So kurz nach ein paar längeren Artikeln nur ein ganz knapper Hinweis, denn es kommt ja nicht oft vor, dass sich deutsches Staatsfernsehen mit Quantenquark beschäftigt.
Das Team von Report hat nun gemeinsam mit dem Kinderarzt und Allergologen Prof. Walter Dorsch und dem Sportwissenschaftler Daniel Pugge so ein Gerät im Einsatz getestet. Das sind übrigens beide richtig interessante Typen. Dorsch ist als Arzt offenbar im einigermaßen aktiven Unruhestand und nebenbei auch noch künstlerisch unterwegs. Pugge läuft Marathon (in ziemlich extremen 2:45), schreibt Bücher und betreibt einen Videoblog, wo er eine nicht minder extreme ketogene (also besonders fettreiche) Ernährung propagiert. Auf Videotitel wie „Hätte ich DAS gewusst hätte ich nie Hamburger gegessen !“ könnte ich persönlich verzichten, aber anscheinend braucht man das, um in der entsprechenden Zielgruppe von über 16000 Video-Abonnenten wahrgenommen zu werden.
Die Genannten haben also so ein Bioscan-Gerät untersucht. Das Video des Beitrags und einer früheren Sendung, die sich schon mit solchen Geräten beschäftigte, sind auf der BR-Seite zumindest aktuell anzusehen. Bei den Tests des Bioscan-Geräts wurde festgestellt … Trommelwirbel … naja, es funktioniert eben nicht. Laut Pugge, der das schon in drei Videos (123) veröffentlicht und in dem Kontext auch schon das Wort „Betrug“ benutzt hat, überträgt es nicht einmal Daten an den Computer, auf dem die Software aber „Messwerte“ anzeigt. Dementsprechend waren diese Gesundheitswerte dann auch für die Untersuchung an einem Menschen die gleichen wie an einem hoffentlich nicht allzu lebendigen Leberkäse.
„This work reveals some sort of poetic mood and everyone would easily be attracted by it“, beginnt ein (nicht öffentlich freigegebener) Kommentar zu einem meiner letzten Artikel. Unschwer zu erkennen handelt es sich bei dieser englischsprachigen Eloge auf die Poesie in meinem deutschsprachigen Artikel um automatisch generierten Kommentarspam. Das Ziel ist offensichtlich, eine Rückverlinkung und damit ein besseres Google-Ranking für eine vietnamesische Sportwettenseite zu generieren. Es gibt automatische Tools, die solchen Unfug verhindern sollen, und wenn deren Vereinbarkeit mit unserem grandiosen europäischen „Datenschutz“-Recht endgültig geklärt ist, kann ich es mir auch wieder ersparen, das alles manuell auszusortieren. Aber zum Glück bekomme ich ja auch ernsthafte Kommentare – bitte, nutzen Sie die Möglichkeit; dafür ist die Kommentarfunktion unter den Artikeln da!
Im Prinzip war ja schon der „Was-wir-wissen“-Artikel eine Art zusammengefasster Antwort auf Kommentare, die ich teils hier, teils an anderen Stellen zu meinen Beiträgen über Pseudophysiker bekommen habe. In den Kommentaren kommt es gelegentlich vor, dass jemand antirealistische Philosophie oder religiöse Ideologien verbreiten will, über die man nicht sinnbringend diskutieren kann, aber im Allgemeinen ist das Diskussionsniveau bei solchen Themen recht hoch. Versuche, mich zu überzeugen, dass die Arbeit von tausenden theoretischen Physikern über die letzten 40 Jahre grundsätzlich falsch sei, sind einerseits sinnlos, weil niemand etwas davon hat, mich zu überzeugen. Ich bin ja selbst kein theoretischer Physiker und seit Jahren nicht mehr in der Forschung; ich erkläre hier nur. Andererseits tauchen darin immer wieder spannende Fragen auf, bei denen ich selbst etwas lerne. Mit Abstand die meisten echten Kommentare bekomme ich hier aber zu einem Artikel, der nur am Rand mit Physik, vor allem aber mit gefährlicher, unsinniger „Medizin“ zu tun hat, nämlich dem über Karl Probst. Dabei wurde jetzt schon zweimal gemutmaßt, ich würde diesen Probst heimlich beneiden… äh… ich weiß gar nicht, was ich dazu… am besten wohl nichts.
Ich habe es dort bereits in den Kommentaren geschrieben, aber ich gebe auch an dieser Stelle nochmal den Hinweis, dass ich hier keine Kommentare freischalten werde, die selbstschädigendes Verhalten ankündigen oder dazu auffordern, ganz egal, ob es sich um eine direkte Suizidankündigung handeln sollte, um die Aufforderung, giftige Substanzen wie Chlorbleiche oder Terpentin zu sich zu nehmen oder um die Überlegung, lebenswichtige Medikamente wie Insulin abzusetzen.
In den Diskussionen zu Artikeln dieser Art habe ich ein Problem: Ich bin kein Arzt. Das hat nichts mit medizinischem Fachwissen zu tun. Bei den medizinischen Themen, auf die ich hier eingehe, genügen Schulkenntnisse in den Naturwissenschaften in Verbindung mit leicht nachlesbaren Fakten und ein wenig gesundem Menschenverstand, um zu erkennen, dass die „alternativmedizinischen“ Behauptungen, die ich kritisiere, hanebüchener Unsinn sind. Mein Problem ist vielmehr: Von den Menschen, die auf derlei Pseudomedizin hereinfallen, ist ein beträchtlicher Teil aufgrund schwerer oder chronischer Erkrankungen, manchmal aber auch nur wegen des eigenen Alterns und der eigenen Sterblichkeit in einem psychisch schwierigen Zustand. Das führt dazu, dass sie sich eine Welt von Verschwörungsbehauptungen aufschwätzen lassen, ihre Schulkenntnisse vergessen, ihren gesunden Menschenverstand ausschalten und nur noch dort nachlesen, wo die Verschwörungsgläubigen unter sich bleiben. Wenn sie sich dann doch einmal auf wissenschaftlich-kritische Seiten wie diese verlaufen, hinterlassen sie gelegentlich Kommentare, die schwer sinnvoll zu beantworten und zum Teil schon beim Lesen schwer zu ertragen sind. Für den Umgang mit solchen verzweifelten Menschen bin ich weder ausgebildet, noch habe ich Praxiserfahrung darin.
So könnte man die Frage stellen (und natürlich habe ich mir die auch schon selbst oft genug gestellt), ob ich diese Themen dann nicht lieber Ärzten überlassen sollte, die auf solche Probleme wesentlich besser vorbereitet sein müssten. Inzwischen gibt es zum Glück doch einige im wissenschaftlich-skeptischen Umfeld engagierte, praxiserfahrene Ärzte, die ich sehr bewundere, von der entwaffnend menschlichen Natalie Grams über den scharfzüngig-spöttischen Twitter-Agitator Christian Lübbers bis zu Wolfgang Vahle, Jan Oude-Aost und Benedikt Matenaer. Gerade die haben aber häufig schon genug mit Massenphänomenen wie Homöopathie, Impfverweigerung, Diffamierung der Organspende oder Akupunktur zu tun. Für die weniger verbreiteten, aber für kranke Menschen um so gefährlicheren Lehren wie Germanische Neue Medizin, MMS oder eben das auch von Probst propagierte Trinken von Petroleum bleibt da oft schlicht keine Zeit. Um die Nähe dieser Gedankenwelten zur Verschwörungsideologie- und Reichsbürgerszene angemessen zu beleuchten, ist es zudem hilfreich, sich damit auch schon einmal beschäftigt zu haben. Damit gibt es große Überschneidungen zu einem meiner Hauptthemen neben dem Quantenquark.
