Mal wieder ein Schwurblerkongress in einer öffentlichen Einrichtung

In den letzten Jahren musste ich mich ja schon mehrfach darüber aufregen, dass Kongresse mit Inhalten von Quantenheilung über Verschwörungstheorien bis Reichsbürgerpropaganda in von Steuergeldern gebauten Stadthallen und Konferenzzentren stattfinden durften.

Dieses Jahr ist es mal wieder soweit – mit dem dritten derartigen Kongress innerhalb von zwei Jahren in immer derselben städtischen Halle in Bergheim, weswegen ich dieses Mal einen offenen Brief an den Bürgermeister verfasst habe, für den ich auf die Schnelle 26 Mitunterzeichner gefunden habe – von Bürgern aus der Region bis zu Europas wohl renommiertestem Professor für Alternativmedizin.  Ein paar Hintergrundrecherchen gab es für die Kommune auch noch. Mal sehen, was daraus wird.

Offener Brief Bürgermeister Bergheim

Recherchen Akasha-Congress

Update 25.1.18: Inzwischen gibt es eine Reaktion der Stadt, in bester Tradition dessen, was man in Amerika als CYA (cover your ass) bezeichnet… nur leider ohne das eigentliche Problem zu erkennen.

Man könnte ja sagen, in so einer Situation könnte man auch die Stadt erst einmal vertraulich auf die problematische Veranstaltung aufmerksam machen, ehe man an die Öffentlichkeit geht. Leider zeigt unsere Erfahrung mit ähnlichen Veranstaltungen in Hessen, dass man da nicht einmal als örtlicher Bürger eine vernünftige Antwort erhält. Zudem ist die Stadt Bergheim ja sozusagen Wiederholungstäter, und Proteste gab es schon gegen den Quer-Denken-Kongress dort 2016.

Vordergründig handelt es sich beim Akasha-Congress um eine reine Altenaivmedizinveranstaltung ohne offensichtliche politisch extremistische Inhalte. Nicht, dass der medizinische Unsinn nicht schlimm und gefährlich genug wäre. Eine Frau Grünberg hält einen Vortrag mit dem Titel: „Brustkrebs mit Metastasen – na und?“.  Der Heilpraktiker Rainer Körner vermarktet sein „BioLogisches Heilwissen“, das er, wie er auf seiner eigenen Homepage schreibt, aus Ryke Geerd Hamers Germanischer Neuer Medizin entwickelt hat. Gleich drei Referenten kommen aus der MMS-Szene: Ätzende Bleichmittel als angebliche Medizin. Dazu ist vom GWUP-Blog bis zu Publikumsmedien und Behörden inzwischen so viel geschrieben worden, dass ich mir das an dieser Stelle denke ich sparen kann – auch wenn man beim Kopp-Verlag Bücher bestellen kann, die meinen, auch da ginge Probieren über Studieren. Klar, man kann auch probieren, ob es wirklich gefährlich ist, an eine Hochspannungsleitung zu fassen… aber halt nur einmal. Die Kongressreferentin Kerri Rivera praktiziert übrigens eine Form von MMS-Wahn, die ich immer für aufgebauschte Einzelfälle einiger Verwirrter gehalten habe: In ihrer Klinik in Mexiko traktiert sie autistische Kinder mit Chlorbleiche-Einläufen. Und nur für den Fall, dass jemand in diesem Kontext den Quantenquark vermisst: Mit von der Partie ist natürlich auch wieder Enrico Edinger, dessen bizarre Ansammlung akademischer Titel von lustigen Instituten aus Russland jedes Jahr anders auszusehen scheint – vermutlich aus juristischen Gründen. Ob Edinger in seinem Verfahren wegen Betrugs und Titelmissbrauchs vor zwei Jahren eigentlich verurteilt worden ist, kann ich auf die Schnelle nicht herausfinden. Wie schon beim letzten Akasha-Kongress 2016 (auch in Bergheim) und bei Reichsbürger-Aktivist Michael Vogts Quer-Denken-Kongressen 2014, 2015 und 2016 (letzterer auch in Bergheim) und geplant auch für den Gießener WIR-Kongress 2016 erzählt Edinger von der Überlegenheit russischer Weltraummedizin. Er wird also wahrscheinlich mal wieder seinen ENKI Disconder vermarkten, den man sich zum Preis von 1800 Euro um den Bauch binden kann, um die Quanteninformationen seines Unterbewusstseins umzuprogrammieren. Vielleicht stellt er ja auch seine ENKI-Bandanahaube zum Preis von 180 Euro vor, über die im Shop irgendwas mit Infrarotstrahlung fabuliert wird und die wohl tatsächlich funktioniert – als Mütze jedenfalls.

Auch wenn es oberflächlich so aussieht, als wäre das alles – der Akasha-Congress hat auch eine Anzahl höchst bedenklicher politischer Bezüge. Aufgefallen ist mir das zugegebenermaßen selbst als erstes, weil mich das Webdesign irgendwie an den verhinderten WIR-Kongress in Gießen erinnerte, bei dem ja auch Reichsbürger-König Peter Fitzek eine Audienz zugesagt hatte, die er aber ohnehin nicht hätte geben können, weil er da schon im Knast saß.

Akasha-Congress:

WIR-Kongress:

Ja, der Motivations-Betz, der zu meistgefragen Themen bei Sekteninfo NRW gehört, ist auch wieder dabei, aber ich kann mich irgendwie nicht dazu bringen, den interessant zu finden. Da gibt es Schlimmeres.

Die Kongresswebsite schreibt selbst, dass die Moderatorin Vesna Kerstan ihre Karriere bei Jan van Helsings Verschwörungskanal secret.tv begonnen hat – ja, der van Helsing, dessen bekanntestes Buch jahrelang als volksverhetzend beschlagnahmt war. Referent Enrico Edinger berichtet auf der Seite seiner eigenen Firma, dass er schon auf einer Veranstaltung des Honigmanns gesprochen hat, der wegen seiner unbelehrbaren Vorliebe für nationalsozialistische Symbole gerade zur Zeit eine Haftstrafe absitzt. Auf den Referenten Karl Probst berufen sich nicht nur die Vertreter der Germanischen Neuen Medizin. Psiram berichtet noch über ein paar Leichen aus seinem Keller, die ich nach so langer Zeit leider nicht mehr nachrecherchieren kann. Er soll schon 2004 gegenüber seinen Patienten Reichsbürgerideologie vertreten haben (als die noch kaum einer kannte), und weil er demnach auch seine Steuern nicht zahlen wollte, soll es in einem Ermittlungsverfahren des bayerischen Staatsschutzes auch eine Hausdurchsuchung bei ihm gegeben haben. Darüber soll er sich dann auch noch im Neuschwabenlandforum des unfreiwilligen Verschwörungstheorie-Internetstars Dr. Axel Stoll ausgelassen haben. Anfangs- und Schlussredner des letzten Akasha-Kongresses 2016, auch in Bergheim, waren Jo Conrad und Michael Vogt, die Initiatoren der Reichsbürgerkongresse Aufbruch Gold-Rot-Schwarz. Gerade über Vogt habe ich hier ja eigentlich schon genug geschrieben. Die Akasha-Congress-Website verlinkt auch noch ein Video von Initiator Ali Erhan im Interview mit Jo Conrad auf dessen Kanal bewusst.tv und ein Video von Stein-Zeit.tv. Andere Gäste auf Stein-Zeit.tv dürfen regelmäßig über „Die Souveränitätslüge“ fabulieren, unwidersprochen behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei eigentlich kein Staat oder für den „Freundeskreis Heimat und Recht“ werben.

Bei Reichsbürgern hört der Spaß nun wirklich auf.

Wobei, die Akasha-Congress-Website verlinkt ja auch diverse Sendungen des Onlineradios Okitalk, und wenn ich auf youtube sehe, wie Okitalk noch im Januar 2018 Werbung für die vom Insolvenzverwalter zerfledderten Reste von Peter Fitzeks Königreich Deutschland macht, während der im Knast sitzt, muss ich doch wieder lachen.

 

 

Missverquanten (1): Der Beobachtereffekt

„Die moderne Quantenphysik zeigt uns unabweisbar, dass bereits das
bloße Beobachten eines Vorganges, bereits dessen Verlauf verändert,“ schreibt die Hebamme Kiria Vandekamp. „Deshalb sollte eine Frau auch keine Personen während der Geburt um sich haben, die nicht daran glauben, dass sie natürlich und lustvoll gebären kann.“

Eine solche Behauptung ist nicht nur eine Zumutung für all jene Frauen, für die eine Geburt in erster Linie mit kaum erträglichen Schmerzen verbunden ist. Ein ungutes Gefühl im Bauch bekommt man schon, wenn man mit solchen Erklärungen konfrontiert ist und wenigstens ein vages Verständnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge hat. Irgendetwas kann da ja nicht stimmen – aber was? Einen Beobachtereffekt gibt es in der Quantenphysik doch tatsächlich.

