Von „Quantenterroristen“ handelte vor ein paar Tagen ein kurzer Artikel in der Süddeutschen Zeitung, und beim Lesen konnte man den Eindruck gewinnen, in der Zukunft könnten drei Terroristen in der Lage sein, allein durch das Senden falscher Daten das gesamte Internet auszulöschen. Wenn man bedenkt, welche Prozesse in unserer modernen Kultur alle vom Internet abhängen, muss man klar sagen, das wäre eine Horrorvision.
Rein formal ist der Artikel, der bezeichnenderweise nicht im Wissenschaftsteil, sondern im Feuilleton erschienen ist, journalistisch vertretbar: Unter der Rubrik „Gehört, Gelesen, Zitiert“ gibt er, überwiegend in Form eines sehr langen Zitats, Inhalte aus einem Online-Artikel des MIT Technology Review wieder. Als Leser würde ich aber eigentlich erwarten, dass eine Zeitung die Sinnhaftigkeit eines solchen Artikels prüft, bevor sie Auszüge davon unkommentiert wiedergibt. Das gleiche könnte man natürlich auch von einem Spezialmedium wie dem MIT Technology Review erwarten, bevor es den Artikel überhaupt publiziert.
Der Technology-Review-Artikel ist in einer Rubrik erschienen, die „die neuesten Ideen und Technologien“ darstellen soll, die auf dem Physics arXiv Preprint Server erscheinen. Dort können Wissenschaftler Artikel einstellen, die noch nicht zur Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift angenommen sind, also noch nicht erfolgreich einen Peer Review durchlaufen haben. Über Ideen aus solchen noch nicht offiziell veröffentlichten Artikeln zu schreiben, soll offenbar den Eindruck erwecken, der Technology Review sei besonders am Puls der Zeit. Tatsächlich handelt es sich bei dem Fachartikel, auf den sich das Magazin beruft, ausdrücklich um ein sogenanntes working paper – die Autoren wissen also, dass ihre Ergebnisse noch nicht ausgegoren sind, und sie bitten um Kommentare und Anregungen von Fachkollegen, bevor sie überhaupt eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift anstreben. Dass sich Inhalte aus einer solchen Diskussionsgrundlage innerhalb weniger Tage ohne jegliche Einordnung in der Süddeutschen Zeitung wiederfinden, ist dann schon einigermaßen skurril.
Wie in so vielen Fällen, in denen in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild der Physik entsteht, liegt das Problem aber nicht nur darin, wie über Wissenschaft berichtet wird, sondern auch in der Art und Weise, wie die Wissenschaftler selbst über ihre Arbeit kommunizieren – und vor allem, wie sie sie verkaufen. Der Begriff des „Quantenterrorismus“ stammt nämlich tatsächlich aus dem besagten working paper der Wissenschaftler, die von Technology Review und Süddeutscher Zeitung an der renommierten George Washington University verortet werden, obwohl drei von vier Autoren des Artikels in Kolumbien tätig sind. Den schillernden Begriff haben sich die Autoren offensichtlich selbst aus den Fingern gesogen, denn gebräuchlich ist er für die im Artikel beschriebene Problematik nicht. Sucht man danach im Netz, dann findet man neben Berichterstattung über ihren Text eigentlich nur eine bizarre palästinensische Machtphantasie über das Durchtunneln eines Menschen durch die „Apartheidmauer“ südlich von Jerusalem in einem antiisraelischen Hetzblog.
Worum geht es aber nun eigentlich? Die Autoren schreiben über die prinzipielle Möglichkeit, ein sogenanntes Quantennetzwerk dadurch zu sabotieren, dass mehrere Teilnehmer gleichzeitig in abgestimmter Form unsinnige Informationen in das Netzwerk einspeisen. Das könnte die Information in dem Quantennetzwerk so stören, dass nicht einmal zu rekonstruieren wäre, wer die störende Information eingebracht hat. Für ein Quantennetzwerk mit vielen unabhängigen Teilnehmern wäre das (wenn es denn stimmt) logischerweise eine echte Bedrohung.
Um das Bedrohungsszenario jetzt realistisch einschätzen zu können, muss man sich zunächst einmal ansehen, was ein solchen Quantennetzwerk eigentlich ist, oder besser wäre, denn bis jetzt gibt es so etwas schlichtweg nicht. Ein Quantennetzwerk, wie es die vier Wissenschaftler in ihrem Artikel voraussetzen, bestünde aus Quantencomputern an verschiedenen Orten, deren gespeicherte Quanteninformationen über quantenmechanische Verschränkungen verbunden sind. Ich verspreche, den schon lange angekündigten Missverquanten-Artikel über Verschränkung schreibe ich auch noch. Über Quantencomputer habe ich im Buch ein bisschen geschrieben, aber hier im Blog noch nichts wirklich Grundlegendes, insofern kann ich auch dazu und zu den damit verbundenen Problematiken nur auf Wikipedia und zusammenfassende Artikel in populärwissenschaftlichen Medien (halbwegs aktuell z.B. hier) verweisen. Durch die Quantenverschränkung wäre man nicht darauf angewiesen, die Ergebnisse der einzelnen Quantencomputer zu messen und als klassiche Daten zu übertragen. Vielmehr könnte man verlustfrei die Quantenzustände übertragen – das Netzwerk verhielte sich also letztlich wie ein einziger, großer Quantencomputer. Die Vorstellung, dass unsinnige Eingaben von mehereren Nutzern gleichzeitig in einem Computer diesen zum Erliegen bringen können, erscheint dann schon weniger überraschend als ein Zusammenbruch des ganzen Internets.