Ich komme an dem Thema also letztlich nicht vorbei. Um mich dabei nicht immer wieder mit den zum Teil erschütternden Aussagen von Befürwortern, die gleichzeitig Opfer sind, auseinandersetzen zu müssen, möchte ich beispielhaft und anonymisiert auf einige typische Argumentationsmuster eingehen. Sie finden sich in erschreckender Dichte im folgenden Screenshot aus einer einschlägigen Facebookgruppe, der auf der verschwörungstheoriekritischen (und auf polemisch-satirische Art sehr unterhaltsamen) Facebookseite „Die lockere Schraube“ öffentlich gemacht wurde. Es geht darin offensichtlich um Empfehlungen für eine an Brustkrebs erkrankte Frau:
In dieser kurzen Abfolge von Kommentaren findet sich ein großer Teil dessen, was in ganz ähnlicher Form überall die Kommentarspalten zum Thema Verschwörungstheorie-Medizin füllt. Daher lohnt es sich, die Behauptungen einfach mal von oben nach unten durchzugehen.
Das Wundermittel aus der Natur. In diesem Fall werden bittere Aprikosenkerne erwähnt, deren Inhaltsstoff Amygdalin auch unter dem Phantasienamen „Vitamin B17“ ebenfalls gegen Krebs vermarktet wird. Der gleiche Stoff kommt in niedriger Konzentration zum Beispiel auch in Apfelkernen vor, aber bittere Aprikosenkerne können noch mehr Amygdalin enthalten als Bittermandeln. Bei der Verdauung von Amygdalin (teils auch schon in den Kernen selbst) setzt die Substanz Cyanide frei, die hochgiftigen Salze der Blausäure. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärt, belegt durch mehrere wissenschaftliche Studien, Amygdalin sei „unwirksam in der Krebstherapie“ und bei oraler Einnahme nachgewiesenermaßen toxisch. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2007, nach dem Amygdalin von Apotheken abgegeben werden darf, beruht auf Annahmen, die laut BfArM inzwischen widerlegt sind. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bezeichnet es „aus ärztlicher Sicht als skandalös, […] dass ein solches Gift […] frei im Handel ist“. Sie berichtet von einem Fall, bei dem ein krebskranker Vierjähriger nach einer Amygdalinbehandlung mit einer akuten Cyanidvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Zu den amygdalinhaltigen bitteren Aprikosenkernen erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Erwachsene dürften maximal zwei solcher Kerne am Tag verzehren, Kinder gar keine. Da es sich um ein Naturprodukt handelt, kann der Gehalt an Amygdalin, vor allem aber der Anteil von dessen Zersetzung zu Cyaniden, in den Kernen stark schwanken. Erst im November 2018 musste ein Naturkosthersteller seine „BIO Bittere Aprikosenkerne“ zurückrufen, weil sie nach dessen eigener Angabe zu potentiell tödlichen Vergiftungen führen konnten. Das aus süßen Aprikosenkernen hergestellte Persipan enthält laut BfR hingegen kaum Amygdalin, ähnlich wie süße Mandeln und das daraus hergestellte Marzipan. Wer die genannten öffentlichen Institutionen für Tochterfirmen einer von finsteren Mächten gesteuerten BRD GmbH hält, wird von diesen Warnungen aber vermutlich wenig beeindruckt sein.
„Ich habe es gemacht, und mir geht es gut!“ Eine solche Aussage beweist nur eins: Dass die genannte „Therapie“ nicht bei 100% der Patienten sofort tödlich ist. Daraus lässt sich weder folgern, dass die Maßnahme irgendetwas mit dem behaupteten positiven Krankheitsverlauf zu tun hat, noch lässt sich ausschließen, dass sie bei anderen Patienten doch zu schweren Schäden führt. Beides ließe sich nur mit korrekt durchgeführten wissenschaftlichen Studien an großen Patientenzahlen belegen. Im genannten Fall einer Krebsoperation ist das Ziel, möglichst alle Tumorzellen zu entfernen. Gelingt dies bei der Operation vollständig, so ist eigentlich jede weitere Therapie überflüssig. Bei vielen Tumortypen ist aber nicht auszuschließen, dass sich einzelne Zellen schon außerhalb des sichtbaren Tumors angesiedelt haben, wo sie dann zu Metastasen heranwachsen. Unter Umständen können auch Teile des Tumors nicht entfernt werden, ohne lebenswichtige Organe oder Blutgefäße zu beschädigen. In diesen Fällen können Bestrahlungen, Chemotherapie mit Zellgiften oder andere Arzneimittel zum Einsatz kommen, um die Chancen zu verbessern, dass alle Tumorzellen beseitigt werden und die Erkrankung nicht wiederkommt. Man kann also nach einer Krebsoperation durchaus auch ohne weitere Therapie Glück oder trotz Chemotherapie und Bestrahlungen Pech haben. Was zum Einsatz kommen sollte, werden die behandelnden Ärzte nach den in wissenschaftlichen Studien ermittelten Erfolgschancen empfehlen – und danach, was man dem Patienten bei seinem Gesundheitszustand zumuten kann. Wenn keine Aussicht auf Heilung besteht, können die gleichen Maßnahmen mit anderer Schwerpunktsetzung in Frage kommen, um mehr Lebenszeit oder mehr Lebensqualität zu gewinnen.
Hochdosierte Vitamine tauchen in der Szene auch immer wieder auf, vor allem basierend auf der Lehre von Matthias Rath. Zu dem klagefreudigen Rath sei an dieser Stelle auf einen zusammenfassenden Artikel im Spiegel verwiesen, sowie auf das entsprechende Kapitel im Buch von Ben Goldacre, das auch Raths Machenschaften im Zusammenhang mit AIDS in Südafrika beleuchtet. Bekannt wurde er vor allem durch den von ihm selbst PR-mäßig ausgeschlachteten Fall des neunjährigen Dominik Feld, der an metastasierendem Knochenkrebs verstarb, nachdem seine Eltern auf Raths Empfehlung hin die medizinische Behandlung in Deutschland abgebrochen, das Kind nach Mexiko verbracht und sogar eine Schmerztherapie abgelehnt hatten. Bei der Aussage „Bei Brustkrebs speziell Jod“ im oben abgebildeten Screenshot handelt es sich hingegen vermutlich einfach um eine Verwechslung mit Schilddrüsenkrebs, der durch die Einnahme des radioaktiven Jodisotops 131 von innen bestrahlt werden kann. Normales Jod hat diesen Effekt natürlich nicht.