Bislang habe ich mir hier im Blog kaum Platz gelassen, solche Begriffe wirklich zu erklären. Überwiegend sind die Artikel hier eher längere Zusammenstellungen von besonders haarsträubenden Beispielen dieser Art von Quantenunsinn, wobei ich üblicherweise nur in kurzen Anmerkungen darauf eingehe, was wirklich hinter den jeweils missverstandenen oder missbrauchten Begriffen steckt. Dafür verweise ich naheliegenderweise gerne auf das Quantenquark-Buch, in dem ich mehr Platz habe, derlei Zusammenhänge zu erläutern, oder ich verlinke ausführlichere Artikel reiner Physik-Blogger, zum Beispiel im großartigen Hier wohnen Drachen von Martin Bäker. Dort sind die Darstellungen oft detaillierter als hier, und Martin Bäker ist eben auch ein richtig solider theoretischer Physiker. Sie erfordern aber mitunter schon gewisse Vorkenntnisse, und auch bei den Drachen findet sich nicht unbedingt immer ein geeigneter, allgemeinverständlicher Artikel zu genau dem gesuchten Thema. Schließlich könnte es hier ja auch tatsächlich Blogleser geben, die sich unverschämterweise nicht mein Buch kaufen wollen… Kurz, wenn ich hier schnell irgendwo auf Erklärungen zu regelmäßig wiederkehrenden Stichworten wie „Beobachtereffekt“, „Verschränkung“, „Welle-Teilchen-Dualismus“ oder ähnlichem verweisen will, finde ich hier zwar Artikel, in denen diese Effekte vorkommen, aber kaum eine grundsätzliche, systematische Erklärung, und die, die sich außerhalb finden, sind nicht unbedingt immer so, wie ich sie schreiben würde.

Ich möchte also in nächster Zeit in loser Folge immer mal auf eins dieser Stichworte etwas genauer eingehen, allein schon, damit ich in Zukunft selbst einfach darauf verlinken kann. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen ja auch in der nächsten Facebook-Kommentarschlacht. In diesen Artikeln kann ich dann mein Lästermaul nicht ganz so ausgiebig auf schlechte Beispiele loslassen, aber keine Sorge, das kommt auch wieder. Ich habe ja auch diesen Artikel erst mal mit einem besonders unappetitlichen Quarkstückchen angefangen, und es werden auch noch ein paar am Ende kommen.

Jetzt aber: Was ist nun eigentlich der Beobachtereffekt?

Zunächst einmal muss man sich klar machen, dass sich die Quantenmechanik eben nicht wie die klassische Physik mit den Objekten unseres Alltags beschäftigt. Die kann man zwar theoretisch auch quantenmechanisch modellieren, aber das wird beliebig kompliziert, und man käme am Ende zum exakt gleichen Ergebnis wie mit der viel einfacheren klassischen Beschreibung. Gebraucht wird die Quantenmechanik, wenn man es mit einzelnen Elementarteilchen oder relativ kleinen Systemen solcher Teilchen bis maximal ungefähr zur Größe etwa eines Moleküls zu tun hat. Am Rande bemerkt, so ein Molekül ist schon verdammt klein, auch wenn man einige Riesenmoleküle, zum Beispiel die Chromosomen unseres Erbguts, immerhin schon mit einem guten Lichtmikroskop sehen kann.

Will man eine Eigenschaft eines solchen Teilchens messen, selbst eine ganz grundlegende Eigenschaft wie seinen Ort, dann ist das nicht so einfach wie bei einem Alltagsobjekt, das man sehen kann. Bei dem wäre der Fall relativ einfach, wie hier bei einem Objekt skizziert, das uns relativ vertraut sein dürfte:

Man sieht den Ball, also kann man ihn spielen. Ein kleinstes Teilchen, sagen wir zum Beispiel ein Elektron, kann man aber nicht sehen. Um seinen Ort bestimmen zu können, braucht man also ein Messgerät. Auch dieses Messgerät muss aber irgendwie an die Information kommen, wo sich das Elektron befindet. Um diese Information vom Quantenphysik-kleinen Elektron zum alltagsgroßen Messgerät zu bringen, braucht man aber eine Wechselwirkung. In einer ganz traditionellen Formulierung der klassischen Physik, die jeder in der Schule mal kennengelernt haben sollte, würde man sagen, es muss eine Kraft wirken. Und woran man sich auch aus der Schule erinnern sollte: Wo eine Kraft wirkt, gibt es auch eine Gegenkraft. Das gleiche gilt für quantenmechanische Wechselwirkungen: In einer Wechselwirkung beeinflussen sich Teilchen gegenseitig.

Wenn das Elektron aber nicht gerade direkt in den Detektor fliegt, kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Die Information muss dann ja noch vom Elektron zum Detektor über eine gewisse Strecke transportiert werden. Das erreicht man normalerweise, indem man ein weiteres Teilchen vom zu messenden Elektron abprallen lässt („streut“, wie man in der Physik sagt). Dafür eignet sich in diesem Fall zum Beispiel ein Lichtteilchen, ein Photon. Das Photon macht eine Wechselwirkung mit dem Elektron, fliegt von dort aus zum Messgerät und macht dort eine Wechselwirkung mit dem Detektormaterial, die das Messgerät registrieren kann. Aus der Richtung des ankommenden Photons kann das Messgerät dann erkennen, in welcher Richtung sich das Elektron befinden.

Das ist soweit fast richtig, aber nur fast, denn die Information, die das Photon zum Messgerät trägt, ist nicht, wo sich das Elektron jetzt befindet, sondern, wo sich das Elektron befand, bevor es die Wechselwirkung mit dem Photon hatte. Durch die Wechselwirkung mit dem Photon hat das Elektron aber einen Impuls übertragen bekommen. Es ist also nicht mehr da, wo es eben war, und bewegt sich auch nicht mehr in gleicher Weise.

 

Fliegt das Elektron selbst direkt ins Messgerät, dann braucht man das Photon nicht zur Informationsübertragung. Dafür gibt es aber eine Wechselwirkung des Elektrons selbst mit dem Detektormaterial, die ebenfalls dazu führt, dass die Bewegung des Elektrons verändert wird. In den meisten Fällen wird das Elektron von den Atomen des Detektormaterials schlicht verschluckt. So oder so können wir keine Messung des Elektrons durchführen, ohne es dabei zu verändern.

Das und nichts weiter ist der quantenmechanische Beobachtereffekt. Man kann kein Teilchen und letztlich überhaupt keinen quantenmechanischen Zustand messen, ohne diesen Zustand dabei zu verändern, einfach weil man dafür eine Wechselwirkung mit dem Messgerät, also einem Teil der Außenwelt braucht. Klingt nicht sonderlich geheimnisvoll, oder? In Verbindung mit anderen Aspekten der Quantenmechanik, insbesondere dem Welle-Teilchen-Dualismus, kann eine solche Wechselwirkung mit der Außenwelt allerdings interessante Folgen haben. Der Welle-Teilchen-Dualismus wird uns aber noch in einer späteren Folge dieser kleinen Reihe beschäftigen.

Damit stellt sich jetzt aber die Frage: Wenn der Beobachtereffekt bei kleinsten Teilchen auftritt, aber alle großen Objekte aus solchen Teilchen bestehen, warum tritt der Beobachtereffekt dann zum Beispiel nicht beim Fußball auf? Warum müsen wir den Fußball nicht verändern, wenn wir seinen Ort messen wollen? Nun, genau betrachtet verändern wir ihn tatsächlich – wir merken es nur nicht, und es ist uns auch egal. Wie wir ein Photon am Elektron streuen müssen, um seinen Ort zu bestimmen, können wir auch den Ort des Fußballs nur dann berührungsfrei erkennen, wenn Licht auf ihn fällt. Wie das Photon auf das Elektron, übertragen auch die unzähligen Photonen des Lichts einen Impuls auf die Elektronen in den Atomhüllen des Fußballs. Im Verhältnis zur Größe des Fußballs und zu den vielen Reibungswiderständen verändert dieser Impulsübertrag den Fußball aber nicht erkennbar – allerhöchstens wird er von der Sonneneinstrahlung etwas erwärmt. Dieser minimale „Beobachtereffekt“ spielt bei der Größe des Balls schlicht keine Rolle.

An diesem extremen Beispiel wird aber auch deutlich, dass der Beobachtereffekt nichts, absolut gar nichts, mit dem eigentlichen Akt des Beobachtens, der Person oder gar dem Bewusstsein des Beobachters zu tun hat. Er entsteht einfach nur dadurch, dass man eine Wechselwirkung mit der Außenwelt braucht, um überhaupt etwas beobachten zu können.

Warum spricht man dann aber überhaupt vom Beobachtereffekt und nicht zum Beispiel vom Wechselwirkungs- oder vom Außenwelteffekt? Der Grund ist wie bei vielen missverständlichen Formulierungen der Quantenphysik schlichtweg historisch. Der Begriff des Beobachtereffekts stammt aus der Zeit vor rund 90 Jahren, als Theoretiker wie Bohr, Schrödinger und Heisenberg die Grundzüge der heutigen Quantenmechanik erstmals formuliert haben. Viele Aspekte der Quantenmechanik, die für heutige Physiker alltäglich und einigermaßen banal erscheinen, zeichneten sich damals erst vage ab, und man musste sich daraus irgendwie einen Sinn zusammenreimen. Gerade die Überlegungen von Werner Heisenberg waren dabei zwar oft bahnbrechend kreativ, seine Formulierungen zeichneten sich aber nicht unbedingt immer durch sachliche Nüchternheit aus. Zu allem Überfluss konnte man sich damals eine Messung kaum ohne einen menschlichen Beobachter vorstellen. Es lag also durchaus nahe, zunächst einmal von einem Beobachtereffekt zu sprechen und zumindest als Gedankenspiel in Erwägung zu ziehen, dass er auch mit dem Beobachter zu tun haben könnte. In diesem historischen Kontext entstand auch die schon damals durchaus polemische und bewusst absurd formulierte Frage von Albert Einstein: „Existiert der Mond auch dann, wenn keiner hinsieht?“ Aus heutiger Sicht können solche Diskussionen nur entstehen, wenn man versucht, quantenmechanische Effekte mit den denkbar ungeeigneten Begriffen unseres Alltags zu beschreiben. Die Vorstellung, was Quantenmechanik eigentlich ist und was sie bedeteutet, war in den 1920er Jahren jedoch erst am Entstehen.

