die chinesische Sinovac (die mit ihrem altmodischeren Totimpfstoff vor allem Länder außerhalb der Hauptmärkte auf dem Schirm haben dürfte) auch Verzögerungen in den Studien hat, könnte es also tatsächlich sein, dass die USA mit Vorteilen aus dem Rennen um Impfstoffdosen kommt. Update 20.11.20: Der Leser RPGN01 hat freundlicherweise in den Kommentaren darauf hingewiesen, dass die Unterbrechung bei Sinovac wohl nur extrem kurz war, nachdem sich die Todesursache als Suizid herausgestellt hatte.
  • Die EU verhandelt schon seit einigen Wochen mit Moderna, aktuell wohl über 160 Millionen Dosen in 2021, hat aber noch keinen festen Liefervertrag. Für die EU hängt damit immer noch viel an der Zulassung des Vektorvirusimpfstoffs von AstraZeneca oder alternativ wenigstens des Wettbewerbers Janssen. Ohne deren einfache Lagerfähigkeit, riesiges Produktionsnetzwerk und feste Lieferverträge kann 2021 noch ein langes Jahr werden…
  • Update 20.11.20: Inzwischen hat auch AstraZeneca neue Ergebnisse vorgestellt – die sind aber nicht wie bei den anderen Herstellern Vorabdaten der Phase III, sondern fassen die Ergebnisse der Phase II zusammen. Sie stammen nur von 560 Patienten und können daher nur Angaben zur Immunreaktion und zu häufigeren Nebenwirkungen umfassen, nicht zur tatsächlichen Wirksamkeit und seltenen Nebenwirkungen. Beim aktuellen Stand der Entwicklung ist das zwar solide und wichtig, aber irgendwie nicht so richtig sexy. Dass das gerade jetzt kommt, ist auch keine Reaktion auf die Konkurrenz nach dem Motto „Wir haben auch was“ – die Veröffentlichung ist eben jetzt im angesehenen Magazin „Lancet“ erschienen und somit keine Vorabmeldung, sondern tatsächlich eine wissenschaftliche Publikation. Dass die Entwickler des Impfstoffs an der Oxford University von Weihnachten als Termin der ersten Phase-III-Daten sprechen, deutet allerdings doch einen inzwischen deutlichen Rückstand an.

Quantenphysik und Quantenquark bei Scobel

Nur für den Fall, dass jemand Bedenken hat, vor lauter Verschwörungsmythen, rechter Esoterik und Pseudomedizin könnte der eigentliche Quantenquark auf Quantenquark zu kurz kommen: Ich bin natürlich auch noch in Sachen fragwürdiger physikalischer Behauptungen unterwegs.

Voraussichtlich werde ich in einigen Interviewausschnitten am 28.3. ab 21 Uhr im Rahmen der Sendung Scobel auf 3Sat zu sehen sein. Es geht um ganz grundsätzliche Dinge zum Quantenquark: Warum ist Quantenphysik für Esoteriker so attraktiv, kann man das als Laie überhaupt erkennen, und so weiter.

Die Szenen wurden heute gedreht, und ich muss sagen, mir sind in den 20 Jahren skeptischer Aufklärungsarbeit, die ich inzwischen hinter mir habe, noch nie Journalisten begegnet, die auf ein so spezielles Thema so gut vorbereitet waren und sich wirklich in Breite und Tiefe damit beschäftigt hatten. Insofern bin gespannt und freue mich auf das Ergebnis.

Ganz kurz: Quantenquark zweimal geslamt

Da ich voraussichtlich noch bis zum Sommer eher selten zu längeren Beiträgen kommen werde, an dieser Stelle erst mal zwei Terminhinweise für Kurzentschlossene aus Mittelfranken oder dem Großraum Berlin (und natürlich für die Teilnehmer der Frühjahrstagungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft DPG).

Ich werde Quantenquark mal wieder als kleines Worst-Of im Science-Slam-Format (auf 10 Minuten komprimiert, pointiert, etwas anzüglich und dem Format geschuldet zwangsläufig ein bisschen albern) präsentieren, und zwar in diesem Frühjahr gleich zweimal kurz hintereinander. Veranstalter der Einstein-Slams ist wieder die junge DPG.

Erlangen: Dienstag, 6. März, 20 Uhr, Audimax der Friedrich-Alexander-Universität, Bismarckstraße 1

 

Berlin: Montag, 12. März, 20 Uhr, Urania, An der Urania 17, ein paar Schritte von der U-Bahn-Station Wittenbergplatz.