Schwermetallbelastungen sind eine der Lieblingsdiagnosen der Alternativmedizinszene, vor allem, um damit sogenannte Chelattherapien zu verkaufen. Im obigen Beispiel zeigt sich die naturwissenschaftliche Kompetenz von Menschen, die zu solchen Maßnahmen raten, daran, dass als Beispiel für eine Schwermetallbelastung ausgerechnet das Leichtmetall Aluminium genannt wird. Bei der Chelattherapie bekommt der Patient Infusionen mit sogenannten Komplexbildnern wie EDTA, die sich an Metallionen anlagern und dafür sorgen, dass diese leichter ausgeschieden werden können. Bei akuten Schwermetallvergiftungen ist das so ziemlich die einzige wirksame Therapie. Alternativmediziner vermarkten die Chelattherapie jedoch für so ziemlich alles, von Krebsvorbeugung über Tinnitus, Migräne und kalte Füße bis hin zur Potenzverbesserung. Ein nicht eben alternativmedizinkritisches Gesundheitsportal spricht von mindestens 20 Infusionen zu je 100 bis 150 Euro, die der Patient in der Regel selbst bezahlen muss. Eine aktuelle Zusammenfassung der wissenschaftlichen Beleglage fand eine einzige seriöse Studie. Deren Ergebnisse zum Einsatz von EDTA bei Verengungen der Herzkranzgefäße waren jedoch uneindeutig. Interessant ist die Begründung der Studienautoren, warum Chelattherapien dennoch weiter erforscht werden sollten: Sie würden von den Patienten gewünscht. Angesichts des Preises drängt sich die Vermutung auf, dass dieser Wunsch möglicherweise auch mit den Wünschen der Leistungserbringer in Verbindung stehen könnte… Zu anderen Krankheitsbildern existieren bestenfalls Einzelfallberichte, bei denen die Ergebnisse komplett zufällig zustande gekommen sein können, aus denen sich also keinerlei Rückschlüsse auf eine eventuelle Wirksamkeit ziehen lassen. Das größte Problem mit der Chelattherapie ist jedoch nicht die unklare Wirksamkeit. So erklärte der inzwischen emeritierte Professor für Komplementärmedizin an der Universität Exeter, Edzard Ernst, in einem Interview: „Diese Therapie hat aber schwere Nebenwirkungen.“ – „Welche zum Beispiel?“ – „Den Tod.“
Terpentin, Petroleum oder Benzin zu trinken, ist keine neue Idee. Das sonst sehr zuverlässige Portal Psiram behauptet sogar, etwas zu optimistisch: „Heute finden sich nur noch wenige Hinweise auf ihre Anwendung.“ Dieser Irrsinn wird aber in jüngster Zeit offenbar an den extremeren Rändern der alternativmedizinischen Verschwörungsszene wieder verstärkt propagiert. Warum so etwas definitiv keine gute Idee ist, hatte ich schon im Artikel über den Petroleum-Fan Karl Probst zusammengefasst.
Stressabbau scheint mir bei schweren Erkrankungen eine einigermaßen unumstrittene Empfehlung zu sein, um auch mal etwas Positives anzumerken.
Von „Quantenterroristen“ handelte vor ein paar Tagen ein kurzer Artikel in der Süddeutschen Zeitung, und beim Lesen konnte man den Eindruck gewinnen, in der Zukunft könnten drei Terroristen in der Lage sein, allein durch das Senden falscher Daten das gesamte Internet auszulöschen. Wenn man bedenkt, welche Prozesse in unserer modernen Kultur alle vom Internet abhängen, muss man klar sagen, das wäre eine Horrorvision.
Rein formal ist der Artikel, der bezeichnenderweise nicht im Wissenschaftsteil, sondern im Feuilleton erschienen ist, journalistisch vertretbar: Unter der Rubrik „Gehört, Gelesen, Zitiert“ gibt er, überwiegend in Form eines sehr langen Zitats, Inhalte aus einem Online-Artikel des MIT Technology Review wieder. Als Leser würde ich aber eigentlich erwarten, dass eine Zeitung die Sinnhaftigkeit eines solchen Artikels prüft, bevor sie Auszüge davon unkommentiert wiedergibt. Das gleiche könnte man natürlich auch von einem Spezialmedium wie dem MIT Technology Review erwarten, bevor es den Artikel überhaupt publiziert.
Der Technology-Review-Artikel ist in einer Rubrik erschienen, die „die neuesten Ideen und Technologien“ darstellen soll, die auf dem Physics arXiv Preprint Server erscheinen. Dort können Wissenschaftler Artikel einstellen, die noch nicht zur Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift angenommen sind, also noch nicht erfolgreich einen Peer Review durchlaufen haben. Über Ideen aus solchen noch nicht offiziell veröffentlichten Artikeln zu schreiben, soll offenbar den Eindruck erwecken, der Technology Review sei besonders am Puls der Zeit. Tatsächlich handelt es sich bei dem Fachartikel, auf den sich das Magazin beruft, ausdrücklich um ein sogenanntes working paper – die Autoren wissen also, dass ihre Ergebnisse noch nicht ausgegoren sind, und sie bitten um Kommentare und Anregungen von Fachkollegen, bevor sie überhaupt eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift anstreben. Dass sich Inhalte aus einer solchen Diskussionsgrundlage innerhalb weniger Tage ohne jegliche Einordnung in der Süddeutschen Zeitung wiederfinden, ist dann schon einigermaßen skurril.
Wie in so vielen Fällen, in denen in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild der Physik entsteht, liegt das Problem aber nicht nur darin, wie über Wissenschaft berichtet wird, sondern auch in der Art und Weise, wie die Wissenschaftler selbst über ihre Arbeit kommunizieren – und vor allem, wie sie sie verkaufen. Der Begriff des „Quantenterrorismus“ stammt nämlich tatsächlich aus dem besagten working paper der Wissenschaftler, die von Technology Review und Süddeutscher Zeitung an der renommierten George Washington University verortet werden, obwohl drei von vier Autoren des Artikels in Kolumbien tätig sind. Den schillernden Begriff haben sich die Autoren offensichtlich selbst aus den Fingern gesogen, denn gebräuchlich ist er für die im Artikel beschriebene Problematik nicht. Sucht man danach im Netz, dann findet man neben Berichterstattung über ihren Text eigentlich nur eine bizarre palästinensische Machtphantasie über das Durchtunneln eines Menschen durch die „Apartheidmauer“ südlich von Jerusalem in einem antiisraelischen Hetzblog.
Worum geht es aber nun eigentlich? Die Autoren schreiben über die prinzipielle Möglichkeit, ein sogenanntes Quantennetzwerk dadurch zu sabotieren, dass mehrere Teilnehmer gleichzeitig in abgestimmter Form unsinnige Informationen in das Netzwerk einspeisen. Das könnte die Information in dem Quantennetzwerk so stören, dass nicht einmal zu rekonstruieren wäre, wer die störende Information eingebracht hat. Für ein Quantennetzwerk mit vielen unabhängigen Teilnehmern wäre das (wenn es denn stimmt) logischerweise eine echte Bedrohung.
