Im Artikel
hatte ich ja schon angekündigt, auf den Quark von Professor Claus Turtur noch einmal näher einzugehen. Turtur behauptet, dass man Energie aus dem Nichts erzeugen könne – und dass sich das mit der Quantenfeldtheorie begründen ließe.
Inzwischen hat aber noch ein anderer Akteur aus dem gleichen Artikel von sich reden gemacht: Auch wenn er in den Originalquellen namentlich nicht genannt ist, deutet alles darauf hin, dass es Ernst Köwing, der Honigmann, ist, der demnächst eine Haftstrafe wegen Volksverhetzung antreten darf. Nach der ersten Verurteilung 2013 hatte das Gericht dieses Mal offenbar genug gesehen, um die Strafe nicht wieder zur Bewährung auszusetzen. In diesem Blog war Köwing vor allem mit dem Verschwörungsgeschwurbel aufgefallen, das CERN werde vom Vatikan kontrolliert und solle ein Portal öffnen, um eine Invasion durch Außerirdische zu ermöglichen.
Ein weiterer Kopf der braun-esoterischen Szene, mit dem ich mich hier schon beschäftigen musste, hatte auch keine so gute Woche vor Gericht. Peter I., oberster Souverän des Königreichs Deutschland, gilt für seine verschwundenen 1,3 (oder mehr) Millionen Anlegergelder wohl als voll schuldfähig. Der Gutachter hält ihn zwar für narzisstisch gestört, aber dem selbstgekrönten Monarchen fehle es nicht an Einsichtsfähigkeit, sondern nur an Einsicht. Zu der könnte ihn ein längerer Aufenthalt hinter Gittern ja möglicherweise führen.
Zur Einsicht scheint mir aber vor allem die deutsche Justiz im Umgang mit solchen Leuten allmählich zu gelangen…
Schließlich noch eine Leseempfehlung vorneweg: Auf Krautreporter hat sich gestern Jakob Herpich kritsch mit „Menschlichen Energiefeldern“ und Rechtfertigungsversuchen unter Berufung auf den deutschen Nachkriegsphysiker Burkhard Heim beschäftigt. Mehr zu Burkhard Heim gibt es unter anderem von mir auf der SkepKon zu hören, in der Urania Berlin vom 29. April bis 1. Mai. Mein Vortrag ist am 30. April nachmittags, in einer Session mit Martin Lambeck, der dort ebenfalls über ein Quantenquark-Thema spricht.
Aber kommen wir zu Herrn Turtur. Es handelt sich dabei nicht um die literarische Figur sehr ähnlichen Namens, die ebenfalls die Eigenschaft hat, immer unbedeutender zu werden, je genauer man hinsieht. Vielmehr ist Claus Wilhelm Turtur Professor für Experimentalphysik und Werkstofftechnik, beschäftigt in der Fakultät Elektrotechnik an der Ostfalia Hochschule in der Naturwissenschaftsmetropole Wolfenbüttel. Wenngleich Turturs Themen vordergründig unpolitisch sind, ist es schon interessant, in welchem Millieu er sich so herumtreibt: Wie schon im vorhergehenden Artikel erwähnt, trat er auf derselben Antizensurkonferenz in der Schweiz auf, auf der auch Sylvia Stolz ihre jüngste Volksverhetzung beging. Außerdem publiziert Turtur im Kopp-Verlag, dessen prominent platzierte Bücher gerade in den vergangenen Tagen der Buchhandelskette Hugendubel ordentlich Ärger eingebracht haben. Turtur trat auch 2016 auf dem ersten großen Kopp-Kongress auf und verlinkt den rechtsesoterischen Verlag ganz ungeniert von der Homepage seiner Hochschule.
Nun muss man von einem Professor aus den Ingenieurwissenschaften ja nicht zwangsläufig besondere politische Sensibilität erwarten, aber wer ein Buch mit dem Titel „Prüfungstrainer Physik“ geschrieben hat, von dem erwarte ich wenigstens ein gewisses Grundverständnis von… naja, eben von Physik. Da ist es doch sehr überraschend, dass Professor Turtur öffentlich behauptet, man könne Energie aus nichts erzeugen. Den meisten Menschen ist heutzutage klar, dass so etwas (ein perpetuum mobile) nicht funktioniert, und in seinem Prüfungstrainer stellt Turtur die Energieerhaltung auch nicht in Frage, sondern argumentiert selbst immer wieder damit. Da muss er also kreativ werden, um zu begründen, wo seine angebliche Energie denn herkommt – er muss dem Nichts also einen Namen geben.