Bei den meisten Messungen, die heute in der Physik stattfinden, gibt es aber überhaupt keinen menschlichen Beobachter. In den Experimenten des Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf passieren im normalen Betrieb 31,6 Millionen mal pro Sekunde jeweils rund 20 Teilchenkollisionen gleichzeitig. In jeder dieser Kollisionen entstehen mehrere, oft Dutzende, messbare Teilchen. Deren Effekte werden in Messungen auf Tausenden von Kanälen gleichzeitig registriert. Diese Unzahl von Messungen kann buchstäblich kein Mensch auswerten. Tatsächlich könnten auch die leistungsstärksten Computer nicht alle diese Messungen auswerten, und es ist nicht einmal möglich, die Messergebnisse in dieser Geschwindigkeit aufzuzeichnen. Stattdessen sortieren schnelle, fest eingebaute elektronische Schaltungen in mehreren, zunehmend komplexen Stufen aus, welche Kollisionen möglicherweise interessante Ergebnisse enthalten und somit an die nächste Stufe weitergegeben werden können. Der Rest geht unmittelbar nach der Messung wieder verloren. Nur ein winziger Bruchteil der gemessenen Kollisionen wird schließlich auf Datenträgern gespeichert um dann eventuell irgendwann später von einem Computerprogramm ausgewertet zu werden, dessen über Hunderttausende von Kollisionen aufsummierte Ergebnisse sich dann irgendwann ein menschliches Wesen ansieht. Dennoch tritt natürlich bei jedem in einer solchen Kollision produzierten Teilchen, das mit dem Detektor oder irgendeinem anderen Teil der Außenwelt wechselwirkt, ein Beobachtereffekt auf – selbst wenn die Information darüber nie einen Beobachter erreichen wird.

Kurz gefasst ist der quantenmechanische Beobachtereffekt also ein ziemlich banaler Effekt mit einem ziemlich unglücklichen Namen. Wie unglücklich der Name ist, zeigt sich, wenn man sieht, was in der Esoterik- und Alternativmedizinszene so in ihn hineinphantasiert wird.

Mein Lieblingsbeispiel zum Beobachtereffekt bleibt der Ingenieur und Quantentherapie-Höker Walter Thurner, über den ich hier schon einen ganz eigenen Artikel verfasst habe. Aus dem Beobachtereffekt zur folgenden Aussage zu kommen, erfordert schon wirklich bemerkenswerte… nennen wir es gedankliche Flexibilität: „Die Quanten sind sehr extreme Wesenheiten, wenn die wissen, bei einem Versuch, […] dass ich hinschau und bringen andere Ergebnisse als wenn ich wegschau. […] Das müssen Wesenheiten sein; die müssen ein Bewusstsein haben.“ Die besten Stellen kommen im folgenden Video ab Minute 3:45:

Nicht ganz so witzig, aber wesentlich gefährlicher wird es, wenn der der Beobachtereffekt missbraucht wird, um Menschen abstrusen Wunsch-Bullshit nach dem Vorbild von The Secret oder Bestellungen beim Universum zu verkaufen.

Hierzu wird typischerweise behauptet, der Beobachtereffekt (oder einfach „die Quantenphysik“) beweise, bei einem Ereignis mit mehreren denkbaren Ausgängen könne der Beobachter entscheiden, welcher der möglichen Endzustände eintritt. Tatsächlich besagt die Quantenmechanik aber das exakte Gegenteil davon: Wenn ein Quantenzustand mehrere denkbare Messergebnisse mit jeweils durch den Quantenzustand festgelegten Wahrscheinlichkeiten hat, dann ist das tatsächliche Messergebnis im Rahmen dieser Wahrscheinlichkeiten absolut zufällig und durch nichts mehr zu beeinflussen.

Das können wir uns wieder an unserem Beispiel mit dem Elektron, dem Photon und dem Messgerät verdeutlichen, und dazu müssen wir noch nicht mal in die richtige Quantenmechanik mit Wellenfunktionen, Wirkungsquerschnitten und anderen Komplikationen einsteigen. Das kommt in der nächsten Folge der kleinen Artikelserie (hoffentlich bald), mit dem Welle-Teilchen-Dualismus, der noch viel mehr Zufälle in unsere Messergebnisse bringt. Für den Moment genügt es uns, nach den Grundannahmen, die auch die Quantenmechanik macht, so zu tun, als wären alle betrachteten Teilchen einfach nur Teilchen – eine quasiklassische Betrachtung, wie man in der Physik sagt, etwa auf dem Niveau der entstehenden Quantenmechanik vor rund 100 Jahren. Wir nehmen dazu noch vereinfachend an, dass das Elektron am Anfang stillsteht, was einigermaßen unrealistisch ist, aber nichts Grundlegendes verändert. Nach den Behauptungen der Wunschdenker sollte der Beobachter (genau genommen sein Bewusstsein, ohne dass er dafür etwas physisch tun muss) bestimmen können, wohin das Elektron bei der Streuung des Photons „zurückprallt“. Das Problem dabei ist, obwohl das Photon und das Elektron mit einer endlichen Wahrscheinlichkeit wechselwirken (also „zusammenprallen“) sind beide Teilchen punktförmig. Ihre Ausdehnung ist null – das weiß man aus genau solchen Streuversuchen. Das bedeutet, dass ich, egal wie genau ich mit dem Photon zielen wollte, nicht wie bei einer Billardkugel eine bestimmte Stelle am Elektron treffen könnte, weil das Elektron ja nur aus einer Stelle besteht. Die Richtung, in der das Elektron zurückprallt, entspricht also der Richtung, in der ursprünglich das Photon geflogen ist, plus oder minus eines bestimmten Winkels (der natürlich mit dem Winkel zusammenhängt, in dem das Photon zurückgestreut wird), und weil beide Teilchen punktförmig sind und man also nicht auf einen Punkt innerhalb des Elektrons zielen kann, ist dieser Winkel (also auch der Winkel des Photons) im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung absolut zufällig. Wie gesagt, wenn man das Gleiche korrekterweise mit Wirkungsquerschnitten zwischen Wellenfunktionen rechnet, wird es nur noch zufälliger. Und es gibt vor allem nichts, absolut nichts, was man tun könnte, um diesen Zufall zu überlisten.

Eigentlich sollte sich der ganze Wunsch-Bullshit an dieser Stelle in Luft aufgelöst haben, aber leider wird er regelmäßig verbreitet, und zwar immer wieder unter Berufung auf den Beobachtereffekt. Bei Rolf Froböse ist das die zentrale Aussage eines ganzen Buchs. Ein richtig bizarres Beispiel von Angelika Schlinger, die auch die Gifte aus Chemtrails detoxed und Quantenphysik cool findet, aber nichts davon verstanden hat, hatte ich im Februar schon mal angeführt. Sandra Weber, die eine „Praxis für Gesundheit und Glück“ nebst entsprechender Heilerschule am Bodensee betreibt, behauptet aufgrund eben dieses falsch vestandenen Beobachtereffekts „Wir sind die Erschaffer unseres Lebens“. Nun bin ich wirklich der Letzte, der Menschen die Verantwortung für ihr eigenes Leben absprechen würde, und Dinge wie wirtschaftlicher Erfolg werden neben unseren ererbten Voraussetzungen und viel ganz gewöhnlichem Glück natürlich auch maßgeblich von unseren eigenen Entscheidungen und unserem Einsatz bestimmt. Ich könnte auch um neue Kunden werben und Geld verdienen, anstatt diesen Artikel zu schreiben. Der ist mir aber im Moment gerade wichtiger. Mancher hat sicher auch seine Leber kaputtgesoffen oder ist bewusst ein Lungenkrebsrisiko eingegangen. Am Ende ist aber Leben immer lebensgefährlich, und wer gesund stirbt, hat meistens nicht lange gelebt. Schwer kranken Menschen mit einer solchen Wunschdenkensideologie auch noch die Schuld an ihrem Schicksal zuzuschieben, ist daher in einer so erschreckenden Weise menschenverachtend, dass mir gerade schon wieder sehr bewusst wird, warum mir dieser Artikel wichtig ist. Frau Weber begründet mit ihrem falschen Beobachtereffekt jedenfalls ihre „mentalen Heilmethoden“, mit denen sie laut Homepage unter anderem Wirbelsäulenprobleme, Allergien, nicht näher bezeichnete „chronische Krankheiten“, Süchte und Depressionen behandelt. Immerhin keinen Krebs, möchte man erleichtert sagen, wenn man weiß, was Geistheiler sonst so auf der Pfanne haben, wobei natürlich auch Süchte und Depressionen bei falscher oder „mentaler“ (= im Zweifelsfall keiner) Behandlung vermeidbar tödlich enden können.