Um das Bedrohungsszenario jetzt realistisch einschätzen zu können, muss man sich zunächst einmal ansehen, was ein solchen Quantennetzwerk eigentlich ist, oder besser wäre, denn bis jetzt gibt es so etwas schlichtweg nicht. Ein Quantennetzwerk, wie es die vier Wissenschaftler in ihrem Artikel voraussetzen, bestünde aus Quantencomputern an verschiedenen Orten, deren gespeicherte Quanteninformationen über quantenmechanische Verschränkungen verbunden sind. Ich verspreche, den schon lange angekündigten Missverquanten-Artikel über Verschränkung schreibe ich auch noch. Über Quantencomputer habe ich im Buch ein bisschen geschrieben, aber hier im Blog noch nichts wirklich Grundlegendes, insofern kann ich auch dazu und zu den damit verbundenen Problematiken nur auf Wikipedia und zusammenfassende Artikel in populärwissenschaftlichen Medien (halbwegs aktuell z.B. hier) verweisen. Durch die Quantenverschränkung wäre man nicht darauf angewiesen, die Ergebnisse der einzelnen Quantencomputer zu messen und als klassiche Daten zu übertragen. Vielmehr könnte man verlustfrei die Quantenzustände übertragen – das Netzwerk verhielte sich also letztlich wie ein einziger, großer Quantencomputer. Die Vorstellung, dass unsinnige Eingaben von mehereren Nutzern gleichzeitig in einem Computer diesen zum Erliegen bringen können, erscheint dann schon weniger überraschend als ein Zusammenbruch des ganzen Internets.
Die Autoren des working papers zitieren nun einige aktuelle Artikel aus namhaften wissenschaftlichen Zeitschriften, in denen solche Quantennetzwerke als Quanteninternet bezeichnet werden. Da es um eine gegebenenfalls auch internationale Vernetzung von Computern geht, wie sie heute in der Regel über das Internet erfolgt, ist diese Begriffsfindung zunächst einmal auch nicht unbedingt sehr weit hergeholt.
Der Begriff des Quanteninternets wird allerdings regelmäßig, auch im MIT Technology Review, ebenso für die Verwendung von Quantenkryptographie zur abhörsicheren Kommunikation zwischen ganz normalen Computern verwendet. Bei der Quantenkryptographie wird durch die gleichzeitige Verwendung einer Quantenverschränkung und einer ganz normalen, klassischen Datenübertragung sichergestellt, dass die Kommunikation zwischen den beiden Rechnern nicht unbemerkt von einem Dritten abgehört werden kann. In der technischen Umsetzung haben Quantennetzwerke und Quantenkryptographie das gemeinsame Problem, dass sie auf Technologien angewiesen sind, die Quantenverschränkungen zuverlässig über große Distanzen erzeugen können. Bislang existieren solche Technologien nur als experimentelles proof of principle. Daher tauchen zu beiden Themen in den Medien regelmäßig dieselben Experten auf, und auch innerhalb von Artikeln oder Interviews werden Quantennetzwerke und Quantenkryptographie in jüngster Zeit regelmäßig unter dem Schlagwort „Quanteninternet“ oder gar „Web Q.0“ durcheinandergeworfen.
Diese marketingoptimierte Schlagwortbildung aus der Wissenschaft hat aber ein massives Problem. Dass Quantenkryptographie überhaupt funktionieren kann, beruht auf dem sogenannten No-Cloning-Theorem: Nach grundlegenden Prinzipien der Quantenmechanik ist es unmöglich, einen Quantenzustand zu duplizieren. Daher würde der Spion, der neben den verschlüsselten Daten auf dem klassischen Informationskanal auch den über die Quantenverschränkung übermittelten Schlüssel belauschen will, sich dadurch verraten, dass er die Übermittlung des Schlüssels stört. Was für die Quantenkryptographie grundlegend ist, ist für Quantencomputer und Quantennetzwerke aber ein Problem. In einem Quantennetzwerk kann es keine Redundanz geben, keine Sicherheitskopien, keine parallelen Verbindungen. So ist es wenig überraschend, dass es relativ einfach ist, ein solches Quantennetzwerk zu stören, wie eben auch der Lauscher in der Quantenkryptographie sich dadurch verrät, dass er die Verbindung stört. Genau das macht aber die gedankliche Verbindung mit dem Internet hochgradig problematisch.
Was das Internet von allen schon vorher existierenden Computernetzwerken unterscheidet, ist ja gerade seine hohe Redundanz. Das Internet hat keinen Zentralrechner, den man sabotieren könnte. Vielmehr besteht es aus einer Vielzahl voneinander unabhängiger Knoten, die auf unterschiedlichen Wegen direkt und indirekt miteinander verbunden sind. Einen solchen Knoten kann man natürlich sabotieren, und natürlich kommt es auch ohne Sabotage vor, dass solche Knoten ausfallen. Das führt in der Regel dazu, dass Nutzer eines oder auch mehrerer Anbieter in einer Region keinen Zugang zum Internet mehr haben – aber der Rest des Netzes funktioniert auch ohne diesen Knoten. Es gibt auch bestimmte neuralgische Verbindungen, zum Beispiel durch bestimmte Unterseekabel, deren Ausfall dazu führen würde, dass die Datenübertragung über parallele Verbindungen deutlich langsamer würde – allerdings sind auch diese Engpässe über die letzten 20 Jahre deutlich weniger und die Alternativen vielfältiger geworden.
Grundsätzlich können einzelne Systeme aber natürlich immer versagen, und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft so bleiben. Bei Quantencomputern kommt noch das Problem hinzu, dass man die Quantenzustände zu ihrer Erhaltung komplett und über die gesamte Laufzeit der Berechnung von der Außenwelt abschirmen muss, um Dekohärenz und damit das Ende der Verschränkung und des ganzen Quantenzustandes zu vermeiden. Daher dürfte auch (oder vielmehr gerade) den Wissenschaftlern, die in ihren Veröffentlichungen regelmäßig von „dem Quanteninternet“ schreiben, klar sein, dass es ziemlich idiotisch ist, anzunehmen, dass ein einzelnes Quantennetzwerk die Rolle des gesamten heutigen Internets übernehmen könnte. Viel plausibler ist die Annahme, dass beim Funktionieren der entsprechenden Technik immer mehr spezialisierte Quantennetzwerke entstehen könnten, teils zur Geheimhaltung weitgehend getrennt, teils integriert in ein weiterhin redundantes, klassisches Netz von Netzwerken wie dem heutigen Internet. Die Arbeit der vier Forscher aus Washington und Bogotá legt jetzt nahe, dass es für die Teilnehmerzahl an einem solchen einzelnen Quantennetzwerk Grenzen des Sinnvollen und Sicheren gibt – und dass diese Grenzen möglicherweise enger sind, als das viele Fachkollegen bisher angenommen haben. Das klingt nicht ganz so spektakulär wie der Quantenterrorismus, ist aber definitiv ein interessantes Ergebnis.
Hätten die über ihre Arbeit publizierenden Wissenschaftler realistisch von Quantennetzwerken und von Sabotage darin anstatt vom Quanteninternet und von Quantenterrorismus geschrieben, dann wäre ein problematisches Zerrbild von Physik und Technologie vermieden worden. Dann hätten sie es aber natürlich auch nicht in die Süddeutsche Zeitung geschafft.
Es ist immer wieder lustig, wenn einem als Physiker vorgeworfen wird, wir würden behaupten, alles zu wissen, während man eigentlich ständig erklärt, was wir alles nicht wissen. Wissenschaft wäre auch ziemlich öde, wenn man schon alles wüsste.
Klar, in gewisser Weise haben wir (also, die Physik als Ganzes natürlich, nicht ich) schon ziemlich viel Wissen – nur eben nicht unbedingt die Art von Wissen, die typischerweise die Hobbyphilosophenrunde kurz nach Mitternacht und drei Gläsern Wein gerne mit uns diskutieren möchte.