Gelegentlich spricht Turtur dabei von einer „Raumenergie“, die man nutzen könne. Dabei handelt es sich um einen Phantasiebegriff, von dem ich in der seriösen Physik noch nie gehört habe. Parallel spricht er aber auch von der Vakuumenergie oder der Nullpunktsenergie des Vakuums, die er mittels des sogenannten Casimir-Effekts nutzen will. Diese Begriffe gibt es in der Physik tatsächlich, und die haben sogar etwas miteinander zu tun. Da lohnt es sich dann doch, mal einen genaueren Blick darauf zu werfen, was sich hinter diesen Begriffen nun eigentlich verbirgt. Wer es genau wissen will, dem sei dieser ausführlichere Artikel vom sehr geschätzten Martin Bäker („Hier wohnen Drachen“ auf Scienceblogs) empfohlen. Ich werde es hier deutlich kürzer und einfacher belassen.
Was Nullpunktsenergie an sich ist, hatte ich schon einmal erklärt: Das ist die Energie, die ein quantenmechanisches System wegen der Unschärferelation immer noch haben muss, nachdem man ihm alle entnehmbare Energie entnommen hat. Da sie eben nicht entnehmbar ist, kann man sie auch nicht nutzen, womit eigentlich schon klar sein sollte, dass sie als Ausrede für Turtur nicht taugt.
Mit der Quantenfeldtheorie wurde dann klar, dass auch das Vakuum eine Nullpunktsenergie hat, und die bezeichnet man, wenig überraschend, als Vakuumenergie. Rein rechnerisch ist die Vakuumenergie sogar beliebig groß. Weil man ihr aber weder etwas hinzufügen noch etwas wegnehmen kann, ist ihre absolute Größe aber für messbare Werte letztlich ziemlich egal. Das bedeutet aber nicht, dass die Vakuumenergie keine Effekte hätte. Sie äußert sich in sogenannten Vakuumfluktuationen: Im Vakuum (und damit auch überall sonst) entstehen und vergehen aus der Vakuumenergie ständig virtuelle Teilchen und Antiteilchen. Die wiederum stehen in Wechselwirkung mit den Teilchen, deren Kollisionen wir in Experimenten messen können, und wenn man die Ergebnisse dieser Kollisionen sehr genau vorausberechnen will, muss man die Vakuumfluktuationen als Korrekturen berücksichtigen.
Viele Physiker, darunter die Skeptiker-Ikone Lawrence Krauss halten es für plausibel, dass sogar das ganze Universum nicht weiter ist als eine riesige und glücklicherweise ziemlich langlebige Vakuumfluktuation:
Es gibt noch einen weiteren experimentellen Effekt, der auf Basis der Vakuumenergie vorhergesagt wurde. Die virtuellen Teilchen und Antiteilchen wandeln sich nämlich auch in elektromagnetische Wellen um, die eine Wellenlänge haben. Bringt man jetzt zwei Platten im Vakuum sehr dicht zusammen, dann können durch die Vakuumfluktuationen zwischen diesen Platten nur solche Wellen entstehen, deren Wellenlänge kurz genug ist, um zwischen die Platten zu passen. Außerhalb der Platten sind alle Wellenlängen möglich. Dort gibt es also mehr Vakuumfluktuationen als dazwischen, was dazu führt, dass die Platten minimal zusammengedrückt werden. Dieser Effekt wurde von Hendrik Casimir 1948 vorhergesagt und ist deswegen als Casimir-Effekt bekannt.
Professor Turtur behauptet nun in seinen Vorträgen, Casimir sei damals ausgelacht und der Effekt erst 1997 experimentell nachgewiesen worden:
Das ist vollkommener Unsinn. Hendrik Casimir wurde für diese und viele andere Erkenntnisse, zu denen er beigetragen hat, geradezu mit Ehrungen überhäuft, und erste experimentelle Bestätigungen werden schon in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1954 beschrieben. Wie in Martin Bäkers schon erwähntem Artikel zu lesen ist, gibt es inzwischen auch theoretische Erklärungen zum Casimir-Effekt, die ohne die Vakuumenergie auskommen – es ist also nicht mehr so ganz klar, ob beide Effekte wirklich zusammengehören.