Wer starke Nerven hat oder für heute keine Pläne mehr hat und nicht zu Schlafstörungen neigt (ich meine das ernst, der Artikel ist krass),  kann sich hier eine Recherche von Correctiv zur „Behandlung“ einer Geistheilerin bei einer Krebskranken durchlesen. Zur Richtigkeit der darin genannten Sachverhalte kann ich nichts sagen – ich weiß nur, dass der Artikel seit über einer Woche online ist, und es scheint noch niemand erfolgreich dagegen vorgegangen zu sein. Die darin vorkommende Geistheilerin scheint sich nicht ausdrücklich auf Quantenquark zu berufen, aber immerhin war sie noch 2015 Vorsitzende des „Dachverbands geistiges Heilen“, dem zumindest mehrere Schüler von Sandra Weber angehören. Auf dem Kongress dieses Verbandes eben im Jahr 2015 ging es unter anderem um: „Hirnforschung, Quantenphysik, Arzt-Heiler-Kommunikation, Spontanheilung bei Krebs und zur Frage der Unsterblichkeit der Seele“

Eh isch misch uffreesch, wie man bei uns in Hessen sagt, abschließend noch kurz zur Frage, ob man derlei Verdummbeutelung der Physik nicht schon in der Schule vorbeugen könnte. Ich bilde mir ja ein, ich hätte den Beobachtereffekt – und warum das Leben auch als Quanten-Beobachter kein Wunschkonzert ist – hier in einem überschaubaren (ja, er ist wieder lang…) Artikel halbwegs verständlich erklärt. Das müsste ja eigentlich auch die Schule leisten können, wenigstens in der Oberstufe. Klar, Lehrer haben oft nicht sonderlich viel Quantenphysik gelernt und dann meist auch wenig davon gebraucht. Da würden sie sich sicherlich über eine Handreichung von kompetenten Fachdidaktikern freuen, wie man Quantenmechanik richtig und verständlich vermittelt… vielleicht von einer der angesehensten naturwissenschaftlichen Hochschulen des deutschsprachigen Raums… wie wäre es mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, der berühmten ETH? Dummerweise findet sich gerade dort bei der Fachdidaktik Physik ein Leitprogramm zur Quantenphysik für die Klassen 11 bis 13 mit dem Titel „Es spukt also doch bei den Quanten„. Der Text liest sich in weiten Teilen so, als stamme er von der Seite irgendeines Pseudophysik-Schwurblers, mit einem zumindest missverständlich formulierten Beobachterbegriff: „Der Beobachter „erschafft“ sein eigenes Teilchen. […] Aber vom philosophischen Standpunkt her gesehen haben wir ein unerhörtes Problem. Niemand hat bisher eine brauchbare Lösung gefunden.“ Kein Wort dazu, dass das philosophische Problem nur existiert, wenn man versucht, Quantenobjekte in die unpassenden Kategorien unserer Alltagswelt zu pressen. Kein Wort, dass der angebliche Beobachter mit im Vergleich extrem wenigen Ausnahmen einfach die unbelebte Außenwelt ist – eine Bleiabschirmung, die Laborwand, ein Molekül der Umgebungsluft. Das entscheidende Stichwort, nach dem von dem ganzen philosophischen Problem nur noch Prinzipienreiterei bleibt, nämlich „Dekohärenz“, kommt in dem Text praktischerweise nicht vor. Dafür folgen drei Interpretationsansätze für das vermeintliche philosophische Problem. Nur die dritte davon ist eine der gängigen (wenngleich auch schon reichlich angestaubten und für die reale Welt ziemlich uninteressanten) „Deutungen“ der Quantenmechanik. Als Erstes genannt wird der völlig verstaubte Positivismus, und die zweite „Interpretation“ der Züricher Physikdidaktiker ist purer… Quantenquark.

Da könnt isch misch scho widder uffreesche… Aber zum Glück gibt es auch Andere, die Dekohärenz erklären. Richtig gut sogar. Zum Beispiel gerade erst vor ein paar Wochen Harald Lesch. Wenn der religiös oder ökoromantisch wird, kann ich mich über den zwar auch manchmal aufregen, aber Physik erklären kann er:

Hoffentlich hört sich das jetzt nicht jemand an und missversteht daraus, dass durch die Dekohärenz doch irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Aber wenn ich darüber jetzt nachdenke, reesch isch misch doch widder uff.

 

Ist Quantenquark rechts?

Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten möchte ich die Leitfrage dieses Artikels schon gleich zu Anfang beantworten: Nein, ist er nicht. Unsinn gibt es mit jeglicher politischer Couleur, und das gilt auch für Quantenunsinn. Gepachtet hat den niemand.

Damit könnte ich eigentlich auch schon den Leser beschwichtigen, der mich vor ein paar Tagen über das Kontaktformular angeschrieben hat und wissen wollte, „weshalb die meisten der Beiträge“, die ich kritisiere, „als rechte, braune oder in ähnlicher Form offenbar politisch motivierter Quark abgeurteilt werden“.  Der Leser kann in den kritisierten Inhalten „beim besten Willen weder rechte oder braune oder reichsbürgerliche Motivation erkennen“. Ich solle meine Beiträge doch darauf beschränken, „offensichtlichen Quark auf sachlicher meinetwegen wisschenschaftlich fundierter Ebene zu widerlegen.“

Das verwundert mich dann doch ein wenig, auch weil das Beispiel eines geifernden Rechten-Jägers so gar nicht in mein Selbstbild passt. Schließlich habe ich mich in den Zeiten, als ich noch parteipolitisch aktiver war, immer selbst als „Rechten“ gesehen. Wenn ich bei der Friedberger Antifa-Bildungsinitiative (die tatsächlich eine Bildungsinitiative mit vielen spannenden Vorträgen ist) dem „schwarzen Block“ zugerechnet werde, ist damit meine frühere Mitgliedschaft in der CDU gemeint. Im Rahmen meiner skeptischen Aktivitäten habe ich mich bei allzu politischen Themen wie der Klimawandelleugnung oder der Gefährlichkeit von Technologien wie Kernenergie und Gentechnik jahrelang eher zurückgehalten, obgleich ich dazu im privaten Rahmen einiges zu sagen habe. Allzu politische Sichtweisen tun der Wissenschaftlichkeit in der Regel einfach nicht gut, und buchstäblich alle relevanten Parteien haben pseudowissenschaftliche Leichen in ihrem programmatischen Keller.

Wenn hingegen politischer Extremismus mit Pseudowissenschaft vermischt oder gar gerechtfertigt wird, kommt man als Skeptiker nicht umhin, sich dazu zu äußern. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn die Kommunistische Partei Österreichs, das linke Regime in Venezuela oder der staatliche Rundfunk des Iran absurde Verschwörungstheorien verbreiten, ein amerikanischer Sender zur Atmosphärenforschung sei in Wirklichkeit eine Waffe, die künstliche Erdbeben auslöst.

Wer jedoch die Esoterikszene, insbesondere im Umfeld von Verschwörungstheorien, in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, dem kann nicht entgangen sein, dass die Vermischungen mit rechtem Extremismus deutlich zugenommen haben. Diese Zunahme ist auch weder eine rhetorisch begründete Unterstellung noch subjektives Bauchgefühl. Besonders in den Versuchen, in den letzten fünf Jahren, mit einem vorläufigen Höhepunkt 2014, eine „Querfront“ aus rechten und linken Extremisten zu bilden, spielten Esoterik und Verschwörungstheorien eine zentrale Rolle.

Als ich 2006 den ersten deutschsprachigen skeptischen Aktikel über die Chemtrails-Verschwörungstheorie geschrieben habe, gab es noch keinerlei Veranlassung, Rechtsextremismus darin mit einem Wort zu erwähnen, schienen doch die Vertreter dieses abstrusen Hirngespinstes der linken Umweltbewegung deutlich näher zu stehen als den damaligen Rechten. Der bekannteste Vertreter der Chemtrail-Thesen, Werner Altnickel, war Träger des deutschen Solarpreises und hatte sich gerade erst von Greenpeace getrennt. Heute fabuliert Altnickel auf seinem inzwischen gesperrten Youtube-Kanal („Militärische + Wirtschaftsnachrichten“) über die jüdische Weltherrschaft, die die Deutschen vernichten will und hat offensichtlich keine Probleme damit, zur rechten Szene gerechnet zu werden:

Als die Innsbrucker Frauenforscherin Prof. Claudia von Werlhof 2010 darüber fabulierte, das amerikanische Atmosphärenforschungszentrum HAARP diene in Wirklichkeit dazu, Erdbeben zu erzeugen und könne auch für die Verwüstungen in Haiti verantwortlich sein, erhielt sie Beifall hauptsächlich noch von der Kommunistischen Partei Österreichs. Inzwischen lässt sie sich beim Quer-Denken-Kongress (nicht zum ersten Mal) vom Reichsbürger Michael Vogt interviewen, der auch schon einen Film über den „Friedensflieger Rudolf Heß“ produziert hat. Auf dem gleichen Kongress traten auch der „Deutsche Mitte“-Protagonist Christoph Hörstel, der Haus-und-Hof-Autor des Kopp-Verlags, Gerhard Wisnewski, sowie Querfrontler Jürgen Elsässer auf.

Michael Vogt, der mehrfach als Initiator von Reichsbürger-Veranstaltungen aufgefallen ist und eine Honorarprofessur nach Kontakten zur NPD verloren hat, begrüßt in seinem Quer-Denken-TV und auf den zugehörigen Konferenzen eine Vielzahl von Größen der Esoterikszene, darunter einige, die vor 2014 kaum in einem politischen Umfeld in Erscheinung getreten sind, manche aber vielmehr durch Quantenquark. Hierzu gehört zum Beispiel der Hare-Krishna-Anhänger Marcus Schmieke. Schmiekes abstruse Vorstellungen von Quantenphysik sind eigentlich einen eigenen Artikel wert… naja, vielleicht sind sie es auch nicht wert. Sein Geld verdient er offenbar vor allem mit dem Timewaver, einem Gerät, das durch Veränderung eines angeblichen, pseudophysikalischen „Informationsfeldes“ Krankheiten heilen und Unternehmen beraten soll. Das Gerät soll allein von über 1500 Therapeuten genutzt werden – bei fünfstelligen Stückpreisen für die Therapeutenmodelle lässt das auf beachtliche Umsätze schließen. Inzwischen tritt der Mantra-lehrende Krishnajünger aber auf derselben Veranstaltung auf mit Holocaust-Bezweiflern, Verschwörungs-Schwurblern und Führern randständiger Parteien, die bei Veranstaltungen auch schon einmel Plakate der eigentlich konkurrierenden NPD als Transparente benutzen. Weiteren Quantenquark ins gleiche Umfeld bringt Dr. Michael König, der jahrelang eine Ausbildung zum „zertifizierten Quantenpraktiker“ anbot. Außer bei Vogt tritt König auch bei dessen Reichsbürger-Kollegen Jo Conrad auf.