Was wir als Faktum der Natur wissen
Wir wissen zum Beispiel, dass bei Kollisionen mit hohen Energien, wie am Large Hadron Collider (LHC) des CERN, ein Teilchen mit einer Masse von gut 125 GeV entsteht – das entspricht etwa der Masse eines ganzen Cäsium- oder Bariumatoms. Für ein einzelnes Elementarteilchen ist das schon sehr massig. Dieses Teilchen zerfällt nach extrem kurzer Zeit auf eine von mehreren, in ihrer Art und Häufigkeit genau bestimmten Arten in andere Teilchen. Es ist elektrisch nicht geladen, und es hat keinen Spin. Stellen Sie sich den Spin bitte nicht als Drehung vor, lieber als eine Art Magnetismus; das erzeugt weniger falsche Bilder im Kopf. Aber ich schweife ab, und ich will ja eigentlich weniger abschweifen, also weiter. Diese Dinge wissen wir ganz sicher über das Teilchen, denn wir haben sie, erstmals 2012, gemessen (also, wieder nicht ich, sondern die „Kollegen“ am CERN, mit denen ich mich immer noch irgendwie verbunden fühle, obwohl ich da nur vor Ewigkeiten ein paar Monate für meine Diplomarbeit verbracht habe).
Da gibt es auch so gut wie keinen Spielraum, dass diese Messung irgendwann als nicht mehr richtig gelten könnte. Es könnte sich allenfalls noch herausstellen, dass unterschiedliche Teams von Wissenschaftlern an unterschiedlichen Instituten zu unterschiedlichen Zeiten alle denselben wahnsinnig blöden Fehler in der Datenauswertung gemacht haben – aber das ist nach sechseinhalb Jahren von Folgeexperimenten und -auswertungen wirklich extrem unwahrscheinlich, dass das noch nicht aufgeflogen wäre. Solche Fälle hat es gegeben, und weil Physiker Menschen sind, hören sie das in der Regel nicht gerne, aber das gab es nie bei so vielen Beteiligten zum Teil unabhängig voneinander. Insofern, ja, dass da ein Teilchen mit diesen Eigenschaften ist, wissen wir sicher.
Man könnte aber auch sagen, das ist es auch schon mit unserem Wissen über das Teilchen.
Was wir als wissenschaftliche Theorie wissen
Es gibt aber noch mehr, was wir auch zumindest ziemlich sicher über dieses Teilchen sagen können. In den 1960er Jahren haben nämlich Peter Higgs, François Englert und eine ganze Anzahl von heute meist übergangenen Kooperationspartnern sich einen Mechanismus überlegt, wie man in den sogenannten Eichtheorien dessen, was wir heute Standardmodell nennen, das Entstehen von Masse erklären kann. Masse kommt in solchen Theorien nämlich eigentlich nicht vor, das heißt, alles würde sich eigentlich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Der Higgs-Mechanismus, auf den sie dabei gekommen sind, ist in einer kleinen Bilderserie vom CERN ganz nett dargestellt worden, die man samt Texten zum Beispiel hier ansehen kann. Und es gibt vom CERN auch eine kleine Animation dazu:
Man sollte sich natürlich immer im Klaren sein, dass solche Visualisierungen nur ganz grobe Vorstellungen der eigentlichen Theorie sind und man aus solchen Vereinfachungen vor allem keine weitergehenden Schlüsse ziehen darf. Sie sollen erst einmal eine Vorstellung geben – um daraus etwas abzuleiten, müsste man sich mit der eigentlichen Theorie im Detail beschäftigen.
Aus diesem Higgs-Mechanismus hat man schon vor Jahrzehnten abgeleitet, dass es ein Teilchen geben sollte, das genau die Zerfallsarten, die Ladung und den Spin haben müsste, wie das Teilchen, das man dann 2012 am CERN messen würde. In Verbindung mit den anderen Theorien des Standardmodells und Messungen an verschiedenen Beschleunigern konnte man dann auch die Masse dieses Higgs-Teilchens schon vor der Messung immer weiter eingrenzen: In den 1980er Jahren dachte man noch, es könne mehrere hundert GeV schwer sein. Gegen 1990 zeichnete sich ab, dass die Masse zwischen 100 und 200 GeV liegen sollte. Damit war auch klar, dass man keinen neuen Riesenbeschleuniger für mehr als 10 Milliarden Dollar in der Wüste von Texas würde bauen müssen, um das Teilchen zu suchen: Der damals in der Entwicklung befindliche LHC am CERN sollte dafür locker ausreichen. Als ich Mitte der 1990er Jahre am CERN war, war man schon ziemlich sicher: Wenn es das Higgs-Teilchen tatsächlich gäbe, müsste seine Masse zwischen 110 und 130 GeV liegen. Im Jahr 2000 meinte man kurzzeitig, vage Anzeichen für ein neues Teilchen bei 114 GeV entdeckt zu haben, was sich aber nicht bestätigt hat. Schließlich kam die große Erleichterung, als man das Teilchen 2012 bei 125 GeV genau im vorhergesagten Massenbereich gefunden hat. Die Ernüchterung kam dann später, als sich abzeichnete, dass man am LHC neben dem Vorhergesagten (bis jetzt) irgendwie gar nichts Unvorhergesagtes findet, das Ansatzpunkte für neue Theorien bieten könnte – aber das ist eine andere Geschichte.
Diese Vorhersage und die dazu passende Messung geben uns ein ziemlich sicheres Wissen, dass es sich bei dem 2012 gemessenen Teilchen wohl um das gesuchte Higgs-Teilchen handelt. Das ist aber eine andere Art von Wissen als die Messung selbst: Die Theorie des Higgs-Mechanismus kann (und wird wahrscheinlich) irgendwann überholt sein, aber das Teilchen nicht. Jede neue Theorie, die später den Higgs-Mechanismus und das Standardmodell ersetzen will, wird nicht nur das Entstehen von Masse erklären müssen, sondern muss auch eine Erklärung dafür liefern, was für ein Teilchen man da seit 2012 beobachtet.
Das Higgs ist aber nicht das einzige Phänomen, das auf Basis der Theorien des Standardmodells (Elektroschwache Theorie, Quantenchromodynamik, Allgemeine Relativitätstheorie und Higgs-Mechanismus) vorhergesagt und später gemessen wurde. Das gleiche gilt für die W- und Z-Teilchen der schwachen Wechselwirkung, für alle aus Quarks aufgebauten Teilchen, die charm– und bottom-Quarks enthalten, sowie für das top-Quark und das tau-Neutrino. Alle wurden aufgrund des Standardmodells vorhergesagt und erst später nachgewiesen. Hinzu kommen unterschiedliche Arten sogenannter Jets, also Teilchenbündel, aus Kollisionen von Protonen oder leichten Atomkernen, die als Produkte der Quarks und Gluonen vorhergesagt wurden, aus denen die Protonen aufgebaut sind. Noch kein Teilchennachweis im eigentlichen Sinne, aber eine sehr frühe spektakuläre Bestätigung einer Vorhersage des Standardmodells war der Nachweis sogenannter neutraler schwacher Ströme am CERN 1973.