Kann man aber nun mit dem Casimir-Effekt Energie gewinnen? Es gibt ja eine Kraft, die die Platten zusammendrückt. Gibt man dieser Kraft nach und bewegt die Platten noch näher zusammen, wird dabei natürlich Energie frei, ähnlich wie eine alte, mechanische Wanduhr Energie daraus erhält, dass sich ihre Gewichte im Laufe der Zeit absenken. Soll die Uhr längerfristig laufen, muss man die Gewichte natürlich wieder hochziehen. Dazu braucht man genau die Energie, die die Gewichte beim Absenken abgegeben haben, und genau das passiert mit den Platten beim Casimir-Effekt. Um sie wieder auseinanderzubewegen braucht man ebensoviel Energie, wie beim Zusammenbringen frei wurde, und am Ende gewinnt man – nichts.
Jetzt kommt Professor Turtur auf einen Trick, den er für genial hält: Er will eine der Platten durch eine Art Rotor aus schrägen Teilplatten ersetzen und meint, durch die Anziehungskräfte müsste dieser in Drehung versetzt werden. Das ist aber genauso, als wolle man ein Windrad mit eisernen Flügeln dadurch in Drehung versetzen, dass man einen Magneten vor das Rad hält: Da bewegt sich nichts. Das Windrad bewegt sich erst dadurch, dass etwas an ihm vorbeiströmt (oder man zum Beispiel den Magneten bewegt, was wieder Energie erfordert). Beim Casimir-Effekt strömt aber nichts – das ist ein rein statischer Effekt zwischen den Platten.
Mit dem Unterschied von statischen und dynamischen Effekten scheint der Herr Professor ohnehin seine Probleme zu haben. Auf seiner Institutsseite hat er einen Artikel, in dem er die gesamte Theorie seiner Energiegewinnung aus Vakuumenergie darstellt. Als Grundlage berechnet er die Energie bewegter elektrischer Ladungen und der daraus resultierenden veränderlichen elektrischen Felder nach der Elektrostatik, also der Theorie unbewegter Ladungen und unveränderlicher Felder. Dabei findet er eine Differenz zwischen erwarteter und errechneter Energie – kein Wunder, wenn man die falsche Theorie verwendet. Für Turtur ist das aber der Beweis für die gesuchte Vakuumenergie. Anschließend treibt er fast identischen Unfug mir der Relativitätstheorie: Er berechnet, wie sich ein unveränderliches elektrisches Feld mit Lichtgeschwindigkeit im Raum ausbreitet. Ein unveränderliches Feld breitet sich aber nicht aus – es ist die ganze Zeit da, weil eben unveränderlich. Ausbreiten könnte sich nur eine Veränderung des Feldes – dafür ist dann aber mal wieder die Elektrostatik der falsche Ansatz.
Könnte einem auffallen, wenn man Professor in der Elektrotechnik ist…
Natürlich behauptet Professor Turtur auch noch, einen experimentellen Nachweis für seine Energieerzeugung gefunden zu haben. Dabei soll sich ein auf Öl schwimmender Rotor von wenigen Gramm Masse unter dem Einfluss einer Hochspannung von fast 30.000 Volt in einer Stunde ungefähr einmal um die eigene Achse gedreht haben. Turturs Versuchsanordnungen aus Materialien wie Streichhölzern, Aluminiumfolie und aus Baukästen für Kinder wirken allerdings wie Vorrichtungen zur Maximierung von Messfehlern, so dass man aus dem am Ende resultierenden kleinen Differenzen von großen Zahlen absolut nichts herauslesen kann.
Zu diesem Ergebnis kamen auch zwei Turtur eigentlich eher zugetane Bastler aus Österreich beim Versuch, seine Ergebnisse zu reproduzieren.
Das sollte dann auch eigentlich der Punkt sein, wo man Turturs Phantastereien endgültig zu den Akten legen sollte. Und tatsächlich schreibt er auf seiner Website, genau das hätte er wenigstens vorläufig getan:
Bedauerlicherweise hält ihn das nicht davon ab, sich in seiner online verfügbaren Präsentation als Opfer hinzustellen, zu behaupten, die Physik hätte Angst vor der Raumenergie und seine Wundertechnologie werde im Auftrag der Energiewirtschaft unterdrückt.
Irgendwie kann er einem tatsächlich leid tun.