Vogts Quer-Denken.tv und Conrads bewusst.tv sind jedoch bei weitem nicht die einzigen Online-Angebote in denen Quantenquark in bester Eintracht mit Antisemitismus, Verschwörungsdenken und Reichsbürger-Ideologie verbreitet wird. 78 Artikel zu „Quantenphysik“ und „Quantenmedizin“ finden sich auf Wissenschaft 3000 – unter anderem mit dem verurteilten Betrüger Hartmut Müller als Experten. Neben der Behauptung, die Erde sei eine Scheibe, findet sich an gleicher auch Werbung für den „Staat Ur“ des Reichsbürgers Adrian Ursache, der gerade wegen Mordversuchs vor Gericht steht. Auch das Königreich Deutschland des gerade wegen verschwundener Millionen im Gefängnis sitzenden Goldenes-Brett-vor-dem-Kopf-Preisträgers Peter Fitzek wird auf Wissenschaft 3000 hofiert. Da wundert es nicht, dass „Quantenphysik“ auch bei den Geistesgrößen im Königreich selbst ein Thema ist.

Dass die Verknüpfung von falscher Physik und problematischer politischer Agitation eine hundertjährige Tradition hat, zeigt sich in einem aktuellen Arktikel von meinem langjährigen Skeptikerkollegen Markus Pössel. Pössel, inzwischen Leiter des Hauses der Astronomie, beleuchtet darin die antisemitischen Motive hinter vielen Anfeindungen gegen Einsteins Theorien.

Weitere Beispiele von Verbindungen zwischen Quantenquark und der rechten Szene habe ich bereits im Januar hier aufgeführt. Das war allerdings bislang auch der einzige Artikel zu diesem Thema hier. Daher ist für mich schwer nachvollziehbar, wie der ominöse Leserbriefschreiber darauf kommt, in meinen „Diffamierungsartikeln“ würden „die meisten der Beiträge die Sie erwähnen als rechte, braune oder in ähnlicher Form offenbar politisch motivierter Quark abgeurteilt werden“.

Da ist es schon fast beruhigend, dass nicht alle derartige Fanpost mir politische Motive unterstellt- zum Teil halten die Schreiber mich auch für einen Fälscher, für bezahlt (schön wär’s) oder einfach für dumm:

Hallo Herr Dr. Hümmler,

wie kann man als ernstzunehmender Wissenschaftler nur so ein dummes Zeug schreiben.

Ich vermute, dass Ihr Doktortitel ein Plagiat ist, oder Sie gehören zu den Leuten, die dafür bezahlt werden dass sie die Nullpunktenergie als Humbug darstellen. Diese Energie wird früher oder später zum Einsatz kommen, daran arbeiten inzwischen viele Menschen.

Oder sind Sie vielleicht tatsächlich Dumm? denn: Was der Bauer nicht kennt….

Ausserdem finde ich es bezeichnend, dass auf Ihrer Homepage eine falsche Mailadresse steht.

Gruss

W.  Herbst

Ich muss zugeben, dass es dem Schreiber tatsächlich gelungen ist, mich genug zu verunsichern, dass ich eiligst auf allen meinen Webseiten meine Mailadressen nachgeprüft habe… es waren natürlich alle richtig.

Ich muss allerdings auch sagen, ich bekomme hier auch erfreuliche Zuschriften. Manchmal sogar sehr erfreuliche, zum Beispiel von Martin Piehslinger, der mich auf seine sehr wohlwollende Rezension zum Quantenquark-Buch auf seiner Homepage hingewiesen hat.

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im Zusammenhang mit dem Buch gibt es ganz aktuell sogar tatsächlich eine Möglichkeit, wie Sie mich für diesen Blog bezahlen können, wenn Sie denn möchten: Bestellen Sie das Buch (oder ein anderes aus dem Springer-Nature-Verlag) anstatt über den Buch- oder Onlinehandel einfach über den Link rechts oben direkt beim Verlag, und ich bekomme eine kleine Provision.

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Artikel Ende. Und ich hoffe, ich muss zu diesem Thema nicht so bald wieder schreiben.

Quantenquark und braune Sauce

Was hat rechte Esoterik eigentlich mit Quantenquark zu tun? Am Ende des vorletzten Artikels

Zwei Vortragstermine – relativ quantenfrei

hatte ich diese Frage aufgeworfen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass es bei rechter Esoterik eben nicht nur um Vorstellungen von fackeltragenden SS-Männern auf der Wewelsburg oder um Verschwörungstheorien über Hitlers angebliche Geheimwaffen oder Zufluchtsorte in der Antarktis geht. Es gibt auch ganz andere, zunächst völlig unpolitisch daherkommende Formen von Esoterik, die rechtsextreme Propaganda oder Reichsbürger-Ideologie untermauern, verbreiten oder finanzieren. Das wird vor allem im Umfeld der sogenannten alternativen Medien im Internet deutlich, deutlicher vielleicht als in der Offline-Welt, in der Politik eher von klassichen Partei- oder Bürgerinitiativen-Strukturen geprägt ist. Betrachtet man zum Beispiel das Angebot des Sammelportals alternativ.tv, so findet sich dort auf der Titelseite zwar vor allem rechte Politik, aber im Angebot der dort gesammelten Kanäle sind Esoterik und Verschwörungstheorien praktisch allgegenwärtig.

Ja, „alternative Medien“ – können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als man bei dem Wort „alternativ“ noch an langhaarige, Sandalen tragende Linke dachte? Heute hat man es da eher mit langhaarigen Rechten zu tun, die auch noch stolz darauf sind, wenn man ihnen bescheinigt, wenig politische Skrupel zu haben:

Nicht nur Verschwörungstheorien, auch Quantenquark auf rechten Internet-Kanälen gibt es. Damit meine ich jetzt nicht, dass Frank Baars bei bewusst.tv mit dem Reichsbürger-Aktivisten Jo Conrad über „Quantengeheimnisse“ plaudert. Baars versteht unter Quantengeheimnissen nämlich tatsächlich seine Vorstellung, dass man alle möglichen Krankheiten heilen könne, indem man auf seinen Füßen herumdrückt. Diese augenzwinkernde Begriffsverwendung ist mir ja schon fast wieder sympatisch – im Gegensatz zum Rest des Videos und der ganzen Seite.

Ein paar Dinge aus der Richtung hatte hier auch schon einmal angesprochen. Da wäre zum Beispiel quer-denken.tv von Michael Vogt, einem Reichsbürger-Buddy von Jo Conrad, der Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß gerne als „Friedensflieger“ bezeichnet. Dort kann unter anderem Walter Thurner seine Quantentherapiegeräte bewerben und behaupten, Elementarteilchen seien Wesen und hätten ein Bewusstsein. Michael Vogts Online-TV-Kanal verlinkt auch zu den diversen Videos mit dem Mediziner Enrico Edinger ein paar… sagen wir… interessante Quantenprodukte. Da wäre zum Beispiel ein Quantenkraftstein, ein etwa handtellergroßes farbiges Objekt aus gepresstem Holz zum Preis von sensationellen 800 Euro. Die ausführliche Produktbeschreibung des Herstellers enthält in einem Absatz so viele bizarre Behauptungen zur Physik, dass ich hier einen eigenen Artikel bräuchte, um auf alle einzugehen. Interessant ist auch ein Gerät, das für 1800 Euro die Quanteninformationen unserer Psyche überschreiben soll – indem man es sich um den Bauch bindet. Solche Produkte sind natürlich per se nicht politisch, aber wenn beim „redaktionellen Inhalt“ so direkt Produktdatenblätter verlinkt werden, dann liegt es nahe, dass der Verkauf der Produkte irgendwie zur Finanzierung des Programms beiträgt. Noch etwas deutlicher wird es, wenn „Matrix Power Quantenheilung“ mit „13-Strang-DNS-Aktivierung“ auf der selben Seite einmal als redaktioneller Inhalt und einmal als Werbebanner auftaucht.

Tatsächlich besteht der größte Teil der Rubrik „Quantenphysik“ auf quer-denken.tv aus Videos, in denen Produkte vorgestellt werden. Zu dem quer-denken-Programm, das offenbar so mitfinanziert wird, gehört dann aber zum Beispiel die Behauptung, die Morde des NSU seien keine Morde des NSU. Daneben werden zum Beispiel der „herrschenden Klasse“ und unserer „Kanzlerdarstellerin“ satanische Rituale unterstellt, und behauptet, die EU sei die Umsetzung eines Plans aus dem Dritten Reich.