Das Standardmodell ist also nicht deshalb, nun, eben das Standardmodell der Physik, weil es besonders schön oder besonders praktisch wäre – gerade das ist es nach Ansicht der meisten Physiker eben nicht. Schließlich besteht es aus mehreren einzelnen Theorien, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben scheinen und unter denen sich zumindest die Relativitätstheorie auch strukturell deutlich von den anderen unterscheidet. Der Standard ist es, weil es eine Vielzahl experimenteller Ergebnisse vorhergesagt hat. Dabei hat es nicht nur Messwerte wie die Masse des Higgs-Teilchens ziemlich gut eingegrenzt, sondern sogar die Existenz ganzer Phänomene und Teilchen vorhergesagt. Was immer irgenwann an die Stelle des Standardmodells treten soll, muss also in vielerlei Hinsicht zunächst einmal die gleichen Ergebnisse liefern wie das Standardmodell – sonst passt es schlicht und einfach nicht zur messbaren Realität.
Wie man nicht zu Wissen gelangt
Die Anhänger „alternativer“ Physiker wie Nassim Haramein oder Burkhard Heim (Heim war immerhin tatsächlich Physiker) behaupten jetzt, ihre Idole hätten das Standardmodell widerlegt, indem sie einzelne Messwerte mit größerer Genauigkeit vorhergesagt hätten. Sowohl Haramein als auch Heim waren hier schon an anderer Stelle Thema. Ironischerweise haben diese beiden Geistesgrößen Messwerte „vorhergesagt“, die schon längst gemessen und ihnen bekannt waren. Das ist ungefähr so, als wollte ich meine Kenntnisse in meteorologischer Synoptik (also Wetterbeobachtung und -vorhersage, das habe ich in meinem Nebenfach tatsächlich mal gelernt) dadurch unter Beweis stellen, dass ich das Wetter von gestern vorhersage. Im Fall von Heim mussten einige der von ihm genau „vorhergesagten“ Messwerte (wie die Masse des Eta-Mesons) aufgrund späterer, genauerer Messungen korrigiert werden, so dass sich seine Nachhersagen auch noch als falsch herausgestellt haben. Da beide „Theorien“ außer diesen Pseudobelegen nicht viel Überprüfbares zu bieten haben, will ich hier auch gar nicht weiter darauf eingehen.
Wozu wir noch keine eindeutige Theorie haben
Natürlich gibt es aber auch in den Bereichen der Physik, mit denen sich das Standardmodell beschäftigt, Ergebnisse, die durch das Standardmodell nicht beschrieben werden. Ein Themenbereich ist die Masse von Neutrinos. Neutrinos sind eine Art elektrisch neutrales Gegenstück zu Elektronen sowie den schwereren elektronenähnlichen Teilchen, den Myonen und Tau-Leptonen, sowie zu deren Antiteilchen. Da Neutrinos elektrisch neutral sind, wirken elektromagnetische Felder nicht auf sie. Auch die sogenannte starke Kernkraft wirkt nicht auf Neutrinos. Nachgewiesen werden können sie also nur durch die schwache Kernkraft, die einen etwas irreführenden Namen hat, weil sie auf einzelne Teilchen nicht unbedingt schwach, sondern eher selten wirkt. In den allermeisten Fällen kann ein Neutrino durch die Erde hindurchfliegen, ohne dabei irgendeine Wechselwirkung mit der durchflogenen Materie auszulösen. Selbst die dichteste auf der Erde bekannte Materie, das Innere von Atomkernen, ist für Neutrinos durchlässig. Wenn sie aber (sehr, sehr selten) doch einmal mit einem Teilchen wechselwirken, an dem sie vorbeikommen, dann können sie in der Reaktion durchaus einen großen Teil ihrer Energie übertragen und in ein Elektron (oder Myon oder Tau oder deren Antiteilchen) umgewandelt werden. Die Frage ist, wenn andere Kräfte außer der schwachen Kernkraft nicht auf Neutrinos wirken, wirkt denn die Schwerkraft auf sie, haben sie also eine (von null verschiedene) Masse? Es gibt indirekte experimentelle Belege, dass die Neutrinomasse nicht null sein kann. Direkt gemessen hat die Masse aber noch niemand, wobei der momentan aussichtsreichste Versuch das nach vielen Verzögerungen 2018 endlich in Betrieb genommene KATRIN-Experiment in Karlsruhe sein dürfte. Nach dem Standardmodell müssen Neutrinos keine Masse haben – man kann aber eine von null verschiedene Neutrinomasse relativ problemlos ins Standardmodell einsetzen.
Eine Zeit lang, bis deutlich wurde, wie klein sie wirklich ist, galt eine von null verschiedene Neutrinomasse als mögliche Erklärung für einen physikalischen Effekt, der ebenfalls nicht durch das Standardmodell erklärt wird: die dunkle Materie. Letztlich braucht man nur relativ einfache Mechanik und die Annahme, dass Sterne, die gleich viel Strahlung bei denselben Wellenlängen aussenden, auch ungefähr gleich schwer sein müssen, um die Masse praktisch aller sichtbaren Objekte unserer Galaxie abzuleiten. Berechnet man jetzt die Bewegung dieser Objekte um das Zentrum der Galaxie, dann stellt man fest, dass die Galaxie viel mehr Masse enthalten muss, als alle sichbaren Objekte zusammen ausmachen. Das schließt nicht nur direkt sichtbare Objekte wie Sterne und Gasnebel ein, sondern auch Planeten und Staubwolken, die kein Licht emittieren, die man aber dadurch nachweisen kann, dass sie das Licht anderer Objekte verdecken. In der Summe ergibt sich, dass im Universum rund fünf mal so viel dunkle wie direkt oder indirekt sichtbare Materie vorhanden sein muss. Die Existenz dunkler Materie folgt also nicht aus irgendwelchen Theorien, sondern direkt aus Messungen und relativ einfachen Berechnungen. Massive, dunkle Himmelskörper, sogenannte MACHOs, die man nachweisen kann, wenn sie vor anderen Objekten vorbeiziehen, können nach aktuellen Messungen höchstens einen kleinen Teil dieser dunklen Materie ausmachen. Die plausibelste Vermutung erscheint zur Zeit, dass es sich um noch unbekannte, schwere Elementarteilchen, sogenannte WIMPs, handelt. Diese kommen im Standardmodell an sich nicht vor. Es gibt jedoch weitergehende Theorien wie die Supersymmetrie oder die Stringtheorie, die solche Teilchen vorhersagen und das Standardmodell mit einschließen. Zumindest für einfache Varianten der Supersymmetrie hätte man diese Teilchen aber inzwischen auch an Beschleunigern finden müssen, wenn diese Varianten denn zuträfen. In welcher Form das Standardmodell hier erweitert oder ersetzt werden muss, ist also noch ziemlich offen. Man kann aber auch durchaus argumentieren, dass es für unser Verständnis des Univerums ziemlich egal ist, ob die dunkle Materie aus diesen oder jenen Teilchen besteht – man muss einfach nur als Ergänzung zum Standardmodell annehmen, dass diese Masse irgendwie da ist und sonst nichts tut.