Die Autoren des working papers zitieren nun einige aktuelle Artikel aus namhaften wissenschaftlichen Zeitschriften, in denen solche Quantennetzwerke als Quanteninternet bezeichnet werden. Da es um eine gegebenenfalls auch internationale Vernetzung von Computern geht, wie sie heute in der Regel über das Internet erfolgt, ist diese Begriffsfindung zunächst einmal auch nicht unbedingt sehr weit hergeholt.
Der Begriff des Quanteninternets wird allerdings regelmäßig, auch im MIT Technology Review, ebenso für die Verwendung von Quantenkryptographie zur abhörsicheren Kommunikation zwischen ganz normalen Computern verwendet. Bei der Quantenkryptographie wird durch die gleichzeitige Verwendung einer Quantenverschränkung und einer ganz normalen, klassischen Datenübertragung sichergestellt, dass die Kommunikation zwischen den beiden Rechnern nicht unbemerkt von einem Dritten abgehört werden kann. In der technischen Umsetzung haben Quantennetzwerke und Quantenkryptographie das gemeinsame Problem, dass sie auf Technologien angewiesen sind, die Quantenverschränkungen zuverlässig über große Distanzen erzeugen können. Bislang existieren solche Technologien nur als experimentelles proof of principle. Daher tauchen zu beiden Themen in den Medien regelmäßig dieselben Experten auf, und auch innerhalb von Artikeln oder Interviews werden Quantennetzwerke und Quantenkryptographie in jüngster Zeit regelmäßig unter dem Schlagwort „Quanteninternet“ oder gar „Web Q.0“ durcheinandergeworfen.
Diese marketingoptimierte Schlagwortbildung aus der Wissenschaft hat aber ein massives Problem. Dass Quantenkryptographie überhaupt funktionieren kann, beruht auf dem sogenannten No-Cloning-Theorem: Nach grundlegenden Prinzipien der Quantenmechanik ist es unmöglich, einen Quantenzustand zu duplizieren. Daher würde der Spion, der neben den verschlüsselten Daten auf dem klassischen Informationskanal auch den über die Quantenverschränkung übermittelten Schlüssel belauschen will, sich dadurch verraten, dass er die Übermittlung des Schlüssels stört. Was für die Quantenkryptographie grundlegend ist, ist für Quantencomputer und Quantennetzwerke aber ein Problem. In einem Quantennetzwerk kann es keine Redundanz geben, keine Sicherheitskopien, keine parallelen Verbindungen. So ist es wenig überraschend, dass es relativ einfach ist, ein solches Quantennetzwerk zu stören, wie eben auch der Lauscher in der Quantenkryptographie sich dadurch verrät, dass er die Verbindung stört. Genau das macht aber die gedankliche Verbindung mit dem Internet hochgradig problematisch.
Was das Internet von allen schon vorher existierenden Computernetzwerken unterscheidet, ist ja gerade seine hohe Redundanz. Das Internet hat keinen Zentralrechner, den man sabotieren könnte. Vielmehr besteht es aus einer Vielzahl voneinander unabhängiger Knoten, die auf unterschiedlichen Wegen direkt und indirekt miteinander verbunden sind. Einen solchen Knoten kann man natürlich sabotieren, und natürlich kommt es auch ohne Sabotage vor, dass solche Knoten ausfallen. Das führt in der Regel dazu, dass Nutzer eines oder auch mehrerer Anbieter in einer Region keinen Zugang zum Internet mehr haben – aber der Rest des Netzes funktioniert auch ohne diesen Knoten. Es gibt auch bestimmte neuralgische Verbindungen, zum Beispiel durch bestimmte Unterseekabel, deren Ausfall dazu führen würde, dass die Datenübertragung über parallele Verbindungen deutlich langsamer würde – allerdings sind auch diese Engpässe über die letzten 20 Jahre deutlich weniger und die Alternativen vielfältiger geworden.
Grundsätzlich können einzelne Systeme aber natürlich immer versagen, und das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft so bleiben. Bei Quantencomputern kommt noch das Problem hinzu, dass man die Quantenzustände zu ihrer Erhaltung komplett und über die gesamte Laufzeit der Berechnung von der Außenwelt abschirmen muss, um Dekohärenz und damit das Ende der Verschränkung und des ganzen Quantenzustandes zu vermeiden. Daher dürfte auch (oder vielmehr gerade) den Wissenschaftlern, die in ihren Veröffentlichungen regelmäßig von „dem Quanteninternet“ schreiben, klar sein, dass es ziemlich idiotisch ist, anzunehmen, dass ein einzelnes Quantennetzwerk die Rolle des gesamten heutigen Internets übernehmen könnte. Viel plausibler ist die Annahme, dass beim Funktionieren der entsprechenden Technik immer mehr spezialisierte Quantennetzwerke entstehen könnten, teils zur Geheimhaltung weitgehend getrennt, teils integriert in ein weiterhin redundantes, klassisches Netz von Netzwerken wie dem heutigen Internet. Die Arbeit der vier Forscher aus Washington und Bogotá legt jetzt nahe, dass es für die Teilnehmerzahl an einem solchen einzelnen Quantennetzwerk Grenzen des Sinnvollen und Sicheren gibt – und dass diese Grenzen möglicherweise enger sind, als das viele Fachkollegen bisher angenommen haben. Das klingt nicht ganz so spektakulär wie der Quantenterrorismus, ist aber definitiv ein interessantes Ergebnis.
Hätten die über ihre Arbeit publizierenden Wissenschaftler realistisch von Quantennetzwerken und von Sabotage darin anstatt vom Quanteninternet und von Quantenterrorismus geschrieben, dann wäre ein problematisches Zerrbild von Physik und Technologie vermieden worden. Dann hätten sie es aber natürlich auch nicht in die Süddeutsche Zeitung geschafft.