Quantenquark dient in diesen Beispielen also ganz offensichtlich zur Finanzierung von Verschwörungstheorien und rechter Propaganda. Das ist aber nicht alles. Quantenquark ist an anderer Stelle auch Teil der Rechtfertigung und Argumentation stark rechtslastiger Vorstellungen, vor allem im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien. Das zeigt sich zum Beispiel auf Secret.tv, einem Internetangebot, das von Jan van Helsing (Jan Udo Holey) gegründet wurde. Van Helsing wurde vor allem durch glorifizierende Verschwörungstheorien um angebliche Wundertechnologien des Dritten Reiches bekannt. Das „Manifest“ von van Helsings Nachfolger beruft sich auf die Quantenphysik für die Behauptung, es gäbe keine physische Realität und Wahrheit sei etwas rein Subjektives. Ob sich so etwas tatsächlich aus der Quantenphysik folgern lässt, ist ein Thema, über das ich auch mal einen Artikel schreiben muss. Hier wird diese Behauptung jedenfalls als Rechtfertigung benutzt, um allerlei Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Auch bei den Verschwörungstheorien rund ums CERN, auf die ich schon mehrfach im Detail eingegangen bin, spielt öfters rechtsextreme Propaganda eine Rolle. Schon da tauchte der Honigmann-Blog auf, der weniger für Honig als für Antisemitismus, Ausländerhass und Verschwörungstheorien bekannt ist. Im Februar soll bei einem Honigmann-Treffen ein mir unbekannter Referent namens Oliver Barth über „Von der Quantenphysik zum Bewußtsein“ sprechen. Der Titel lässt auf Quantenquark vom Feinsten schließen, aber so richtig übel wird es im Umfeld dieses Vortrags. Der Vortrag direkt davor bezeichnet „Masseneinwanderung“, also offenbar die Flüchtlingswelle seit 2015, als „Angriff auf Deutschland“. Am gleichen Tag bekommt dort auch noch das Chemtrail-Schwurbler-Fossil Werner Altnickel das Wort – genau, der aus dem wenig-Skrupel-Tweet oben. Wer Altnickel noch nicht kennt, kann sich in seinem aktuellen Video „Militärische + Wirtschafts- Nachrichten Januar 2017“ ansehen, wie er (ab Minute 16:28) die Europäische Union auf einen Plan zurückführt, Europa zu einer „negroid-asiatischen Mischrasse“ umzuformen, „mit Unterstützungsgeldern übrigens von Rockefeller und Co“. Was der Honigmann höchstpersönlich schon morgens über die aktuelle politische Lage zu berichten hat, will ich dann gar nicht mehr so genau wissen. Wer sich gruseln will, kann sich ja mal die Honigmann-Nachrichten reinziehen.

Auf der Seite „Aufwachen 2014“ verbinden sich Quantenquark und Antisemitismus noch viel direkter. Unter dem Titel „Wacht auf oder geht zugrunde“ fabuliert die russisch-amerikanische Philosophin Irene Caesar über eine Quantensprung-Technologie, die offenbar auf den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik beruhen soll. Mit dieser Quantensprung-Technologie begründet sich unter anderem das bioaktive Wasser zur Behandlung unheilbarer Krankheiten, das man bei Caesars Firma kaufen kann, ebenso wie die Mini-Tesla-Generatoren für 1000 bis 2000 Dollar. Diese sollen nicht, wie der Name vermuten lässt, Energie aus nichts erzeugen, sondern ein Hologramm gesunder Zellen durch den Körper verbreiten. So weit, so Quark. Dazu beschwert sich Caesar aber, dass dieser Quantensprung von den Zionisten sabotiert wird. Diese Zionisten haben für Caesar auch die Ukraine gegründet, wollen den armen, friedfertigen Wladimir Putin eliminieren, und, wie könnte es anders sein, selbst Hitler war für Caesar nur ein Projekt der Zionisten. Und der Gegner der Zionisten ist der Nationalismus. Wenn alle Nationen für sich nationalistisch sind, dann ist an alle Nationen gedacht – das soll mit den Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik im Einklang stehen, weil es irgendwie holographisch sei, meint Frau Caesar, die von Hologrammen offensichtlich genauso wenig versteht wie von Quantenphysik. Wenn Sie nicht glauben wollen, dass jemand so etwas tatsächlich sagt oder sie ganz viel Langeweile und schwarzen Humor haben, können Sie sich das Interview auch in zwei Teilen je einer Stunde im Original auf Video ansehen.

Zwischen Quantenquark als reiner Geldquelle für rechte Medien und unmittelbar rassistischem oder antisemitischem Quantenunsinn gibt es allerdings noch diverse Abstufungen. So kann man auch um die Unterdrückung angeblicher „freier Energie für alle Menschen“ durch „die da oben“ eine Verschwörungstheorie stricken, auf der dann andere ihr ideologisches Süppchen kochen können. Über die angebliche Unterdrückung solcher Technologien sprach zum Beispiel der Wolfenbütteler FH-Professor Claus Turtur auf der achten „Antizensurkonferenz“ (AZK) in der Schweiz. Auf derselben Konferenz redete dann auch Sylvia Stolz, die ehemalige Anwältin des Holocaust-Leugners Ernst Zündel, über ein angebliches Verbot, diesen zu verteidigen. Vom damaligen Verfahren war sie unter anderem deshalb ausgeschlossen worden, weil sie eine Beschwerde an das Gericht mit „Heil Hitler“ unterschrieben hatte.  In ihrem Vortrag auf der Antizensurkonferenz  leugnete sie dann selbst den Holocaust, wofür sie einmal wieder zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.

Ein Video mit dem volksverhetzenden Vortrag von Frau Stolz werde ich hier nicht verlinken, aber der Vortrag von Turtur ist auch aus Quantenquark-Sicht interessant. Er rechtfertigt nämlich seine Behauptung einer angeblich unbegrenzt verfügbaren freien Energie unter anderem mit dem physikalischen Konzept der Vakuumenergie, und auf das bin ich hier noch nie näher eingegangen. Die Vakuumenergie wird daher der abschließende Teil dieser kleinen dreiteiligen Artikelserie werden:

Die Energie von Professor Turturs Vakuum

Wie man Quantenquark potenziert

Ich finde es ja immer faszinierend, wenn es jemand schafft, eine Form von Quark mit einer gänzlich anderen Form von Quark zu begründen und meint, sich damit einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Besonders lustig ist das zum Beispiel, wenn der Haus-AltenaivAlternativmediziner der rechtsesoterischen Querdenkerfraktion, Manfred Doepp, die Leistung unterschiedlicher Handy-Harmonisierungs-Chips mit Hilfe eines kinesiologischen Muskeltests vergleicht. Da hat er wirklich das optimale Testverfahren gefunden: Um eine funktionslose Technik, die ein nicht existierendes Problem lösen soll, zu testen, kommt eben nur eine Placebomethode in Frage.

Ungefähr auf diesem Niveau bewegt man sich, wenn man die angebliche Wirksamkeit homöopathischer „Arzneimittel“ mit falscher Quantenmechanik erklären will. Und eigentlich sollte man erwarten, dass Harald Walach bei diesem Thema die Nase vorne hat, der ehemalige Leiter von Hogwarts an der Oder. Walachs Schwache Quantentheorie ist schließlich hervorragend geeignet, um so ziemlich jeden pseudowissenschaftlichen Unsinn mit etwas zu untermauern, was wenigstens auf den ersten Blick vage wie Physik aussieht: Walach und seine Koautoren haben ein paar Begriffe aus der Quantenmechanik, ähm, entliehen (vor allem „Verschränkung“ und „Komplementarität“), die für die meisten Menschen schwer verständlich sind, aber immerhin nach Naturwissenschaft klingen. Das wäre für sich genommen ja kein Problem, wenn denn klar würde, dass es dabei um reine Analogien oder einen metaphorischen Gebrauch der Begriffe ginge. Um genau das zu verschleiern, tauchen aber in praktisch jedem Artikel über die Schwache Quantentheorie seitenweise Abhandlungen über Physik auf, was reichlich unsinnig wäre, wenn man die Begriffe ehrlich nur metaphorisch oder als Analogie verwenden würde. Ich hatte das an anderer Stelle schon angemerkt: Wenn man eine empfindliche Person metaphorisch als Mimose bezeichnet, fügt man keine Abhandlung über die Physiologie tropischer Hülsenfrüchtler an. Offenbar um den Eindruck zu verstärken, dass es sich wohl doch um so etwas wie Physik handelt und um Kritik abzuschrecken, sind die meisten Artikel auch noch mit (ebenfalls seitenweise) hochgradig abstrakten theoretischen Modellen beladen, die mathematisch sicherlich korrekt sind, denn Koautor Hartmann Römer ist ein sehr anerkannter theoretischer Physiker. Das Problem bei der ganzen Mathematikschlacht ist: Es wird an keiner Stelle klar, was das ganze eigentlich mit der Realität zu tun hat. Die Physik verwendet Mathematik, um experimentell messbare Sachverhalte zu beschreiben – selbst Theorien, zu denen man aktuell noch nichts messen kann, sind zumindest klar auf dieses Ziel ausgerichtet. Bei der Schwachen Quantentheorie erscheint mir jedoch höchst zweifelhaft, ob die Mathematik dort (außer für Professor Römer selbst, für den das sicher ein faszinierendes Gedankenspiel ist) einen anderen Zweck hat, als die Leser zu verwirren. Walach selbst lehnt schließlich wissenschaftliche Experimente zu den Systemen, die die Schwache Quantentheorie beschreiben soll, ausdrücklich ab: „Im Grunde setzen Experimente kausale Strukturen voraus, die es per definitionem in solchen Systemen eben gerade nicht gibt.“ Anschließend versteigt er sich auch noch zu der hanebüchenen Behauptung, auch die Quantenmechanik sei nicht experimentell geprüft.

Dieses merkwürdige Konstrukt müsste die Homöopathen ja nun eigentlich in helles Entzücken versetzen, und genau das muss Walach auch gedacht haben. Schon im ersten Jahr nach der offiziellen Vorstellung der Schwachen Quantentheorie in Foundations of Physics bezog sich gleich der erste wissenschaftliche Aufsatz über die Anwendungsmöglichkeiten dieser Theorie auf die Homöopathie. Veröffentlicht wurde der Artikel (Autor Harald Walach) überigens in der Zeitschrift Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde (Herausgeber Harald Walach). Tatsächlich scheint die schwache Quantentheorie aber in der Esoterikszene so richtig nur die Parapsychologen und die Familienaufsteller zu begeistern. Parapsychologe Walter von Lucadou, der schwach-quantenphysikalische Verschränkungen nicht nur bei der Fußball-Nationalmannschaft, sondern auch bei angeblich hellseherischen Träumen am Werk sieht, ist auch noch selbst einer von Walachs Koautoren. Sucht man hingegen nach Schwacher (oder, wie Walach es heutzutage selbst lieber hört, Generalisierter) Quantentheorie in Verbindung mit Homöopathie, findet man dort neben ihm selbst und seinen Koautoren in erster Linie Artikel von Skeptikern. Überhaupt scheinen sich Skeptiker mehr für dieses pseudophysikalische Konzept zu interessieren als irgendjemand sonst, weswegen ich da jetzt hier auch einen Haken dranmache.