Etwas mehr (aber nicht viel mehr) theoretische Annahmen stecken hinter der dunklen Energie: Das Universum dehnt sich aus; das wissen wir, weil sich ziemlich direkt messbar fast alle anderen Galaxien von uns entfernen. Da die Schwerkraft immer als Anziehung wirkt, müsste sie diese Expansion allerdings im Lauf der Zeit immer mehr abbremsen. Das habe ich in den 1990er Jahren noch im Studium gelernt. Inzwischen kann man aber (wieder ziemlich direkt, durch die Beobachtung von sehr weit entfernten Supernovae, von denen das Licht Milliarden Jahre bis zu uns braucht) messen, dass sich die Expansion anscheinend sogar beschleunigt. Den Antrieb dieser beschleunigten Expansion bezeichnet man als dunkle Energie. Um das Universum so aufzublähen, braucht es ungeheuer viel Energie: Würde sich alle Materie im heutigen Universum einschließlich der dunklen Materie in Energie umwandeln, dann entspräche das nur rund einem Drittel der dunklen Energie, die nach heutiger Berechnung die Expansion des Universums antreibt. In der allgemeinen Relativitätstheorie und damit im Standardmodell kann man eine solche dunkle Energie als sogenannte kosmologische Konstante problemlos einsetzen. Das hat sogar Einstein schon getan, als er noch dachte, das Universum dehne sich nicht aus, sondern sei stationär. Das erfordert nämlich auch eine Energie, die der Schwerkraft entgegenwirkt, damit das Universum nicht unter seinem eigenen Gewicht zusammenstürzt. Das Standardmodell kann diese Energie berücksichtigen, erklärt aber nicht, woher sie kommt.
Welche Ansätze es zu diesen offenen Fragen gibt
Alle drei genannten Effekte widerlegen das Standardmodell nicht. Sie zeigen lediglich, dass es in der Teilchenphysik und der Kosmologie Fragen gibt, die das Standardmodell allein nicht beantwortet und die als Ergänzung zum Standardmodell angenommen werden müssen. Eine Theorie, die das Standardmodell irgendwann ablösen soll, sollte möglichst einen Teil dieser Fragen, im Idealfall alle, beantworten. An solchen Theorien wird schon gearbeitet, seit es das Standardmodell gibt. Es gibt eine ganze Anzahl von Ansätzen. Manche sind ambitionierter und versuchen, alle Kräfte in einer Theorie zusammenzufassen; andere klammern die Schwerkraft noch aus und überlassen deren Beschreibung noch der allgemeinen Relativitätstheorie. Manche dieser Theorien, wie die Stringtheorie oder die Quantengravitation, sind auch nach 40 Jahren noch nicht so weit, Aussagen zu machen, die sich mit heutiger Technik vernünftig experimentell prüfen ließen. Damit lässt sich erst recht nicht zwischen den denkbaren Varianten dieser Theorien unterscheiden. Andere, wie die zu meinen Schulzeiten noch mit großen Hoffnungen behaftete Grand Unified Theory (GUT), sind zumindest in ihren einfachen Varianten heute schon experimentell widerlegt. Alle solchen Theorien, aus denen spektakuläre neue Messergebnisse für bisherige Experimente abgeleitet wurden, sind daran jedenfalls gescheitert – was nicht notwendigerweise alle Varianten der jeweiligen Theorie ausschließt, aber in der Regel die favorisierte, weil einfachste. Das gilt zum Beispiel für die zu meinen Studienzeiten meist beachtete Theorie, die Supersymmetrie, deren einfachste Form neue Teilchen vorhersagt, die man im LHC am CERN schon hätte finden müssen. Es bleiben also viele Fragen offen, aber mangels entsprechender zu prüfender Vorhersagen gibt es aktuell wenige Ansätze, durch Experimente auf der Erde Antworten zu finden. Daher ist es auch umstritten, ob man neue, noch größere Beschleuniger bauen sollte. Die spannendsten neuen Erkenntnisse stammten in den letzten Jahren sicherlich aus den immer besseren Beobachtungen der Astronomie, vor allem durch Teleskope auf Satelliten.
Warum die experimentellen Erkenntnisse nicht von der Theorie abhängen
Eins ist bei diesen neuen Theorien jedoch zweifelsfrei klar: Sie müssen zu praktisch allen schon gemachten Experimenten der Teilchen- und Astrophysik zu den gleichen Ergebnissen kommen wie das Standardmodell mit den genannten Ergänzungen wie der Neutrinomasse, denn die Ergebnisse dieser Experimente würden sich ja durch eine neue Theorie nicht ändern. Anders von „alternativen Physikern“ oder postmodernen Philosophen und Wissenschaftstheoretikern gelegentlich behauptet wird, müsste man diese Experimente auch nicht völlig anders aufbauen, wenn man andere Theorien hätte, und es würde schon gar nichts anderes herauskommen. Hinter solchen Vorstellungen stecken typischerweise Fehlinterpretationen von Thomas S. Kuhns Untersuchungen zu Erkenntnisprozessen in der Wissenschaft und einmal wieder ein falsches Verständnis des Beobachtereffekts. Wenn in einem Beschleunigerzentrum wie dem CERN Kollisionen hochenergetischer Teilchen und damit letztlich Freisetzungen reiner Energie untersucht werden, sind die Experimente ohnehin so aufgebaut, dass praktisch alles gleichzeitig gemessen wird, was man dabei technologisch überhaupt messen kann. Es gibt auch keine andere Möglichkeit, unter kontrollierten Bedingungen zu messen, was passiert, wenn an einem Punkt große Energien frei werden. Die Teilchenphysik kann Experimente gar nicht darauf ausrichten, nur den einen Parameter gezielt zu messen, der zur Überprüfung einer einzelnen Theorie nötig ist – dafür sind die Entwicklungszeiträume viel zu lang. Als der LHC in den 1980er Jahren geplant wurde, ging man noch von einem viel schwereren Higgs-Teilchen aus, und die Supersymmetrie, nach deren Teilchen bislang erfolglos gesucht wird, galt noch als wesentlich unwahrscheinlicher als die inzwischen längst ausgeschlossenen einfachen GUTs. Hypothetissche Vorhersagen aus neuen Theorien ändern sich schneller, als man neue Beschleuniger und Detektoren planen und bauen kann. Der LHC am CERN wurde dementsprechend nicht nur gebaut, um das Higgs nachzuweisen, sondern um ganz allgemein zu erforschen, welche neuen Phänomene in einem gewissen Energiebereich auftauchen. Das macht die Experimente auch so groß und teuer. Wegen der großen Datenmenge pro Kollision kann man eine Vorauswahl der Kollisionsereignisse treffen, die man genauer untersucht, um zum Beispiel Eigenschaften des Higgs-Teilchens genauer zu bestimmen. Es wird jedoch immer auch eine große Zahl sogenannter Minimum-Bias-Ereignisse gespeichert, um auch nach noch ganz unbekannten und unerwarteten Phänomenen suchen zu können. Die Ergebnisse der Teilchenphysik sind also gerade nicht von der Theorie abhängig, sondern sie sind eine zwingende Grundlage für jede Theorie, die Aussagen über Teilchen machen will.
Was wir gar nicht wissen
Nun gibt es auch für eine sogenannte Theory of Everything wie die Stringtheorie, die alle Grundkräfte der Natur und alle Teilchen beschreiben soll, grundsätzliche physikalische Fragen zur Materie und dem Universum, die sie nicht beantwortet. Dazu gehört zum Beispiel die Frage nach Ereignissen „vor“ dem Urknall, sofern man außerhalb der Existenz unseres Universums überhaupt von zeitlichen Begriffen wie vor oder nach sprechen kann. Auch hierzu gibt es Ideen, die sich in der einen oder anderen Form in diese neuen Theorien oder auch das Standardmodell integrieren ließen. So könnte das ganze Universum als zufällige Fluktuation aus nichts entstanden sein, und es könnte sich auch zufällig wieder in nichts auflösen. Von einer experimentell prüfbaren Theorie kann man in Bezug auf solche Ideen aber zumindest aktuell noch nicht sprechen.