Damit bin ich also dieses Mal gleich auf zwei der vier DPG-Frühjahrstagungen vertreten – und natürlich treffen sich gerade die drei Fachgruppen, an denen ich aus früherer oder aktueller Tätigkeit interessiert bin (Hadronen und Kerne, Teilchenphysik sowie Industrie und Wirtschaft), auf den beiden anderen Konferenzen.

Inhaltlich verrate ich wohl nicht zu viel, wenn ich schon mal ankündige, dass in meinem Vortrag Walter Thurner wieder seinen Verstand ausschalten darf, und auch die „Unternehmensphysiker“ sind einfach zu schön, um sie wegzulassen. Ich habe aber auch ein paar schöne neue Fundstücke dabei.

Nachdem ich bis jetzt bei den Einstein Slams in Dresden Erster und in Münster Letzter geworden bin, bin ich schon sehr gespannt, was das Publikum in Erlangen und Berlin zum Quantenquark sagt…

Quantenquark zum Hören – im Radio, in Köln und in Breslau

Manchmal kann man sich auch als online-grantelnder Quarkkritiker mal einfach freuen. Das habe ich zum Beispiel getan, als ich vorhin darauf hingewiesen wurde, dass das „Relativer Quantenquark“-Buch als Buchtipp in der heutigen Sendung „Wissenschaft im Brennpunkt“ des Deutschlandfunks besprochen wurde. Den Audiostream des Beitrags kann man aktuell hier in der Mediathek anhören. „Ein fundiertes, kritisches und gut geschriebenes Buch, das viele Leser verdient.“ Da kann ich dem Autor des Radiobeitrags, Ralf Krauter, nur für die Blumen danken.

Wer etwas Ausführlicheres über Quantenquark hören möchte, und das auch noch live, dem sei Skeptics in the Pub in Köln am 4.7. empfohlen. Bei den Kölner Skeptikern im Herbrand’s habe ich die Gelegenheit, nicht nur das Absurdeste aus der Welt des Quantenquarks zu präsentieren, sondern auch die Grundideen der modernen Physik, genauer gesagt der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik, kurz darzustellen. Damit sollte ein wenig deutlicher werden, wie man den Unterschied zwischen echter Physik und Quantenquark erkennt.

Der dritte Grund, mich zu freuen und mich in dem Fall wirklich extrem geehrt zu fühlen, ist der European Skeptics‘ Congress vom 22. bis 24. September in Breslau (mit Vorprogramm in Prag am 21.). Es fängt damit an, dass ich an meinem Geburtstag, dem 22., mit Leo Igwe und Sanal Edamaruku zwei Skeptiker wiedersehen werde, die ich unglaublich bewundere, weil sie unter schwierigsten Bedingungen für Wissenschaft und kritisches Denken eingetreten sind und schließlich ihre Heimatländer verlassen  mussten. Leo Igwe wurde 2011 in Nigeria von Polizisten eingesperrt und geschlagen, als er versuchte, ein achtjähriges Mädchen zu retten, das als angebliche Hexe verfolgt worden war. Später im gleichen Jahr zog er mit einem Forschungsstipendium über Hexenglauben in Afrika nach Bamberg. Sanal Edamaruku musste 2012 aus Indien nach Finnland fliehen, weil ihm wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ eine Gefängnisstrafe drohte. Er hatte herausgefunden, dass von einem „weinenden“ Kruzifix in einer katholischen Kirche einfach Wasser aus einem defekten Abwasserrohr heruntertropfe. Mein Geburtstagsgeschenk bekomme ich dann zwei Tage später, wenn ich das Quantenquark-Thema erstmals auf einer internationalen Konferenz vorstellen kann – und zwar in einer Session – und anschließend in einer gemeinsamen Diskussionsrunde – mit drei skeptischen Schwergewichten (das sind alle drei nur im bildlichen Sinne): Der Chefredakteurin des Skeptic Magazine, Deborah Hyde, dem italienischen Journalisten und skeptischen Ermittler Massimo Polidoro und mit James The Amazing Randi, seines Zeichens ehemaliger Star-Magier und heutige Skeptiker-Ikone, portraitiert im preisgekrönten Dokumentarfilm „An Honest Liar“.

Ich weiß noch nicht so recht, was ich bei solchen Diskussionspartnern zum Thema paranormaler Ermittlungen eigentlich beitragen soll, aber erst mal freue ich mir, wie man so schön sagt, ein Loch in den Bauch.