Dass die Homöopathen sich nicht besonders für die Schwache Quantentheorie zu begeistern scheinen, heißt aber nicht, dass sie etwas gegen Quantenquark hätten – ganz im Gegenteil. Zum einen kommt natürlich in jeder Homöopathie-Diskussion, wenn man vorrechnet, dass in Hochpotenzen kein einziges Molekül der Ursubstanz mehr enthalten ist, irgendjemand mit dem alten Käse (Quäse?) um die Ecke, in der Quantenphysik hinge doch alles mit allem zusammen, und deshalb habe Wasser eben ein Gedächtnis. Warum aus der Quantenmechanik eben nicht folgt, dass in irgendeinem sinnvollen Sinne alles mit allem zusammenhängt, habe ich hier schon mal angerissen. Außerdem gibt es in der Homöopedia ausführliche Artikel zum Nicht-Zusammenhang von Quantenphysik und Homöopathie und dazu, warum man sich dafür auch nicht auf den österreichischen Physiker Anton Zeilinger berufen kann. Der harte Kern wie der Zentralverein homöopathischer Ärzte (ich liebe diesen Vereinsnamen – „homöopathische Ärzte“ klingt für mich immer ein bisschen wie „pyromane Feuerwehrleute“ oder „kriminelle Justizbeamte“…) ist zu dem Thema allerdings auch relativ zurückhaltend. Andere haben allerdings aus Quantenquark gleich eine ganz neue Homöopathie gemacht.

Da wäre zum Beispiel die „Quantenlogische Homöopathie“, die der Begründer, Professor Walter Köster, selbst lieber „Quantenlogische Medizin“ nennt, obwohl es dabei um nichts weiter geht als um die Auswahl der richtigen homöopathischen „Arznei“, die dann in dem, was der Patient bekommt, nicht enthalten ist – dank der üblichen homöopathischen „Potenzierung“, der x-mal 10-fachen Verdünnung, durch die die Wirkung nach homöopathischer Logik immer stärker wird. Kösters Anspruch ist eigentlich gar nicht mal schlecht – wegzukommen von der völlig sinnfreien (und alles andere als „ganzheitlichen“) Zuordnung irgendwelcher Stoffe zu irgendwelchen Symptomen nach dem Ritual der homöopathischen „Arzneimittelprüfung“. Köster erhebt also den Anspruch, den Mittelchen jeweils eine „Eigenschaft“ zuzuordnen, für die sie gut sind. Das wäre gegenüber der klassischen Homöopathie, die Köster folgerichtig auch als wissenschaftsfeindlich bezeichnet, in der Tat ein echter Fortschritt. Für diesen Fortschritt bemüht Köster die Quanten – allerdings in einer Weise, über die man nicht einmal mehr lachen kann. Ein Quant ist nach Köster eine „gestaltende Verbindung“ zwischen zwei Extremvarianten, weil seiner Ansicht nach ein Elektron in einem Atom nur an einem von zwei Orten (=Schalen) gemessen werden kann, nie dazwischen.

Das ist natürlich schon nach Anfängerkenntnissen von Quantenmechanik oder Atomphysik so falsch, wie es nur sein kann. Die „Schalen“ sind keine Orte, sondern Energiezustände, und die sind zwar quantisiert (es sind also nur bestimmte Werte möglich, aber viel mehr als zwei), aber nicht messbar. Messbar sind nur die Übergänge dazwischen, bei denen Energie absorbiert oder abgegeben wird. Messbar ist auch der Ort des Elektrons, aber der kann mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten an jedem beliebigen Punkt innerhalb und sogar weit außerhalb des Atoms liegen. Bei Herrn Professor Kösters Vorstellungen von Quanten mangelt es ganz offensichtlich an physikalischem Grundlagenwissen auf Abiturniveau, welches man zum Beispiel hier bei „Frustfrei Lernen“ nachholen kann. Entsprechend „quantenlogisch“ ist dann auch seine Herleitung dessen, was er als „das Quant“ bezeichnet, nämlich das Homoöpathische Arzneimittelbild, also die Zuordnung der Mittelchen zu den Symptomen. Die erfolgt bei Köster nämlich offenbar einfach nach umgangssprachlichen Assoziationen. Mit Ambra werden im Darm eines Pottwals Fremdkörper ummantelt, also hilft Ambra gegen alle Symptome, die sprachlich mit Ummanteln oder Verhüllen in Verbindung gebracht werden. Was soll man zu so viel geballter Wissenschaftlichkeit noch sagen? Die Anhänger dieser bizarren Lehre scheinen überwiegend aus meiner hessischen Nachbarschaft zu kommen, was mir irgendwie schon zu denken gibt…

Allein die Tatsache, dass Köster die klassische Homöopathie mit ihrem Guru Samuel Hahnemann als wissenschaftsfeindlich bezeichnet, dürfte ihm schon den Unmut unseres nächsten Kandidaten einbringen. Lothar Brunke betreibt einen Blog namens „Quantenhomöopathie nach Hahnemann“ und hat seine früheren Blogbeiträge in einem Buch unter dem Titel „Wissenschaftliche Homöopathie“ veröffentlicht. In Diskussionsbeiträgen im Forum der homöopathischen Ärzte tut Brunke sich vor allem dadurch hervor, dass er jede Hypothese über die Homöopathie dann für falsch und diskussionsunwürdig erklärt, wenn sie von den unfehlbaren Lehren Hahnemanns abweicht. Die gleiche Unfehlbarkeitskeule trifft dann natürlich auch Walachs Schwache Quantentheorie und die von ihr angenommene pseudophysikalische Verschränkung von Arzneimittel und Symptom: „Diese Aussage widerspricht den Erkenntnissen von Herrn Hahnemann“, erklärt Brunke in seinem Buch, womit die Schwache Quantentheorie für ihn auch schon weitgehend erledigt ist. Andere Homöopathenkollegen, die von der reinen Lehre des Meisters abweichen, bezeichnet Brunke dann auch einfach als Geistheiler. Das klingt natürlich irgendwie mehr nach Vatikan als nach Wissenschaft, und so stellt sich die Frage, was Herr Brunke eigentlich unter „wissenschaftlicher Homöopathie“ oder „Quantenhomöopathie“ versteht. Sein Buch eröffnet Brunke mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat des Mitbegründers der quantenphysikalischen Konzepts der Dekohärenz, Dieter Zeh. Etwas über Dekohärenz zu lernen, würde vielen Quantenquark-Autoren sicher gut anstehen. Zehs hochgradig abstrakte Arbeit, aus der das Zitat stammt, ist dafür aber denkbar ungeeignet. Sie ist für Diskussionen theoretischer Physiker untereinander gedacht und man muss schon ziemlich tief in Grundsatzfragen der Quantenmechanik und die dazugehörige Mathematik eingestiegen sein, um dem folgen zu können. Der Satz, den Brunke dort herausklaubt, klingt so, als bestätige Zeh das berühmte „Alles hängt mich allem zusammen“. Tatsächlich bezieht sich das Zitat aber auf das auch unter theoretischen Physikern umstrittene und obendrein rein theoretische Viele-Welten-Modell zur eher philosophischen Interpretation der Quantenmechanik, von dem eben nur eine Welt für unsere Realität relevant wäre. Es ist schon hilfreich, zu verstehen, was man zitiert… Tatsächlich verlinkt Zeh auf seiner Homepage einen großartigen und (für ernsthaft interessierte Laien mit etwas Mühe) tatsächlich verständlichen Aufsatz, in dem er klarstellt, was da gemeint ist – und das erklärt eine Wirkung nicht vorhandener Wirkstoffe eben gerade nicht.

Damit ist aber immer noch offen, wie denn eine „wissenschaftliche Homöopathie“ laut Brunke wirken soll. Die Antwort findet sich in einem Artikel, den er 2011 für die Allgemeine Homöopathische Zeitung geschrieben hat. Die Antwort ist: Homöopathie wirkt über Biophotonen! Dazu, dass Fritz-Albert Popps Konzept der Biophotonen unsinnig ist, habe ich schon in diesem Post zwei Vorträge von mir verlinkt, und ich hatte eigentlich die Hoffnung, da Popp mit fast 80 Jahren kaum noch öffentlich auftritt, gerät das Thema langsam in Vergessenheit und ich muss es nicht mehr verschriftlichen… Hier also nochmal die lange Version von der SkepKon 2014:

Brunke verbreitet also auch nichts weiter als Quantenquark, was darin gipfelt, dass er Samuel Hahnemann im Klappentext zu seinem Buch als ersten Entdecker der Quantenphysik bezeichnet. Als Max Planck 1900 mit dem Strahlungsgesetz die erste Idee der Quantenphysik aufbrachte, war Hahnemann schon mehr als 50 Jahre tot.