Vielleicht werden wir aber tatsächlich erst zu einer konsistenten neuen Theorie jenseits des Standardmodells kommen, wenn jemand zu ganz neuen Ideen für völlig anders strukturierte Theorien findet, die möglicherweise auch solche Fragen mit einschließen. Die heutigen Kandidaten als Nachfolger des Standardmodells sind ja in gewisser Weise recht konventionell: Sie versuchen, in Form von Eichtheorien die Ideen des Standardmodells so zu verallgemeinern, dass sich ein umfassenderes Bild ergibt. Vielleicht wird sich der richtige Weg als ein ganz anderer herausstellen. Auch für eine solche neue Theorie würden aber die gleichen Voraussetzungen gelten: Sie müsste erklären, warum für praktisch alles, was wir heute messen können, das herauskommt, was das Standardmodell vorhersagt, und sie müsste ihren eigenen Wert unter Beweis stellen, indem sie Dinge vorhersagt, die wir noch nicht anderweitig vorhergesagt und gemessen haben.
Schließlich gibt es auch Fragen, die sich gar nicht in einer physikalischen Theorie beantworten lassen. Hierzu gehören zum Beispiel Fragen nach einem eventuellen Sinn von Dingen oder ethische Fragestellungen, was man tun sollte oder nicht. Bei solchen Fragen kann naturwissenschaftliche Erkenntnis einen Hintergrund bieten und als Information dienlich sein – sie kann aber nicht die Antwort liefern. Dementsprechend problematisch ist es auch, aus der Physik heraus oder mit der Autorität des erfolgreichen Physikers Antworten auf solche Fragen geben zu wollen. Davor haben auch viele der großen Physiker des 20. Jahrhunderts (zum Beispiel Erwin Schrödinger, Max Born und Werner Heisenberg) ausdrücklich gewarnt – und so mancher konnte sich trotzdem genau das nicht verkneifen.
Was dieses Nichtwissen nicht heißt
Wenn wir die Antwort auf eine grundlegende naturwissenschaftliche Frage, sei es die Entstehung des Lebens oder die des Universums, nicht wissen, liegt offenbar für viele Menschen die Versuchung nahe, eine willkürliche Antwort zu behaupten. Die beliebteste dieser willkürlichen Antworten begegnet mir auch in Diskussionen nach meinen Vorträgen regelmäßig: „An der Stelle muss man dann wohl von Gott sprechen.“ Nein, muss man nicht, und sollte man auch nicht. Selbst Theologen wehren sich gegen eine solche Vorstellung, die Dietrich Bonhoeffer mit dem treffenden Begriff „Lückenbüßer-Gott“ bezeichnet hat. Für Wissenschaftler ist eine solche Vorstellung ein ernsthaftes Problem und im Extremfall sogar lebensgefährlich: Wenn naturwissenschaftliches Nichtwissen beliebig mit religiösen Behauptungen aufgefüllt wird, dann wird jede neue wissenschaftliche Erkenntnis zwangsläufig zur Häresie. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Schöpfungsmythen oder um die grundlegenden Zusammenhänge der Welt geht. Die historischen Beispiele von Galileo und Darwin drängen sich auf, aber grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass sich auch die Vorstellung von Gott als Auslöser des Urknalls über die Jahrzehnte zu einem Dogma entwickeln könnte, dessen Widerlegung Empörungsstürme bis hin zu Morddrohungen auslösen würde.
An der Maharishi European Research University (MERU) wollte der Chemiker Klaus Volkamer 1987 in vermeintlichen minimalen Gewichtsschwankungen verschweißter Glasampullen die Wirkung dunkler Materie nachgewiesen haben. Eine Erklärung, warum die dunkle Materie nur in bestimmte, aber nicht in andere Glasampullen kriechen sollte, blieb er schuldig. In den folgenden 30 Jahren tourte er mit „feinstofflichen“ Erweiterungen praktisch aller Naturwissenschaften durch die Esoterikszene. Neben den Maharishis taucht Quantenquark in letzter Zeit auch zunehmend im Umfeld der Hare-Krishna-Bewegung auf.
Pseudowissenschaft in neureligiösen Bewegungen beschränkt sich jedoch nicht auf Gruppen aus dem hinduistischen Umfeld und, offensichtlich, die Scientologen, wenn man diese denn wirklich als religiöse Gruppierung betrachten will. Einige Anhänger von Christian Science betrachten ihren Kult offensichtlich allen Ernstes als Medizin und sehen – das hingegen wenig überraschend – Zusammenhänge vor allem mit der Homöopathie. In einer Zeitschrift der dem Christentum nahestehenden Bewegung Universelles Leben erklärte der Arzt Manfred Doepp, hinter Antibiotika und Impfungen stecke „mangelndes Vertrauen zur Führung durch Gott“.
Das Prinzip, dass man nicht jeden Unsinn für wahr erklären darf, nur weil die Wissenschaft etwas nicht weiß, gilt natürlich nicht nur für die Religion. Das gleiche trifft auch auf Nassim Haramein zu, wenn er die Tatsache, dass zwei unterschiedliche Messmethoden unterschiedliche Ergebnisse für den Radius eines Protons ergeben, nutzt, um seine absurden Vorstellungen vom Proton als schwarzem Loch für valider als das Standardmodell zu erklären. Hohle-Erde-Gläubige argumentieren ähnlich, wenn sie wissenschaftliche Diskussionen unter Geophysikern über die Ursache einzelner Reflektionsherde von Erdbebenwellen im Boden, sogenannte bright spots, als Beleg für ihre kruden Thesen anführen. Kreationisten nutzen jede spannende Forschungsfrage innerhalb der Evolutionsbiologie, um zu erklären die Evolution sei umstritten.
Nein. Dass es irgendwo in der Wissenschaft offene Fragen gibt, über die diskutiert und an denen geforscht wird, heißt nicht, dass sämtliche Ergebnisse dieses Forschungsgebiets falsch sind. Es heißt auch nicht, dass man als Antwort auf diese Frage einfach irgendeine beliebige Behauptung als erwiesen hinstellen darf, auch nicht eine, an die schon vor 2000 Jahren irgendwer in Vorder- oder Südasien geglaubt hat. So leid es mir tut, es heißt auch nicht, dass stattdessen zwangsläufig Ihre ganz persönliche Privattheorie stimmt, nach der sämtliche Elementarteilchen winzige, in unterschiedlichen Pinktönen eingefärbte und telepathisch kommunizierende Einhörner sind. Es heißt noch nicht einmal, dass das Universum dadurch entstanden ist, dass es vom großen grünen Arkelanfall ausgeniest wurde.
Dass es in der Wissenschaft offene Fragen gibt, heißt einfach nur, dass die Wissenschaft noch lebendig ist, dass es noch etwas zu forschen und zu entdecken gibt – und genau das macht die Wissenschaft so viel interessanter als alle Dogmen und Heilslehren.