Die gleiche absurde Idee von Hahnemann als erstem Quantenphysiker verbreitet auch Helmut Trott, ein Heilpraktiker aus Südbaden, der mit „miasmatischer Homöopathie“ wirbt. Miasmen sind eine Vorstellung aus der Zeit vor der Entdeckung von Bakterien und Viren, nach der Krankheiten durch üble Gerüche verursacht werden und man sich mit räuchernden Schnabelmasken davor schützen kann. (Bild: Wikimedia)

Trotts Erklärung für eine „quantenphysikalische“ Wirkung der Homöopathie sind sogenannte morphische (auch: morphogenetische) Felder. Die haben dummerweise aber überhaupt nichts mit Quantenphysik zu tun, sondern sind ein Relikt aus der Mottenkiste der Biologie. Mit morphischen Feldern erklärte man (hypothetisch) sich die Entwicklung heranwachsender Organismen, bevor die Bedeutung der DNA als Bauplan für Proteine entdeckt wurde. Die Idee wurde in den 1980ern von Rupert Sheldrake wieder aufgewärmt und mit einem fadenscheinigen physikalischen Anstrich versehen und ist seitdem in der Esoszene recht beliebt. Vielleicht braucht Sheldrake hier auch mal irgendwann einen eigenen Artikel…

Wenn der oben erwähnte selbsternannte Leiter der homöopathischen Glaubenskongregation, Lothar Brunke, einige seiner Homöopathenkollegen als Geistheiler bezeichnet, meint der das ganz offensichtlich als Abwertung, zumal er deren Tätigkeit auch als „gefährliche Scharlatanerie“ bezeichnet. Ein paar andere seiner Kolleginnen, die ihre eigene „Quanten-Homöopathie“ verkaufen, hätten gegen die Bezeichnung Geistheiler aber vermutlich gar nichts einzuwenden, und zwar die Erdschwestern. Dagmar Schneider-Damm und Meike Dörschuck werben nämlich ganz ausdrücklich auch mit „russischen, geistigen und kosmischen Heilweisen – auch Geistheilung genannt“. Was ihre Homöopathie zur Quanten-Homöopathie macht, ist wohl, dass die beiden nebenbei auch noch mit Quantenheilung heilern. Ein bisschen was zur Quantenheilung hatten wir hier schon mal – das muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen. Außerdem gehört laut der Inhaltsangabe zu ihrem Buch „Homöopathie-Profile“ zu ihrer Quanten-Homöopathie auch, mittels Kieselerde die Erde zu heilen, und die morphischen Felder sind auch wieder mit von der Partie. Außerdem kann man sich auch meditativ mit den homöopathischen Wirkkräften eines Mittels in Verbindung setzen – alles Physik, natürlich. Und schließlich: „Auch in anderen Bereichen können wir mithilfe der Quantenphysik alles erreichen, wenn wir uns nur dessen bewusst werden.“ Ansonsten besteht ihr Buch aber vor allem aus dem, woraus Homöopathie letztlich immer besteht: Einer langen Auflistung von Mittelchen, jeweils mit einer Liste von Wehwehchen, für die der Patient von diesen Mittelchen – nichts bekommt.

Und schließlich hat die Sinn/Seelenintelligenz-Akademie auch noch eine Sinn/Quanten-Homöopathie im Angebot. Danach entstehen Krankheiten nicht etwa durch Infektionen, Verletzungen oder Alter, sondern durch „unharmonische Schwingungen“ in unseren Organen. Die Sinn/sche Vorstellung von Quanten-Homöopathie, zusammengebraut aus dem Trio Infernale des verdünnten Nichts (Homöopathie, Bachblüten und Schüsslersalze), liefert die notwendigen „feinstofflichen Informationen“ als „Heilfrequenzen“… Was das mit Quanten zu tun hat oder welchen Sinn das überhaupt ergeben soll, steht leider nicht dabei, und das dazu empfohlene Sinn/Körperenergetik-Seminar für 440 Euro wollte ich nun doch nicht belegen, nur um das herauszufinden.

So, und nach so viel Quark verabschiede ich mich – ich brauche jetzt dringend meine Rescue-Tropfen…

 

Quanten sind Wesenheiten mit einem Bewusstsein. Das meint der ernst.

Immer, wenn man meint, es geht nicht mehr schlimmer, treibt jemand den Quantenquark in neue Höhen.

Meinen aktuellen Favoriten hat ein aufmerksamer Leser auf dieser Seite hier gefunden:

winsindeins

Die Seite selbst verbreitet in ihren anderen Artikeln alles Mögliche von buddhistischer Meditation und „Hochsensitivität“ bis hin zu Werbung für den Bruno-Gröning-Freundeskreis (samt Link zum Kopp-Verlag) und Reichsbürgerpropaganda. Der eingebundene Film passt da bestens ins Bild – er stammt nämlich aus Quer-Denken.tv, und das Interview führt Quer-Denken-Macher Michael Vogt, der sich in der Reichsbürgerszene ganz offensichtlich auch pudelwohl fühlt. Mit Quer-Denken.tv und ähnlichen rechtsesoterischen Videoprojekten werde ich mich am 26.1. bei Skeptics in the Pub in Köln unter dem Titel „Heiler, Heil, Geschäftemacher – rechte Esoterik im Internet-TV“ ausführlicher beschäftigen, und wer mehr über Reichsbürger wissen möchte, dem sei der Eisenfraß-Blog empfohlen.

Hier soll es ja um Quantenquark gehen, und in dem verlinkten Video gibt es reichlich davon.

Herr Vogts Interviewpartner Walter Thurner kommt nach eigener Angabe aus der Freie-Energie-Szene, er glaubt also, dass man Energie aus nichts erzeugen kann, und das begründet er… mit was wohl… natürlich mit Quanten. Im hinteren Teil des einstündigen Videos demonstriert er immerhin ziemlich eindrucksvoll, wie er aus seinen seltsamen Quantentheorien Geld erzeugen kann. Da preist er nämlich seine Therapien und Geräte an, was wohl der Hauptzweck des ganzen Interviews sein dürfte.

Davor kommen aber ein paar echte Höhepunkte des Quantenquarks. Den Anfang macht gleich Michael Vogt, der in seiner Anmoderation erst mal voraussetzt, dass Quanten und Bewusstsein dasselbe sind. Das kann Herr Thurner aber locker überbieten, indem er den fälschlich so bezeichneten Beobachtereffekt der Quantenmechanik benutzt, um kleinsten Teilchen Intelligenz zuzuschreiben: „Die Quanten sind sehr extreme Wesenheiten, wenn die wissen, bei einem Versuch, ob ich hinschau oder wegschau, die haben keine Augen, die wissen aber, dass ich hinschau und bringen andere Ergebnisse als wenn ich wegschau.“ So ist für Herrn Thurner klar: „Das müssen Wesenheiten sein; die müssen ein Bewusstsein haben.“ Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Elementarteilchen. Immerhin, das Bewusstsein würde erklären, warum Frauen mit den Quanten sprechen können.

Nur mal zur Klarstellung: Der angebliche Beobachtereffekt kommt daher, dass man zum Beobachten kleinster Teilchen große Messgeräte braucht, deren Wechselwirkung mit den Teilchen das Gesamtsystem verändert. Ob auf das Messgerät tatsächlich ein Beobachter draufschaut oder ob die Messergebnisse niemals von irgendwem gesehen und auch nicht gespeichert werden, ist für diesen Effekt völlig egal, weswegen ich den Begriff „Messungseffekt“ vorziehen würde. Fachlich korrekt spricht man in der heutigen Physik von „Dekohärenz“.

Das hält aber Herrn Thurner nicht auf. Als nächstes nimmt er sich den Welle-Teilchen-Dualismus vor, den er genausowenig verstanden hat: „Was wir in der Quantenwelt entdecken, dass es […] Welle und Teilchen gleichzeitig ist, das wirkt sich ja in unserer Welt auch aus. Damit ist ja gesagt, unsere Welt gibt’s nicht. Das ist ja nur eine Illusion.“

Dieser Schluss ist natürlich sehr praktisch, wie er im Weiteren erläutert. Dass ein Schwerstkranker sich selbst als Besitzer einer defekten Niere erlebt, sei ja nur eine Information. Wenn man diese Information in der Quantenwelt ändert, könne er sich dann einfach wieder mit einer gesunden Niere erleben. Dazu braucht man dann nur noch die Geräte, die Herr Thurner verkauft.

Mit diesen Geräten erspart man sich auch noch die Einnahme möglicherweise unangenehm schmeckender Medikamente: „Ob ich jetzt den Kamillentee trink und die Substanzen im Magen hab, die ich dann verdaue, aber neben den Substanzen trägt die Kamille ja auch eine Information. Und nicht die Substanzen kommen zur Wirkung, sondern die Information. Und wenn ich die Information auf andere Art den Zellen zuführe, dann ist es auch gut, und das machen wir eben über die Quanten.“

Die Technologie, mit der Herr Thurner zu diesen Erkenntnissen gelangt ist, ist, wie er selbst erklärt, der Tensor. Bedauerlicherweise spricht er dabei nicht von der Tensorrechnung, die in der Quantenmechanik wie in vielen anderen Bereichen der Physik tatsächlich eine große Bedeutung hat. Was Thurner und diverse Esoteriker als Tensor bezeichnen (andere benutzen auch den Begriff Einhandrute), ist einfach ein Handgriff, an dem über eine lange, federnde Verbindung ein Gewicht befestigt ist. Das Ganze hat große Ähnlichkeit mit einem Katzenspielzeug aus dem Heimtierbedarf und dient letztlich dem gleichen Zweck wie ein Pendel oder eine Wünschelrute: Es schaukelt winzige, unwillkürliche Bewegungen der Hand auf und macht sie dadurch sichtbar, wozu man sich dann allerlei Unsinn zusammenschwurbeln kann, nicht zuletzt auch, dass man damit Zugang zur Quantenwelt erhält.

Bleibt die Frage, wie kommt man auf solches Zeug? Eine mögliche Erklärung dafür findet sich schon ziemlich am Anfang des Interviews: „Man muss ja eigentlich bei dieser Technologie, beim Tensorn, den Verstand ausschalten.“ Vielleicht sollte Herr Thurner einfach nicht so viel tensorn.